Kiribati wird es bald nicht mehr geben. Der Inselstaat mitten im Pazifik wird Berechnungen zufolge noch im Laufe dieses Jahrhunderts durch den steigenden Meeresspiegel überflutet werden, 110.000 Menschen verlieren dadurch ihre Heimat.

Doch ist der Inselstaat bei weitem nicht das einzige betroffene Land: Die Weltbank rechnet weltweit bis 2050 mit 140 Millionen sogenannten Klimaflüchtlingen. Der Begriff selbst ist ein wenig irreführend: Denn der Klimawandel wird nach wie vor nicht als Fluchtgrund anerkannt. Dabei gehen klimatische Extreme und darauffolgende Konflikte zahlreichen Fluchtbewegungen voraus, wie eine am Mittwoch veröffentliche Studie der Wirtschaftsuniversität Wien (WU) und des Internationalen Instituts für angewandte Systemanalyse (IIASA) feststellte.

Ein Forscherteam rund um den Volkswirt Jesús Crespo Cuaresma analysierte dazu Asylanträge aus 157 Ländern und verglich diese mit Klimabedingungen und Kriegstoten in den jeweiligen Herkunftsländern. "Die Studie macht deutlich, dass die wachsende Zahl an Dürreperioden und Wasserknappheit Konflikte und Krisen verstärken", sagt Crespo Cuaresma. Vor allem für die Zeit zwischen 2011 und 2015 würde es eine statistisch signifikante Beziehung zwischen Klimaereignissen, Konflikten und Flucht geben, sagt der Wissenschafter. Das würde natürlich nicht ausschließen, dass es auch vor dieser Periode einen Zusammenhang zwischen den Phänomenen gab, dieser war jedoch "nicht systematisch".

Folgen des Klimawandels wie Dürre und Trockenheit führen in einigen Ländern der Welt zu sozialen und wirtschaftlichen Konflikten
Foto: FADEL SENNA

Als Beispiel nennen die Studienautoren die Unruhen in Tunesien, Libyen, im Jemen und in Syrien. Bevor der Arabische Frühling Ende 2010 ausgebrochen ist, gab es etwa in Syrien eine dreijährige Dürreperiode, die zu einem massiven Engpass der Grundwasserversorgung führte. Die Trockenheit hat – gepaart mit schlechter Planung und mangelhaftem Wassermanagement – zu mehrjährigen Ernteausfällen und anschließenden Lebensmittelengpässen geführt.

Daraufhin sind die Preise für Grundnahrungsmittel explodiert, hunderttausende Menschen sind auf der Suche nach einem besseren Leben in Städte gezogen.

Die urbane Bevölkerung Syriens wuchs in Folge zwischen 2002 und 2010 von 8,9 auf 13,8 Millionen Menschen an. In den Metropolen hat das rasante Wachstum wiederum Druck auf die städtische Infrastruktur, den Jobmarkt und Sozialeinrichtungen ausgeübt – Bereiche, die nach Angaben der Studienautoren durch das Assad-Regime nur stiefmütterlich behandelt worden waren.

Somit haben die Dürre sowie die mangelhafte Agrar- und Umweltpolitik schließlich zu den politischen Unruhen in Syrien beigetragen, sagt Crespo Cuaresma: "Es entstand eine Überbevölkerung der Städte, viele Menschen waren ohne Arbeit, der Grundstein für politische Unruhen und Krieg war gelegt."

Globales Phänomen

Der arabische Raum ist nicht die einzige Region der Welt, in der sich Zusammenhänge zwischen Klimawandel und Fluchtbewegungen herstellen lassen, sagt der Studienautor im Gespräch mit dem STANDARD. Ähnlich Beispiele seien auch im subsaharischen Afrika zu finden, etwa in Südsudan.

Für die Studie wurde eine Vielzahl an sozioökonomischen und geografischen Daten herangezogen. So wurden unter anderem kriegsbedingte Todesfälle analysiert und Asylanträge ausgewertet. Die Wissenschafter arbeiteten außerdem mit einem Index, der Dürreperioden im Vergleich zu durchschnittlichen Klimabedingungen misst, und speisten die Daten in ein eigens entwickeltes Modell ein. Eine Kombination, die es nach Angaben von Crespo Cuaresma bisher noch nicht gab: Zwar wurde in der Vergangenheit mehrfach getrennt zu Klimawandel und Fluchtbewegungen geforscht, die Kausalität zwischen Klimaereignissen und Konflikten sowie Konflikten und Migration wurde bisher aber noch nicht analysiert.

So fanden klimainduzierte Konflikte und darauffolgende Migrationsbewegungen bisher auch keine Beachtung in den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen (SDGs), kritisieren die Studienautoren.

Infolgedessen fliehen Millionen Menschen pro Jahr in andere Länder.
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Weltweit wirkt sich der Klimawandel sehr unterschiedlich aus: In einigen Regionen – wie in Kiribati – steigt der Meeresspiegel bedrohlich an. Das kann nicht nur zu einem Verlust des Lebensraums führen, auch wirtschaftliche Tätigkeiten wie etwa die Fischerei werden dadurch beeinflusst. In anderen Teilen der Welt führen hingegen Starkregen, Temperaturanstiege und zunehmende Stürme dazu, dass Menschen ihre Heimat verlassen.

Wie stark sich klimatische Veränderungen auf die Gesellschaft auswirken, hänge generell auch davon ab, wie ein Staat geführt wird, heißt es in der Studie. "Klimawandel wird nicht immer und überall Ursprung jedes Konflikts und des daraus resultierenden Migrationsstroms sein", sagt der Studienautor. Gerade in Ländern mit schwachen staatlichen Institutionen und niedrigem Demokratisierungsgrad sowie in Staaten, die sich in einer politischen Transformation befinden, könnten extreme klimatische Bedingungen jedoch Konflikte ankurbeln.

Forscher der WU Wien und des IIASA belegten erstmals einen direkten Zusammenhang von Klimawandel-Extremereignissen, Konflikten und Flüchtlingsbewegungen.
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"Keine Region ist immun gegen den Klimawandel", sagt auch die Uno-Flüchtlingshilfe UNHCR. Zuletzt waren nach Angaben der Organisation besonders Niedrigeinkommensländer in Asien stark von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen.

Die Flüchtlingshilfe geht davon aus, dass seit 2008 jährlich 21,5 Millionen Menschen aufgrund von klimabedingten Ereignissen ihre Heimat verlassen mussten. "Für die UNHCR sind die Konsequenzen des Klimawandels enorm", schreibt die Organisation auf ihrer Homepage. Sollte sich das Weltklima weiterentwickeln, wie in den vergangenen Jahrzehnten, sei das Überleben mancher Pflanzen- und Tierarten – und damit die Lebensgrundlage vieler Menschen – in bestimmten Regionen nicht mehr gesichert.

Klimatische Veränderungen würden jedoch nicht nur zu Migrationsbewegungen führen, sie würden vice versa auch negative Umweltbelastungen verursachen. So kommt es nach Angaben der Weltflüchtlingsorganisation gerade im Umkreis von Flüchtlingslagern immer wieder zu Problemen mit Überfischung, Abholzung und Wilderei.

Das Ende der Fahnenstange ist jedenfalls noch lange nicht erreicht, meint auch der WU-Wissenschafter Crespo Cuaresma: "Anhand der existierenden Projektionen ist zu erwarten, dass klimatische Bedingungen in den kommenden Jahrzehnten zu einer Zunahme an Fluchtbewegungen führen werden." (Nora Laufer, 23.1.2019)