Die Auswirkung von Marihuanakonsum auf die männliche Fruchtbarkeit ist nicht geklärt.

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Wie genau sich der Konsum von Cannabis auf die Gesundheit auswirkt, ist Gegenstand einer schier unüberblickbaren Zahl an wissenschaftlichen Studien. Dennoch sind viele Details noch ungeklärt: Abgesehen von den eindeutig gesundheitsschädigenden Effekten, die etwa das Rauchen von Marihuana hervorruft, sind in der Pflanze zahlreiche Stoffe enthalten, deren Wirkung längst nicht genau erforscht ist.

Fest steht, dass schon der Konsum geringer Mengen Änderungen im Gehirn hervorruft und psychische Erkrankungen begünstigen kann. Dass der Einsatz von Cannabis bei schweren Krankheiten aber helfen kann, Symptome zu lindern oder den Appetit anzuregen, gilt ebenfalls als gesichert. Nun berichten Forscher im Fachblatt "Human Reproduction" von Hinweisen auf eine recht unerwartete Folge des Gelegenheitskiffens: Männer, die hin und wieder Marihuana rauchen, scheinen eine höhere Spermienkonzentration aufzuweisen als abstinente Vergleichspersonen.

Bisher waren Forscher vom gegenteiligen Effekt ausgegangen, dass nämlich Kiffen die Fruchtbarkeit einschränkt. Allerdings stütze sich diese Annahme hauptsächlich auf Untersuchungen an Männern, die sehr viel Cannabis konsumierten und mitunter auch zum Missbrauch anderer Substanzen neigten. Jorge Chavarro von der Harvard Chan School in Boston hat nun mit Kollegen Männer untersucht, die nur gelegentlich zum Joint greifen oder dies in einer früheren Phase ihres Lebens getan haben.

Mehr Testosteron

Für ihre Studie analysierten die Mediziner Samen- und Blutproben von insgesamt 662 Männern, um die Spermaqualität und den Hormonhaushalt zu eruieren. Die Teilnehmer waren im Durchschnitt 36 Jahre alt. Mittels Fragebogen mussten die Probanden Auskunft über einen möglichen aktuellen oder früheren Marihuanagebrauch machen. 365 Teilnehmer (55 Prozent) gaben an, im Laufe ihres Lebens mindestens zweimal Cannabis geraucht zu haben, 73 Personen (11 Prozent) bezeichneten sich als aktuelle Gelegenheitskonsumenten. 297 Männer hatten keinerlei Konsumerfahrung.

Die Analyse der Samenqualität brachte eine überraschende Tendenz ans Licht: Bei den ehemaligen und aktiven Konsumenten lag eine durchschnittliche Konzentration von 62,7 Millionen Spermien pro Milliliter Ejakulat vor. Bei den Probanden, die nie Marihuana geraucht hatten, lag der Durchschnittswert hingegen bei 45,4 Millionen Spermien pro Milliliter. Die kritische Grenze von 15 Millionen Spermien pro ml Ejakulat unterschritten nur fünf Prozent der Cannabis-Konsumenten, jedoch zwölf Prozent der Nie-Raucher. Ein weiteres Ergebnis: Männer, die laut eigenen Angaben häufiger Marihuana rauchten, wiesen auch ein höheres Testosteronlevel auf.

Weitere Studien nötig

"Diese unerwarteten Ergebnisse zeigen einmal mehr, wie wenig wir über die Auswirkungen von Marihuana auf die Fortpflanzungsgesundheit wissen – und wie wenig über die gesundheitlichen Effekte von Marihuana im Allgemeinen", sagte Chavarro. Der Forscher mahnt jedoch zur Vorsicht, was die Interpretation der Studienresultate betrifft: Die Aussagekraft sei bisher eingeschränkt.

Zum einen könne nicht ausgeschlossen werden, dass Probanden falsche Angaben zu ihrem Konsumverhalten gemacht hätten. Zum anderen würden noch zu wenig andere Untersuchungen vorliegen, um eine seriöse Interpretation vorzunehmen. Über mögliche Erklärungen spekulieren die Forscher aber schon jetzt.

Mögliche Scheinkausalität

Es gibt bereits Hinweise darauf, dass das Endocannabinoid-System – ein Teil des menschlichen Nervensystems – eine Rolle bei der Fruchtbarkeit spielt. Womöglich beeinflusse moderater Cannabis-Konsum dieses System dahingehend, dass eine vermehrte Spermienproduktion angeregt werde, sagt Feiby Nassan, Erstautor der Studie. Übermäßiger Konsum dürfte sich eher negativ auswirken, vermutet der Forscher.

Er räumt aber ein, dass der Ursache-Wirkung-Zusammenhang auch ganz anders gelagert sein könnte: "Männer mit einem höheren Testosteronspiegel sind generell risikobereiter – das betrifft auch Drogenkonsum. Es könnte also auch sein, dass der Zusammenhang zwischen Cannabiskonsum, Spermienkonzentration und Testosteronspiegel auf die Wirkung des Hormons zurückzuführen ist." (dare, 9.2.2019)