Nachdem vergangene Woche die Entwicklung der Kirche und der Friedhof im Zentrum des Interesses standen, sollen nun einige Aspekte des Fundmaterials näher beleuchtet werden, denn auch dieses erwies sich in vielen Belangen als durchaus überraschend. Würde man diesen Fundort allein anhand der archäologischen Funde charakterisieren, so würde sich zunächst das Bild eines Siedlungsplatzes mit all seinen Facetten aufdrängen.

Bruchstücke von Haushaltskeramik und Reste von Kachelöfen sind die mit Abstand häufigste Fundgattung, und auch zahlreiche Küchenmesser und sogenannte Feuerschläger, Eisenobjekte, mit denen unter Zuhilfenahme von Feuerstein und Zundermaterial Feuer "geschlagen" werden konnte, stellen einen eindeutigen Siedlungsbezug dar. Hufeisen sowie das Mundstück einer Trense bezeugen die Anwesenheit von Nutztieren, und unterschiedliche Sicheln und Sensen verweisen auf einen ackerbäuerlichen Hintergrund. Diese dürften jedoch der gärtnerischen Pflege des Kirchenumfeldes gedient haben, da das Bergplateau für den Anbau von Getreide und anderen Feldfrüchten nicht geeignet ist. Auch zwei mittelalterliche Pfeilspitzen kamen ans Tageslicht, die vermutlich mit erlegtem Wild auf den Michelberg verbracht wurden, denn Hinweise auf kriegerische Ereignisse gibt es für diese Zeit nicht.

Kinderspielzeug und topaktuelle Mode

Selbst Spielzeug lässt sich unter dem Fundmaterial finden. Neben kleinen Augenwürfeln aus Tierknochen, die von Jung und Alt bei verschiedenen Spielen Verwendung fanden, belegt ein Köpfchen einer keramischen Puppe die Präsenz von Kinderspielzeug. Es handelt sich um ein sogenanntes "Kruselerpüppchen". Die Bezeichnung leitet sich vom "Kruseler" ab (mittelhochdeutsch "krus": gedreht, kraus), einer weiblichen Kopftracht, bei der mehrere Lagen von Tüchern zu wellenartigen Rüschen gefaltet wurden und die im 14. und 15. Jahrhundert in Europa weitverbreitet war. Die Figuren spiegeln damit die damals topaktuelle Mode wider und waren in der "Jungdamenwelt" wohl sehr begehrt.

Kopf einer sogenannten "Kruselerfigur".
Foto: Karin Kühtreiber, Land Niederösterreich

Durch solche Funde wird zum einen der meist wenig beachtete Aspekt "Spiel und Zerstreuung" fassbar, zum anderen jedoch auch der Fernhandel, für den die nahegelegene Donau die wichtigste West-Ost-Verbindung in unserem Raum darstellte. Die Keramikpuppe etwa wurde im Raum Nürnberg erzeugt, wo zahlreiche Varianten dieser Puppen bekannt sind, darunter auch typidente Stücke. Händler dürften diese Spielzeugfiguren donauabwärts an verschiedenen Orten verkauft haben – neben dem Raum Stockerau auch in Bratislava, wo ein zu jenem vom Michelberg identes Exemplar gefunden wurde. Ebenso weitgereist ist ein mehrfarbig bemalter Teller aus dem 17./18. Jahrhundert, dessen charakteristisches Muster ihn als Erzeugnis einer archäologisch gut bekannten Hafnerwerkstatt in Perg, im unteren Mühlviertel, ausweist.

Im Grabungsbefund fanden sich tatsächlich vereinzelte Baustrukturen wie unterschiedliche mittelalterliche Kelleranlagen, die nur schwerlich im Kontext eines Sakralbaus zu interpretieren sind und eher an ein Siedlungsgeschehen im Umfeld der Kirche denken lassen. Konkrete Hinweise, wie dieses ausgesehen haben mag, erbrachte die Grabung aber nicht. Anhand des Alters der Funde lässt sich jedoch sagen, dass diese Siedlungscharakteristik schon im 11. Jahrhundert bestanden hat und wohl bis zum Abriss der Kirche 1785/86 andauerte. Für die Neuzeit ist zumindest die Wohnung des Mesners beziehungsweise "Einsiedlers" und seiner Frau, deren Anwesenheit historisch bezeugt ist, auch archäologisch belegt.

Unter dem umfangreichen Fundmaterial finden sich jedoch auch Stücke, die direkt auf den sakralen Aspekt des Ortes verweisen. So könnte der vollständig erhaltene Rahmen eines "Kneifers" aus dem 18. Jahrhundert vielleicht einem hier tätigen Geistlichen gehört haben, zumindest aber wohl einer Person, die lesen konnte.

Brillenrahmen eines "Kneifers" aus dem 17./18. Jahrhundert.
Foto: Karin Kühtreiber, Land Niederösterreich

Einblick in die Volksgläubigkeit

Verschiedene religiöse Gegenstände wie Rosenkränze, Kreuze und Anhänger mit Gebetstexten stellen hingegen einen eindeutig klerikalen Bezug dar. Wallfahrtsmedaillen aus Mariazell oder aus dem italienischen Pilgerort Loreto sind Belege für das Wallfahrtswesen und wurden vielleicht auch den Bestatteten mit ins Grab gegeben. Ein kreuzförmiges Amulett, das die im 18. Jahrhundert populären Pestheiligen Benedikt und Sebastian anruft, gibt Einblick in die Volksgläubigkeit und lässt die Hoffnung der Menschen erahnen, durch solche "Schutzmittel" vor Krankheit und Unheil bewahrt zu werden.

Wallfahrtsmedaille aus Mariazell.
Foto: Karin Kühtreiber, Land Niederösterreich
Wallfahrtsmedaille aus Loreto (links), Sirolo (rechts).
Foto: Karin Kühtreiber, Land Niederösterreich

Erstaunlich breites Wildtierspektrum

Auch die aufgefundenen Tierknochen geben Einblicke in das Alltagsgeschehen rund um die Kirchen am Michelberg. Neben den üblichen Wirtschaftstierarten (Rind, Schwein, Schaf und Ziege) ließen sich auch Überreste eines erstaunlich breiten Wildtierspektrums finden. Neben einigen Fischknochen lassen sich vor allem Skelettreste von Hirschen, Rehen, Wildschweinen und Feldhasen nennen, die sicherlich nicht zufällig auf den Michelberg gelangten. Hack- und Schnittspuren an manchen dieser Knochen belegen die kulinarische Verwertung der Wildtiere, die offenbar zumindest manchmal den Speiseplan bereicherten.

Mittelfußknochen von einem Rothirsch mit zahlreichen Hackspuren.
Foto: Herbert Böhm, Universität Wien

Die wichtigsten Tierarten für die Fleischversorgung der Pilger und der Bevölkerung waren jedoch sicherlich die Schweine, Rinder und Schafe. Anhand der nachgewiesenen Skelettteile lässt sich erschließen, dass diese Tiere als vollständige Schlachtkörper (vermutlich als Lebendvieh) auf den Michelberg kamen, sofern sie nicht dort gehalten wurden. Sie dürften somit auch vor Ort geschlachtet und ihre Knochen im Umfeld der Kirche entsorgt worden sein. Dennoch zeichnen sich vor allem bei den Schweinen und Schafen deutliche Überrepräsentanzen der stark bemuskelten Extremitätenabschnitte und der Rippen ab, die eine selektive Zufuhr von Fleischpartien wahrscheinlich machen.

Aberglaube oder Rückzugsort

In den neuzeitlichen Kirchenrechnungen wurden auch Ankäufe von Rind- und Schweinefleisch angeführt, die sich somit auch im archäologischen Material abzeichnen dürften. Die Schlachtalterverteilung zeigt, dass durchaus auf die Fleischqualität Wert gelegt wurde. Neben einigen Überresten von Lämmern stechen vor allem die zahlreichen Ferkelknochen ins Auge. Rund 40 Prozent der Schweine wurden bereits als sehr junge Ferkel geschlachtet, während kein einziger Nachweis eines komplett ausgewachsenen Individuums gefunden werden konnte.

Neben solchen Funden, die Rückschlüsse auf die Ernährungsgewohnheiten erlauben, kamen jedoch auch Tierreste zutage, die sich nur schwerlich interpretieren lassen. So wurde in einer Grube, die sich neben der frühneuzeitlichen Kirche befand, ein vollständig erhaltener Topf gefunden, der neben einigen kleinen Knochenfragmenten von Säugetieren und Vögeln fast ausschließlich die Überreste von Wechselkröten beinhaltete. Mindestens 15 Exemplare unterschiedlichen Individualalters konnten nachgewiesen werden. Es erscheint zwar durchaus möglich, dass dieser Befund intentionelles Handeln vor dem Hintergrund des Volksglaubens beziehungsweise Aberglaubens widerspiegelt, jedoch sind auch ganz natürliche Umstände für eine solche Fundvergesellschaftung wahrscheinlich. So könnte etwa der Hohlraum des Gefäßes im Boden ein geeigneter Rückzugsort für diese weitverbreitete Krötenart gewesen sein, an dem, im Laufe der Zeit, immer wieder Tiere verendeten.

Münzen und münzähnliche Gegenstände

Eine weitere bedeutende Fundkategorie stellen numismatische Objekte dar. Diese geben nicht nur wichtige Hinweise für die Datierung, sondern lassen auch tiefe Einblicke in die Wirtschafts- und Sozialgeschichte zu. Die Ausgrabungen auf dem Michelberg ergaben 104 Münzen und einen Rechenpfennig, ein münzähnlicher Gegenstand, der zum Rechnen auf Linien verwendet wurde und weite Verbreitung fand. Der Rechenpfennig wurde aus Messing hergestellt, stammte aus Nürnberg und datiert aus dem 18. Jahrhundert.

Die Münzreihe vom Michelberg setzt jedoch schon deutlich früher ein. Neben einem römischen Follis des Kaisers Diocletian (284–305), der vermutlich sekundär auf den Michelberg gelangte, fanden sich Münzen des 11. bis 20. Jahrhunderts. Das früheste mittelalterliche Stück ist ein ungarischer Denar von König Salomon (1063–1074), der zur Frage der ungarischen Präsenz in der Region westlich der March und nördlich der Donau einen wichtigen neuen Fundbeleg darstellt. Nach dem Beginn der ungarischen Münzprägung um 1015 waren diese Denare im nördlichen Niederösterreich bald präsent.

MM_002_1044: Ungarn, König Salomon (1063–1074), Denar, Münzstätte Gran. Silber; Durchmesser 17,3 mm; Gewicht 0,51 g, Av.
Foto: Hanna Pietsch, Universität Wien
MM_002_1044: Ungarn, König Salomon (1063–1074), Denar, Münzstätte Gran. Silber; Durchmesser 17,3 mm; Gewicht 0,51 g, Rv.
Foto: Hanna Pietsch, Universität Wien

Der wichtigste Fundort solcher Stücke ist der Oberleiser Berg, auf dem sich im 11. Jahrhundert vermutlich ein Marktplatz oder ein ähnliches wirtschaftliches Zentrum befunden haben dürfte. Gegen Ende des 11. Jahrhunderts wurden die Ungarn nach Osten zurückgedrängt, was sich in einem Abnehmen der Funde ungarischer Denare widerspiegelt. Erst im Laufe des 12. Jahrhunderts breiten sich einheimische Münzen aus den Münzstätten Krems und Neunkirchen in diesem Raum aus. Münzen aus dem 12. Jahrhundert sind auf dem Michelberg allerdings nicht vertreten. In der weiteren Münzreihe sind das 14. und 15. Jahrhundert mit jeweils um die 30 Münzen besonders stark repräsentiert.

MM_004_0252: Österreich, Herzog Rudolf III. (1298–1306), Wiener Pfennig, Münzstätte Wien. Silber; Durchmesser 18,9 mm; Gewicht 0,88 g, Av.
Foto: Hanna Pietsch, Universität Wien
MM_004_0252: Österreich, Herzog Rudolf III. (1298–1306), Wiener Pfennig, Münzstätte Wien. Silber; Durchmesser 18,9 mm; Gewicht 0,88 g, Rv.
Foto: Hanna Pietsch, Universität Wien
MM_042_1989: Österreich, Herzog Albrecht V. (1411–1439), Hälbling, Münzstätte Wien. Silber; 11,9 x 10,7 mm; Gewicht 0,22 g, Av.
Foto: Hanna Pietsch, Universität Wien

Insgesamt zeigt die Münzreihe vom Michelberg Auffälligkeiten, wie sie bei Münzfunden aus Kirchen immer wieder beobachtet werden: Drei Viertel der Münzen sind Pfennige oder Hälblinge bzw. Heller (1/2 Pfennige), wobei ungewöhnlich viele Hälblinge gefunden wurden. Das größte Nominale ist ein Groschen, also eine Münze zu drei Kreuzer oder zwölf Pfennige, die auch noch zum Kleingeld zählt. Es handelt sich also durchwegs um Klein- und Kleinstgeld, größere Münzen fehlen vollständig.

Auf der Ausgrabung gab es Bereiche, an denen sich Münzfunde auffällig konzentrierten, jedoch ist durch die oftmaligen Erdbewegungen im Zuge der Umbauten und des Kirchenabbruchs mit deutlichen Verlagerungen zu rechnen, die eine Rekonstruktion der ursprünglichen Fundverteilung verunmöglichen. Prinzipiell kann aber auch die Position von Fundmünzen im archäologischen Befund Rückschlüsse auf Einrichtungen – im Falle von Kirchen etwa Opferstöcken – oder bestimmte Handlungen zulassen.

MM_061_0913: Österreich, Friedrich V. (1439–1493), Zweier (2 Pfennig, ab 1481), Münzstätte Wien. Silber; Durchmesser 13,9 mm; Gewicht 0,40 g, Av.
Foto: Hanna Pietsch, Universität Wien
MM_061_0913: Österreich, Friedrich V. (1439–1493), Zweier (2 Pfennig, ab 1481), Münzstätte Wien. Silber; Durchmesser 13,9 mm; Gewicht 0,40 g, Rv.
Foto: Hanna Pietsch, Universität Wien
MM_075_0777: Österreich, Leopold I. (1657–1705), Gröschel 1669, Münzstätte Oppeln. Silber; Durchmesser 16,0 mm; Gewicht 0,60 g, Av
Foto: Hanna Pietsch, Universität Wien
MM_075_0777: Österreich, Leopold I. (1657–1705), Gröschel 1669, Münzstätte Oppeln. Silber; Durchmesser 16,0 mm; Gewicht 0,60 g, Rv.
Foto: Hanna Pietsch, Universität Wien

Fundmünzen liefern somit wichtige Erkenntnisse über den Fundort, aber sie sind auch Mosaiksteinchen für größere Fragen nach der Geldgeschichte und dem Geldumlauf, in diesem Fall im nördlichen Niederösterreich und im Donauraum. Die Erfassung solcher Einzelfundmünzen ist deshalb nicht weniger wichtig wie die von spektakulären Tongefäßen, die randvoll mit Münzen sind. (Herbert Böhm, Hubert Emmerig, Karin Kühtreiber, 7.2.2019)