Geht es nach der Bundesregierung, soll es neue Vorgaben geben, um bei Sexualdelikten Gerechtigkeit walten zu lassen.

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Eine "Kurskorrektur" nennt es Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP). Für "kontraproduktiv" halten es Expertinnen. Die Rede ist von einem Vorhabenspaket der Regierung mit 50 Maßnahmen im Strafrecht, das am Mittwoch den Ministerrat passieren soll. Zu Jahresende soll es im Nationalrat beschlossen werden und ab 2020 in Kraft treten. Das passt in die aktuelle Debatte, in der generell über verschärfte Strafen bei Gewalttaten diskutiert wird.

Der Fokus der ersten, am Sonntag öffentlich gemachten Maßnahmen der Taskforce Strafrecht liegt auf der Verschärfung der Strafen nach Sexualdelikten. So soll die Mindeststrafe bei Vergewaltigungen von einem auf zwei Jahre angehoben werden. Außerdem soll bei Vergewaltigungen nur noch eine teilbedingte Strafnachsicht möglich sein. Bei einer Verurteilung muss demnach jedenfalls zumindest ein Teil der Freiheitsstrafe tatsächlich angetreten werden.

Hemmschwelle für Opfer

Den Strafrahmen bei Sexualdelikten zu erhöhen, würde nicht den gewünschten Effekt bringen, sagt die Rechtswissenschafterin Katharina Beclin vom Wiener Juridicum. Im Gegenteil. Da die meisten Vergewaltigungen im Bekanntenkreis stattfinden, gebe es bei den Opfern oft Hemmungen, Übergriffe anzuzeigen. "Betroffene suchen meist Abhilfe oder Schutz und wollen nicht eine möglichst hohe Bestrafung des Vaters, Bruders oder Lebensgefährten", sagt die Juristin.

Wirft man einen Blick auf die jüngste Kriminalstatistik, jene des Jahres 2017, steht fest: In nur 11,4 Prozent der Anzeigen wegen Vergewaltigung gab es keine Beziehung zwischen Täter und Opfer. Bei 12,2 Prozent waren die Täter "Zufallsbekanntschaften". In allen anderen Fällen waren sie Verwandte oder Bekannte.

Kein Abschreckungseffekt

Ein Abklärungsverfahren ohne zwingende Anzeigepflicht könnte viel mehr Taten verhindern, so Beclin. Bei höheren Strafandrohungen befürchtet sie, dass Betroffene länger zögern, bis sie Anzeige erstatten. Die Verschärfung bewirke also keine Abschreckung, sondern führe nur dazu, dass die wenigen Täter, die verurteilt werden, besonders lange in Haft sitzen, während der Großteil ohne Sanktion bleibe. "Wenn die Regierung etwas für mehr Abschreckung tun will, soll sie Maßnahmen ergreifen, die die Anzeige- und Verurteilungswahrscheinlichkeit erhöhen", sagt die Strafrechtsexpertin.

Beclin wünscht sich etwa, dass bei "Aussage gegen Aussage" die Staatsanwaltschaft verpflichtende Einvernahmen durchführen muss, bevor sie ein Verfahren einstellt. Derzeit würden zu viele Anzeigen wegen der widersprüchlichen Aussagen von Täter und Opfer gar nicht zu einem Verfahren führen. "Der Grundsatz 'in dubio pro reo' gilt erst nach durchgeführter Beweiswürdigung und sollte daher erst in der Hauptverhandlung nach abgeschlossener Beweisaufnahme zur Anwendung kommen", befindet Beclin.

Schulungen für den Justizapparat

Ähnlicher Meinung ist Maria Rösslhumer, Geschäftsführerin des Vereins Autonome Österreichische Frauenhäuser. "Das jetzige Strafausmaß ist ausreichend", sagt sie zum STANDARD, eine Strafverschärfung habe man in der Taskforce nie gefordert. Das Problem sei, dass es bei Sexualdelikten nur selten zu Verurteilungen komme. "Die Täter arbeiten häufig mit Beeinflussung und Manipulation", sagt Rösslhumer, die deshalb fordert, den Justizapparat entsprechend zu schulen, um diese Gewaltdynamiken besser zu verstehen. Einen größeren Abschreckungseffekt sieht Rösslhumer durch die Verschärfungen ebenfalls nicht: "Keiner überlegt sich vorher, welche Strafe er bekommt. Das passiert im Affekt."

Auch im Paket enthalten: die Anhebung der Höchststrafen für Wiederholungstäter. Nach zwei rechtskräftigen Verurteilungen innerhalb der vergangenen fünf bzw. zehn Jahre wegen strafbarer Handlungen gegen Leib und Leben, Freiheit oder die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung.

Ob Wiederholungstäter härter bestraft werden sollen, wie es die Regierung vorsieht? "Tatwiederholung ist schon jetzt ein Strafverschärfungsgrund, der zur Anwendung kommt", sagt Beclin. Das Strafgesetzbuch sieht schon jetzt vor, dass bei einem Täter, der bereits zweimal zu einer Freiheitsstrafe wegen ähnlicher Delikte verurteilt worden ist, das Höchstmaß der angedrohten Strafe um die Hälfte überschritten werden kann.

Verhaltenstraining und Therapiemöglichkeiten

Die Haftlänge als solche wirke zudem nicht präventiv, sagt Beclin. Therapiemöglichkeiten und Verhaltenstraining seien zielführender. Doch dafür fehle es meist an Geld. "Je mehr Leute – noch länger – eingesperrt werden, umso schlimmer wird die Situation auch in den Haftanstalten", sagt Beclin. Meist kämen die Menschen "mit mehr Defiziten aus der Haft, als sie hineingegangen sind".

Eine Verschärfung plant die Regierung auch bei fortgesetzter Gewaltausübung gegen Unmündige oder Wehrlose. Bei der Ausübung von länger als einem Jahr drohen künftig ein bis zehn Jahre Haft, bisher waren es sechs Monate bis fünf Jahre. Bei rechtskräftigen Verurteilungen wegen Straftaten gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung einer minderjährigen oder wehrlosen Person soll zudem ein lebenslanges Verbot der Tätigkeit mit Kindern oder wehrlosen Personen kommen.

Stalking-Tatbestand erweitert

Eine Verschärfung wird es auch im sogenannten Stalking-Paragrafen geben. Hier ist die Erweiterung der Tatbestände um die "Veröffentlichung von Tatsachen oder Bildaufnahmen des höchstpersönlichen Lebensbereichs einer Person ohne deren Zustimmung" geplant. Für Beclin fällt das Publizieren von Fotos ohne Erlaubnis unter Cybermobbing. Dort gebe es bereits eine entsprechende Bestimmung. Unter die "Beharrliche Verfolgung", sprich Stalking, sollte hingegen Fotografieren ohne Erlaubnis aufgenommen werden.

"Wenig überzeugt" zeigte sich auch Neos-Justizsprecherin Irmgard Griss. Strengere Strafen sind der Ex-Präsidentin des Obersten Gerichtshofs zu wenig. "Was es braucht, ist ein ganzheitlicherer Ansatz der auch dem erhöhten Personalbedarf im Justizbereich Rechnung trägt."

Ablehnung auch von Richtern

Ebenso reagierte die Richtervereinigung mit Ablehnung auf die Regierungspläne. Es gebe keine wissenschaftlich fundierte Belege, die dieser Maßnahme eine Wirksamkeit attestierten, sagte Präsidentin Sabine Matejka am Montag. (Kim Son Hoang, Oona Kroisleitner, 10.2.2019)