Panikstörungen bedeuten auch, dass die Angst das ganze Leben auf den Kopf stellt.

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Fast alle psychiatrisch definierten Angsterkrankungen haben einen offensichtlichen Auslöser. Bei der Furcht vor bestimmten Tieren, bei Klaustrophobie oder Höhenangst ist der "Feind" wenigstens bekannt. Eine Generalisierte Angststörung und eine Panikstörung haben dagegen auf den ersten Blick weder einen Auslöser noch eine tiefere Ursache.

Anke Faber (51, Name von der Redaktion geändert) leidet unter beiden Formen. Die Generalisierte Angststörung, ein unaufhörlicher Kreislauf des Besorgtseins aus ständig wechselndem Anlass, sei "vergleichsweise nicht ganz so heftig, vielleicht wie gesteigertes Lampenfieber", sagt die Mutter von drei Kindern. "Da merkt man, wenn es kommt – aber bei der Panikstörung fängt das ganz plötzlich an. Ich kann's nicht vorhersehen. Ich weiß nur, dass es in bestimmten Situationen öfter passiert oder zumindest schlimmer für mich ist."

Etwa eine halbe Stunde dauert eine Attacke, "diese ganz intensive Angst", sagt Faber, "dauert nur ein paar Minuten" – aber die haben es in sich. Auch bei anderen Ängsten gibt es ähnliche Anfälle – bei einer Panikstörung kommen die Attacken aber ohne erkennbaren Grund und sind deutlich dramatischer. "Wer im Flieger eine situative Panikattacke hat, der hat meistens eine besonders starke Phobie", erklärt der Linzer Psychotherapeut und Autor Hans Morschitzky.

Todesähnliche Erfahrung

Bei einer Panikstörung erlitten die Betroffenen dagegen "traumatisierende, todesähnliche Erfahrungen". Das Gefühl bei einer solchen Attacke sei "immer eine wahnsinnige Todesangst, als wenn dir jemand die Pistole an den Kopf setzt", bestätigt Anke Faber. Auch andere typische Symptome kennt sie zur Genüge: Herzrasen, Schweißausbruch, die Angst, gleich in die Psychiatrie eingeliefert zu werden, und das Gefühl einer Depersonalisation: "Man wird sich selber so fremd, dass man denkt, man verliert den Verstand."

Körperlich litten die Betroffenen meist auch unter Beklemmungsgefühlen im Brustkorb mit Erstickungsangst und starkem Schwindel, sagt Morschitzky. "Diese wiederholt spontanen, unerwarteten Panikattacken erlebt man zumindest bei den ersten Malen als lebensbedrohlich", betont der Angstspezialist.

Angst vor Kontrollverlust

Die Entstehung einer solchen Störung habe aber bei den meisten Panikpatienten erst einmal nichts mit Angst zu tun, sagt Morschitzky. Häufig steht eine Überflutung durch starke Emotionen am Anfang. Das kann beispielsweise eine innere Blockade durch widerstrebende Gefühle sein, zum Beispiel eine "Wut im Bauch", weil man sich sehr ärgert, aber zu ohnmächtig fühlt, dies deutlich zu machen.

Der Experte vergleicht diesen "Gefühlsstau" gern mit dem Versuch, bei angezogener Handbremse Vollgas zu geben. Daneben könne auch akute Verlustangst zu einer Panikattacke führen. "Bei einem hohen Stressniveau braucht es nur relativ harmlose Auslöser", sagt Morschitzky. Dabei fällt ihm zunehmend beruflicher Stress als tiefere Ursache auf. Als Auslöser reicht dann schon, eine Nacht nicht gut geschlafen oder einmal zu viel Kaffee oder Alkohol getrunken zu haben. Den Betroffenen ist dieser Zusammenhang aber nicht bewusst, weil es typischerweise erst in der Ruhephase nach länger andauerndem Stress, scheinbar aus heiterem Himmel, zu einer Attacke kommt.

Die dabei erfahrenen, heftigen körperlichen Reaktionen werden auch als Kontrollverlust erlebt. "Bei einer Panikattacke habe ich das Gefühl, da wischt's mich einfach weg, innerlich", sagt Anke Faber. Weil man fürchtet, dass sich so etwas wiederholt, entsteht aus der Angst vor der Reaktion des eigenen Körpers die Angst, dass wieder eine solche Attacke passieren könnte. Diese Erwartungsangst, die "Angst vor der Angst", ist das eigentliche Problem bei einer Panikstörung. Sie führt in vielen Fällen dazu, dass die Betroffenen zusätzlich eine Agoraphobie entwickeln. Mit der früheren "Platzangst" (wörtlich: "Marktangst") ist nicht nur die Furcht vor offenen Plätzen gemeint. Heute versteht man darunter die Angst davor, seinen privaten Schutzraum zu verlassen, um sich an öffentliche Orte zu begeben, an denen keine Rückzugsmöglichkeit besteht.

Teufelskreis vermeiden

"In den USA wurde eine Agoraphobie früher als Folgezustand von Panikattacken interpretiert", sagt Morschitzky. Etwa die Hälfte der Agoraphobiker habe aber noch nie eine solche Attacke gehabt. Bei Panikpatienten komme es dann oft zur Angst vor dem Verlassen der Wohnung, wenn eine Attacke in der Öffentlichkeit passiert ist. "Zuerst meiden die Leute ähnliche Situationen, dann weitet sich das aus, und auf einmal können sie gar nichts mehr machen ohne Begleitung oder Medikamente."

Auch Anke Faber scheut bestimmte Situationen, seit sie wieder häufiger unter Panikattacken leidet: "Ich gehe zurzeit nicht in die Kirche oder gerne einkaufen, wenn ich weiß, da ist viel los". Sie fürchtet, beim Schlangestehen in eine Entspannungssituation zu geraten, die eine Attacke begünstigt – und die will sie möglichst nicht in der Öffentlichkeit erleben, obwohl sie weiß, dass Außenstehende in der Regel gar nicht mitbekommen, was sich dann in ihr abspielt. "Wenn ich das zu Hause hab, dann steh ich das anders durch, als wenn ich da unter Leuten bin", betont sie.

Eigentlich hat sie in jahrelanger Auseinandersetzung mit ihrem Leiden auch gelernt, dass sie sich mit einer Vermeidungsstrategie selbst einschränkt: "Die Angst vor der Angst lässt mich mein Leben anders planen und gestalten, als ich es täte, wenn ich das nicht hätte", sagt Faber. Das Schlimmste am Ausweichen vor der Panik ist, dass gerade dieses Vermeidungsverhalten den Teufelskreis aus Erwartungsangst und Panikattacken am Leben hält – "völlig unabhängig von den ursprünglichen Ursachen", betont Morschitzky. Potenziell "gefährliche" Unternehmungen zu vermeiden nagt am Selbstwertgefühl und verhindert die positive Erfahrung, eine solche Situation erfolgreich bewältigt zu haben. Stattdessen "werden viele dann irgendwann depressiv, weil sie viele Dinge, die schön sind im Leben, nur aus der Angst vermeiden, sie könnten eine Panik kriegen", so der Experte.

Keine Gegenattacke

Betroffen sind nach Morschitzkys Erfahrung vor allem 18- bis 35-Jährige, von denen 80 Prozent, etwa durch eine Verhaltenstherapie oder mithilfe eines Ratgebers, in kurzer Zeit wieder angstfrei sein könnten. Denn eigentlich gilt die Panikstörung sogar als Musterbeispiel einer erfolgreich behandelbaren Angsterkrankung – nur ist sie oft nicht das einzige Problem. In der klinischen Praxis bei Hausärzten und Psychotherapeuten seien Panikstörungen beispielsweise oft vermischt mit Depressionen, beruflichem Stress, einem Suchtproblem oder einer Neigung zu erhöhter Ängstlichkeit und Hypochondrie, sagt der Psychotherapeut.

Erschwert wird der Umgang mit den Angstzuständen auch dadurch, dass die naheliegende Reaktion nicht immer die richtige ist. Fatalerweise ist es gerade der Versuch, jedes Risiko auszuschließen, durch die Konzentration auf die Gefahr nach dem Motto "Hoffentlich bekomme ich jetzt keine Panik!", der zu einer Anspannung führt und eine Attacke wahrscheinlicher macht. Der Kampf gegen Erwartungsangst und Panik sei deshalb ein falscher Aufmerksamkeitsfokus – sich einfach abzulenken, funktioniere aber auch nicht, sagt Morschitzky: "Wenn einen was beschäftigt, kann man sich nicht so einfach ablenken."

Deshalb sind Elemente aus der Achtsamkeitstherapie hilfreich: Man nimmt die Angst wahr, lenkt seine Aufmerksamkeit aber nicht darauf – auch nicht, um dagegen anzukämpfen. Der Linzer Angstspezialist vergleicht das Erleben einer Panikattacke mit einer Autofahrt bei einem schweren Gewitter mit Hagel, Blitz und Donner, bei der jeder seine Aufmerksamkeit darauf lenkt, von A nach B zu kommen, und nicht darauf, keinen Unfall zu haben. "Das sind Beispiele, wo die Leute alles richtig machen", sagt Morschitzky. "Man muss ihnen vergegenwärtigen, dass sie die Ressourcen für solche Situationen haben und nie auf die Idee kämen, sich für feig zu halten, weil sie sich dabei nicht auf ihre Angst konzentriert haben." (Christoph Weymann, 28.1.2019)