Labour-Chef Corbyn wittert Morgenluft.

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London/Brüssel – Im Brexit-Streit erhöht die britische Opposition den Druck auf Premierministerin Theresa May. Labour-Chef Jeremy Corbyn forderte am Dienstag, die Federführung für die Verhandlungen über den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union der Regierung zu entziehen und dem Parlament zu übertragen. Gleichzeitig wies er den Weg zu einem neuen Referendum über den Verbleib in der EU.

Führende EU-Politiker zeigten sich ernüchtert über Mays Rede vom Montag, mit der sie neue Bewegung in die festgefahrenen Gespräche bringen wollte. Ihre Ankündigung, bei erneuten Verhandlungen mit der EU Zugeständnisse zu erreichen, stießen weitgehend auf Ablehnung.

Corbyn schlug einen Zusatz zum Entwurf für den Brexit-Vertrag vor, der dem Parlament das Recht gegen soll, über Möglichkeiten zur Vermeidung eines harten Brexit abzustimmen. Zudem soll es mehr Zeit für Beratungen geben. Nach Angaben der Labour-Partei sollten Optionen wie die permanente Mitgliedschaft in der europäischen Zollunion und eine Volksabstimmung über den Brexit-Vertrag erörtert werden. Beide Vorschläge hatte May in der Vergangenheit allerdings mehrfach ausgeschlossen. "Unser Zusatzvertrag wird es den Abgeordneten ermöglichen, über Möglichkeiten zur Beendigung der Brexit-Blockade abzustimmen und das Chaos eines ungeregelten Austritts abzuwenden", sagte Corbyn. Nach dem bisherigen Fahrplan soll das Parlament kommenden Dienstag über Ergänzungen zum Brexit-Vertrag abstimmen.

Aus London nichts Neues

Ein Sprecher der EU-Kommission sagte, derzeit gebe es aus Brüssel nichts Neues, weil es aus London nichts Neues gebe. Er forderte die britische Regierung auf, ihre Absichten zu konkretisieren.

Dagegen sah die britische Regierung Ansatzpunkte für Nachbesserungen beim zentralen Streitpunkt, der Ausgestaltung der Grenzkontrollen zwischen Irland und dem britischen Nordirland. Der britische Brexit-Minister Stephen Barclay sagte der BBC, seine Regierung arbeite an einem Vorschlag für eine geänderte Notfalllösung für Nordirland.

EU-Staaten hinter Irland

Belgiens Außenminister Didier Reynders betonte die einhellige Unterstützung Irlands durch die EU-Staaten. "Wir sind im Moment alle Iren", sagte er in Brüssel. Die irische Regierung will vermeiden, dass an der Grenze zu Nordirland Behinderungen für den Personen- und Warenverkehr entstehen. Dann aber würde Nordirland im Gegensatz zum Rest Großbritanniens im EU-Binnenmarkt verbleiben. Dieser Zustand soll auch dann weiter gelten, sollten es die EU und Großbritannien in einer Übergangsphase nicht schaffen, sich auf ein Handelsabkommen zu einigen. Reynders erklärte, die EU warte immer noch auf neue Vorschläge zum Brexit aus London.

Die nordirische Partei DUP, die die Minderheitsregierung von May bisher unterstützt, forderte, alle Regelungen zum Grenzregime in Irland müssten dasselbe Gewicht wie der eigentliche Brexit-Vertrag haben. Die DUP lehnt die bisher ausgehandelte Ausgestaltung der Grenze auf der irischen Insel ab. May hatte angekündigt, Bedenken über den sogenannten Backstop bei neuerlichen Verhandlungen mit der EU auszuräumen.

Der Brexit ist für den 29. März terminiert. Sollte es bis dahin keinen Vertrag über die künftigen Beziehungen zwischen der EU und Großbritannien geben, würden zwischen beiden Wirtschaftsräumen die Regeln der Welthandelsorganisation WTO gelten. Dies würde den Warenfluss und Lieferketten erheblich beeinflussen. Experten rechnen mit einem starken Dämpfer für die Konjunktur.

Lagarde warnt vor Chaos

In weiten Kreisen der Wirtschaft stößt der Brexit auf grundsätzliche Kritik. So warnte beispielsweise der Chef des Sportartikel-Herstellers Adidas, Kasper Rorsted, in der "Süddeutschen Zeitung": "Der Brexit ist die dümmste ökonomische Entscheidung seit langem." Auch IWF-Chefin Christine Lagarde warnte vor Unwägbarkeiten. Das offensichtlich schlimmste Szenario sei ein ungeregelter Brexit, sagte sie dem TV-Sender CNBC. (APA, 22.1.2019)