Im Klima der Desorientierung in den Migrationsdebatten gedeiht die aggressive Ignoranz und blühen die diversen Verschwörungstheorien. Diese kommen nicht aus dem Streit zwischen "links" und "rechts". Die alte Etikettierung verbirgt den wahren Konflikt, den Konflikt zwischen den aufs Podium der Europapolitik drängenden nationalistischen Hetzern der Abschottung und den Verteidigern der europäischen Öffnung, die unabhängig von ihren konservativen, liberalen oder linken Wurzeln "in der Welt der globalisierten Gleichgültigkeit" (Papst Franziskus) die Werte der liberalen Demokratie vertreten.

Bei der Suche nach einem Sicherheitsanker in einer aus den Fugen geratenen Europäischen Union und auch zur rechtzeitigen Abwehr der nationalistischen Radaubrüder in Warschau und Budapest hatten die proeuropäischen Vordenker und Politiker, offen oder verklausuliert, als Ausweg aus der Krise an eine EU der zwei Geschwindigkeiten gedacht. Im Vordergrund stand die Option der französisch-deutsch geprägten Gruppe der Gründungsmitglieder als Kern einer Reform im Zeichen des Wertekonsenses.

Gelbwesten-Rebellion

Seit dem Sieg der Populisten, der Lega und der Fünf-Sterne-Bewegung in Italien, Gründungsmitglied der Europäischen Gemeinschaft, beginnen wir nicht nur in der Finanz, sondern auch in der Politik mit Angst die zerstörerischen Folgen ihres Triumphes zu begreifen. Der proeuropäische und immer wieder gegen das Gift des Nationalismus wetternde, wegen der Gelbwesten-Rebellion geschwächte, französische Staatspräsident Emmanuel Macron dient als Feindbild für Lega-Chef Matteo Salvini und Luigi Di Maio von der Fünf-Sterne-Bewegung, um ihre Wähler von den Misserfolgen der Wirtschaftspolitik abzulenken. Salvini beschimpfte Macron, er sei ein "furchtbarer Präsident", den die Franzosen stürzen sollten. Di Maio hatte der Gelbwesten-Bewegung sogar die Nutzung der Fünf-Sterne-Internetplattform Rousseau angeboten und traf sich mit einem rechtsextremen Wortführer der Gelbwesten, Christophe Chalençon, der zu einem Militärputsch in Frankreich aufgerufen hatte.

Solche maßlosen Attacken und ein derart aggressiver Tonfall seien zwischen demokratischen europäischen Regierungen seit den Dreißigerjahren nicht vernommen worden, meinte zu Recht die "FAZ". Es ist kein Zufall, dass der "Pate" der osteuropäischen Nationalpopulisten, der ungarische Regierungschef Viktor Orbán, den italienischen Rechts-außen Matteo Salvini, der Schiffen mit Flüchtlingen das Anlegen an italienischen Häfen untersagt, bei ihrem Treffen in Rom im August 2018 "meinen Helden" nannte: "Vom Erfolg Salvinis hängt die Sicherheit Europas ab." Orbán tritt bei den kommenden EU-Wahlen mit der konservativen EVP, Salvini hingegen bei den Rechtspopulisten an. Salvini und seine französische Bündnispartnerin Marine Le Pen pflegen enge Beziehungen zu Moskau, genauso wie Orbán. Dass US-Außenminister Mike Pompeo trotzdem seine Europareise in Budapest beginnt, ist ein symbolträchtiger Erfolg für Orbán, ebenso wie die jüngste Stellungnahme der Merkel-Nachfolgerin an der CDU-Spitze, Annegret Kramp-Karrenbauer, zugunsten der weiteren Zugehörigkeit der Orbán-Partei zur EVP. (Paul Lendvai, 11.2.2019)