Naama Meishar sagt: "Ich behaupte, dass Wohnen für Bedürftige eine höhere Priorität hat als landschaftliche Schönheit."

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Grün und schick: Der Domino Park in Brooklyn ist das neueste Projekt der Architekten des New Yorker High Line Park.
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Eine verlassene Güterbahnstrecke in New York, die zum begrünten Laufsteg mit Blick auf Manhattan wird. Ein verschmutzter Bach in Brooklyn, der zum sauberen Herzen eines Viertels wird. Eine Mülldeponie an der israelischen Küste, die zum Park für alle wird. Wenn Städte grüner werden, freuen sich alle. Wirklich alle? Nein, sagt die Landschaftsarchitektin, Philosophin und Forscherin Naama Meishar. Denn wo Parks sind, steigen die Mieten, und wo es schöner wird, wollen die Reichen wohnen. Diese Woche spricht Meishar in Wien über das Phänomen "grüne Gentrifizierung".

STANDARD: Wie kommt die Politik in die Parks?

Meishar: Die Politik ist das Spiel von Regeln und Machterhalt. Das Politische problematisiert diese Hegemonie. In Parks kommt beides zusammen. Parks werden durch die Politik ermöglicht – unter der Prämisse, dass sie allen zugutekommen. Was nicht immer stimmt. Bürgermeister lieben Parks, weil sie als Errungenschaften sichtbar sind – viel mehr als bei der Bildungspolitik. Das Politische wiederum findet sich in Form von Protesten wie im Zuccotti Park in New York oder dem Gezi-Park in Istanbul.

STANDARD: Welche Rolle spielt Ethik in der Landschaftsarchitektur?

Meishar: Es geht dabei um die Gewichtung von Umweltethik und Humanethik. Landschaftsarchitekten haben sich schon immer als Fürsprecher von Natur und Umwelt gesehen. Sie geben dem Verhältnis von Mensch und Natur eine ästhetische Form. In den sozialen Strukturen der Stadt kennen sie sich viel weniger aus. Ein Beispiel: Die Forschungen der Landscape Architecture Foundation in den USA bewerten den ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Einfluss von Parks auf ihre Umgebung. Wenn die Immobilienpreise in der Nähe von Parks steigen, gilt ihnen das als positiver Effekt. Ich halte das für sehr kurzsichtig. Geografen und Wirtschaftswissenschafter haben festgestellt, dass es in Städten oft zu einem Bevölkerungsaustausch kommt, wenn sie grüner werden. Sie nannten dieses Phänomen "grüne Gentrifizierung."

STANDARD: Ist der High Line Park in New York, der zu einem Luxus-Bauboom in der Umgebung geführt hat, ein Beispiel dafür?

Meishar: Ja, es gibt bereits akademische Forschungen dazu. Ich denke, als verantwortungsvoller Landschaftsarchitekt hat man einen Instinkt für die sozialen Folgen der eigenen Arbeit. Vielleicht muss man die Schönheit begrenzen. Die High Line sieht sehr glatt und gepflegt aus, das Design ist exzellent. Aber wer sagt, dass ein Park immer maximal attraktiv sein muss? Aus sozialer Perspektive hätte er auch ein Gemeinschaftsgarten sein können.

STANDARD: Dürfen wir uns an einem Park nicht mehr aufgrund seiner Schönheit erfreuen?

Meishar: Natürlich sollten wir das. Wir könnten überlegen, die Schönheit zurückzuhalten, bis eine gerechte Wohnbaupolitik etabliert wird. Der Planungstheoretiker Peter Marcuse argumentiert, dass das Wohnen ein Grundrecht ist, und ich behaupte, dass Wohnen für Bedürftige eine höhere Priorität hat als landschaftliche Schönheit.

STANDARD: Liz Diller, eine der Architektinnen der High Line, sagte, die Explosion der Immobilienpreise in Manhattan hätte auch ohne die High Line stattgefunden. Kann man die Auswirkungen von Parks quantifizieren? Wie viel "Grün" steckt in der Gentrifizierung?

Meishar: Parks sind nicht der einzige Faktor. Die quantitative Forschung hat aber gezeigt, dass sie auf jeden Fall dazu beitragen. Isabelle Anguelovski hat in ihrer Untersuchung Barcelonas nachgewiesen, dass dort manche Parks an der Küste Gentrifizierungseffekte hatten, andere in ärmeren Vierteln im Landesinneren weniger. Was logisch ist, denn Wasser, Radwege, Transportsysteme, gesundes Essen und attraktive Architektur sind wesentliche Faktoren der Gentrifizierung.

STANDARD: Lässt sich grüne Gentrifizierung vermeiden?

Meishar: Die zwei US-Forscherinnen Winifred Curran und Trina Hamilton haben das Konzept des "Just green enough" entwickelt. Es entstand aus dem Konflikt um ein Stadterneuerungsprojekt in Brooklyn. Ein verschmutzter Bach, der Newton Creek, sollte gereinigt und das angrenzende Industriegebiet zu einem High-End-Stadtviertel werden. Nach Protesten der Anwohner gab die Stadt diese großen Pläne auf, sanierte nur den Bach und legte einen kleinen Uferpfad an. Es gibt aber auch Kritikerinnen, die sagen: Mit dem ursprünglichen Budget wäre mehr möglich gewesen.

STANDARD: Sie haben den Jaffa Slope Park an der Mittelmeerküste in Tel Aviv-Jaffa analysiert, der auf einer ehemaligen Mülldeponie entstand, in einem Gebiet, das von jahrzehntelanger Vertreibung der armen und arabischstämmigen Bevölkerung geprägt ist. Kann ein Park auch destruktiv sein?

Meishar: Ja. Die Deponie entstand 1969 genau dort, wo es einen wunderschönen Strand gab, der ein wichtiger Treffpunkt der lokalen Community war. Danach blieb nur noch die arabische Bevölkerung hier wohnen, die 20 Jahre unter Umweltverschmutzung und Vernachlässigung litt. 1980 entwickelte die Stadt einen Masterplan für einen Park mit Luxushotels am Ufer, gegen den sich fast 1000 Bürgerinnen und Bürger wehrten, die sich einen ganz normalen Strand und einen bescheidenen Park wünschten. Dann passierte nichts, bis der Park 2010 schließlich eröffnet wurde. Es gab eine Bürgerbeteiligung während der Planung, aber erst nach heftigen Forderungen der jüdischen und palästinensischen Anwohner. Die meisten begrüßten die Sanierung der Deponie, aber alle Forderungen nach Sozialwohnungen wurden abgelehnt. Die meisten staatlichen Wohnungen in der Gegend wurden privatisiert und teuer verkauft. Das zeigt, dass hier Umweltfragen und soziale Fragen auseinandergehalten wurden und die politische Diskussion dadurch kastriert wurde.

STANDARD: Wie lässt sich ein Bewusstseinswandel bei den Landschaftsplanern erreichen?

Meishar: Eine interdisziplinäre Verantwortung für soziale Fragen mit der entsprechenden Datenaufbereitung könnte sehr viel verbessern. Landschaftsarchitekten können einiges erreichen, als Planer und als Bürger. Die Widerstandsbewegung im Istanbuler Gezi-Park, die von Architekturstudenten gestartet wurde, ist ein Beispiel dafür. (Maik Novotny, 31.1.2019)