Das Opus magnum der US-Band The Cramps. Das 1986 erschienene Album A Date With Elvis.

Es gibt ein Lied der Cramps von manifestem Charakter. Es heißt Garbageman. Das beginnt so: "You ain't no punk, you punk. You wanna talk about the real junk? (…) Do you want the real thing, or are you just talkin'? Do you understand? I'm your garbageman."

Garbageman – das traf auf die Cramps zu. Die Musik, die ihnen Offenbarung war, fanden sie in den Mistkisten der Plattenläden. Dort, wo die im Eigenverlag irgendwelcher verrückter Hinterwäldler aufgenommen Singles ihres Schicksals harrten. Die meisten mögen zu Recht dort dem Vergessen überlassen worden sein, doch die Cramps suchten und fanden dort Perlen, die erst in den dunklen Bereichen der Menschlichen Seele zu funkeln beginnen. Je abseitiger, desto besser. So etwas haben sie gesammelt und (nach)gespielt – auf ihre sehr spezielle Art.

The Cramps mit Garbageman.
defrox

Die Cramps bestanden im Kern aus Poison Ivy und Lux Interior. So heißt natürlich kein Kind Gottes, es sind die Künstlernamen von Kristy Marlana Wallacem, Baujahr 1953, und Erick Lee Purkhiser, geboren 1946. Diese vermittelten bereits jene Satansbratenhaftigkeit, die die beiden in ihrer Musik einlösten, aber hallo.

Kennen und lieben gelernt hatten sie sich in den frühen 1970ern in Kalifornien. 1973 gingen sie nach Akron, Ohio, zwei Jahre später nach New York. Dort ging gerade Punk los, was mit den Interessen der beiden eine explosive Mischung ergab: 1976 gilt als offizielles Geburtsjahr der Cramps.

Bad Music for Bad People

Ihr Interesse für frühen und schrägen Rock 'n' Roll, Sex, B-Movies, Sex, Hinterhof-Glam, Sex, Bondage – kurz, die US-amerikanische Trash-Kultur als solche – traf auf die Nix-scheißen-Haltung des Punk und gedieh prächtig. Es entstand, was die Band "Bad Music for Bad People" nannte.

Lux Interior im Büro.

Die erste Veröffentlichung der Cramps datiert mit 1978. Es war die Single Human Fly. Das könnte auch ein Titel eines Films gewesen sein, bei dem ein Mann durch atomare Verseuchung ... – man kriegt das Bild.

Der Artenreichtum leerer Whiskygläser

Produziert hatte die Single der damals seine ungesündeste Phase durchlebende Alex Chilton, selig. Der hatte Ende der 1960er mit den Box Tops den Welthit The Letter. In den 1970ern führte er die Band Big Star erfolgreich am Erfolg vorbei und studierte damals in der New Yorker Bowery den Artenreichtum leerer Whiskygläser. Kurz: Er hatte Zeit. Zudem prädestinierte ihn seine Herkunft Memphis für den Job bei den Cramps ebenso wie seine unorthodoxe Aufnahmetechnik im Studio.

1980 erschien der erste Longplayer der Cramps. Rasch wurde ihre Musik Psychobilly genannt – eine Wortschöpfung aus Rockabilly und dem Hinweis auf einen speziellen Geisteszustand. Es gibt ein Video von einem Konzert aus dem Jahr 1978, als die Cramps im Napa State Mental Institute vor den Insassen auftraten – nur so als Hinweis.

Poison Ivy bei der Arbeit.

Mit Gitarre, Schlagzeug und Lux als Sänger spielte die Band krassen Fünfziger-Jahre-Rockabilly. Eigenkompositionen trafen auf abseitige Coverversionen, Qualitätsunterschiede gab es keine. Poison Ivy hackte aus ihrer übersteuerten Gitarre dreckige Riffs, der Schlagzeuger haute stur auf die Eins. Später gönnte man sich Bassisten, im Frühwerk übernahm die Basstrommel den Job. Dafür gab es eine Zeitlang mit der genialen Pickelfresse Brian Gregory einen zweiten Gitarristen neben Ivy.

Hinterm roten Vorhang

Die zeigte ihrem Publikum bei Konzerten Ansichten ihres Bühnenkörpers, für die man sonst Videokassetten aus dem Bereich hinter dem roten Vorhang ausleihen musste. Auch Lux' Bühnegarderobe bestand oft nur aus Stöckelschuhen, einem Handschuh und einem Stringtanga, dessen Dehnbarkeit er im Lauf eines Konzerts derart testete, bis ein Testikel dem Publikum winken konnte. Oder zwei.

Die Single von "Can Your Pussy Do The Dog?" – die Cramps waren selbstverständlich Tierfreunde.

Drei Alben entstanden in den Jahren 1980 bis 1983: Songs The Lord Taught Us, Psychedelic Jungle und das Livedokument Smell of Female. Grandiose Alben, die der Band rasch Kultstatus bescherten. Drei Jahre später erschien das Opus magnum der Cramps: A Date With Elvis.

Ricky Nelson zugedacht

Das Cover des Ricky Nelson gewidmeten Albums zeigt einen empfänglichen She-Devil in goldenen Laken. Die Bibel liegt da, und der blonde Antiengel mit Dreizack im Anschlag und Hörnern im fast echten Haar wartet auf die Ankunft des Königs. How Far Can Too Far Go? heißt der erste Song, und die Antwort der Cramps lautet natürlich: nicht weit genug.

Betty Page war natürlich eine Hausheilige bei den Cramps. Der Amateur-Regisseur wusste das. How Far Can Too far Go?
zachisbackyo

Bereits die Songtitel hätten der Band einige Jahre später einen Parental-Advisory-Sticker quer übers Cover eingebracht: The Hot Pearl Snatch. Can Your Pussy Do The Dog?. Hot Pool Of Womanneed oder die Jugend-forscht-Hymne What’s Inside A Girl?

Jugend forscht: What's Inside a Girl?
captiveww

Die Cramps erinnerten in ihrer Kunst an die subversive Kraft des Rock 'n' Roll. Ihre Lieder waren Giftköder für die Weltjugend. Wer sich einmal in einen verbissen hatte, der war für die Musik von Bon Jovi und Co für alle Zeit verloren.

Duett mit Iggy

Poison Ivy, eine stoische Hysterikerin, wurde und wird in der Zielgruppe wie eine Göttin verehrt. Sie ist wohl eine Feministin, ohne eine Sekunde daran zu denken, sich so zu nennen. Aber wer über Frauen im Rock 'n' Roll spricht und sie nicht nennt, sollte besser schweigen.

Lange vor Katzenvideos waren Hühner-Videos der heiße Scheiß: Chicken von The Cramps.
thesatanicnetwork

Lux seinerseits stand auf einer Stufe mit Frontmännern wie Iggy Pop. Später sangen die beiden sogar zusammen. Dabei besaß die Band durchaus zärtliche Seiten. Das schunkelnde Kizmiaz (Kiss My Ass) auf A Date With Elvis ist dafür Beleg. Ebenso der Kindergartenchor, der mit Lux People Ain't No Good singt. Oder das finale It's Just That Song.

Wenn The Cramps weinen: It's Just That Song.
Mariano Maccio

Ein Drama, in dem dem Hauptdarsteller die Tränen kommen. Ein Fremder fragt ihn, ob er seinen besten Freund verloren habe. "No", antwortet der, "it's just that song." So müssen auch die Cramps empfunden haben – allem hühnermordenden Irrsinn zum Trotz.

Ein Pool böser Samen

So obskur das Universum der Cramps war und ist, es war zugleich Durchlauferhitzer einiger Karrieren. Kid Congo Powers war in seinen Pausen vom Gun Club mit dabei, später stand er bei den Bad Seeds bei Nick Cave im Sold. Auch Jim Sclavunos trommelte für die Cramps, bevor Cave ihm eine Festanstellung gab.

The Cramps: (Hot Pool Of) Womanneed.
Charlie Spliff

Dann gab es die Originale. Brian Gregory, ein Tunichtgut aus Detroit, der den frühen Cramps unsterbliche Riffs schenkte. Und Ivy selbst. Sie war eine gelehrige Schülerin von Link Wray und anderen Pionieren des Rock 'n' Roll und hatte deren Spielweise komplett verinnerlicht und um persönliche Obsessionen erweitert.

2009 war Schluss

Die Karriere der Cramps reichte bis in die Nullerjahre hinein. Finanziell war die Band als konkurrenzloses Phänomen ein Selbstläufer, der regelmäßige Alben veröffentlichte – allesamt auf hohem Niveau nieveaulos, also super. Doch 2009 war dann Schluss.

Das zärtliche Kizmiaz.
Louis-Stéphane Ulysse

Vor ziemlich genau zehn Jahren starb am 4. Februar Lux Interior an den Folgen eines Aortarisses. "Out of the blue and into the black" – doch der Rock 'n' Roll ist trotzdem here to stay. Interiors Tod verunmöglichte zwar ein würdeloses Alterswerk der Cramps – ewig schade – doch die Band hat Unglaubliches hinterlassen.

Immenses Erbe

Neben dem eigenen Katalog war sie für unzählige Kompilationen verantwortlich, die jene Musik in Erinnerung riefen, der Poison und Lux beständig nachjagten. Dem musikalischen Auswurf abartiger Triebtäter; der einzigen Single eines schwindsüchtigen Autohändlers aus Birmingham, Alabama; oder dem inzestuös gefärbten Muttertagslied eines Catchers einer Sideshow, das der 1957 in Fuckme, Mississippi, aufgenommen hat. Der Fantasie zieht da nur eine nicht überwundene Erziehung Grenzen. Eine Einschränkung, an der die Cramps nicht litten. – Gone but not forgotten. (Karl Fluch, 28.1.2019)