Nach der Ablehnung des Brexit-Deals durch das britische Unterhaus sind einige Fragen beantwortet, viele aber noch offen. DER STANDARD versucht die wichtigsten zu beantworten.

Könnte es zu Neuwahlen kommen?

Ja. Zwar kann Premierministerin May nicht einfach von sich aus Neuwahlen ausrufen, sehr wohl aber könnte sie – wie schon in der Vergangenheit – die Abgeordneten bitten, dies zu tun. Laut dem "Fixed Parliaments Act" müssten demnach zwei Drittel der Parlamentarier für einen solchen Antrag stimmen. Frühestens innerhalb von 25 Werktagen könnten dann Neuwahlen ausgerufen werden. Die Premierministerin entscheidet über das genaue Datum. Jeremy Corbyn, Oppositionsführer der Labour-Partei, gilt als prominentester Fürsprecher dieser Option.

Auch im Falle des gegen May angestrebten Misstrauensvotums gehören Neuwahlen zu den Optionen.

Bleibt Zeit für ein zweites Referendum?

Die Idee eines erneuten Referendums über den tatsächlich vorliegenden Brexit-Deal schwirrt schon seit einigen Monaten herum. Das Hauptargument der Befürworter ist, dass sich mittlerweile schlichtweg zu viel geändert habe. Zu viele Menschen hätten 2016 während des Brexit-Votums für etwas gestimmt, das sich so mittlerweile nicht mehr im Austrittsvertrag findet. Wie ein zweites Referendum ausgehen würde, kann man dennoch nicht so einfach sagen. Es käme sowohl darauf an, welche und wie viele Optionen es gibt, aber auch darauf, wie gut die verschiedenen Lager die Wähler mobilisieren können. Laut der renommierten Umfrageagentur YouGov glaubt allerdings nur noch rund ein Fünftel der Briten an ein zweites Referendum.

Warum haben so viele Abgeordnete gegen den Deal gestimmt? Was sind ihre Kritikpunkte?

Theresa May wollte es allen recht machen und hat damit niemanden so richtig überzeugt. Für Abgeordnete, die eine möglichst nahe Bindung an die EU befürworten oder den Brexit ganz verhindern wollen, führt das Abkommen ohne Mitgliedschaft in der Zollunion oder dem gemeinsamen Markt Großbritannien zu weit weg vom Kontinent.

Traditionelle EU-Gegner in Mays eigenen Reihen sehen in dem Abkommen wiederum zu viele Zugeständnisse an die EU: Speziell der Kompromiss in der Nordirland-Frage war für viele Abgeordneten in der konservativen Partei ein Grund, gegen den Deal der Premierministerin zu stimmen. Denn sollten die Verhandlungen über die Grenze zwischen der Republik Irland und Nordirland nicht zeitgerecht zu einem Ergebnis führen, sieht der sogenannte "Backstop" vor, dass Nordirland regulativ näher an der EU bleibt als der Rest Großbritanniens. Kritiker sehen darin die Gefahr, dass die Union aus England, Schottland, Wales und Nordirland zerbricht. Besonders heikel für May: Ohne die nordirische DUP, die in fundamentaler Weise die Union mit Großbritannien verficht, haben die Konservativen keine Mehrheit im Parlament.

Das sagen Briten in Österreich zum Brexit – deutsche Untertitel können über das Zahnrad-Symbol ausgewählt werden.
DER STANDARD

Ist der Deal im Parlament damit nun endgültig gescheitert?

Nein. Theoretisch kann die Regierung denselben Antrag noch weitere Male einbringen – die Erfolgschancen wären freilich überschaubar. Die Regierung hat auch noch die Möglichkeit, nachzuverhandeln und im Parlament einen adaptierten Deal zu präsentieren. Ob die EU aber zu weiteren Zugeständnissen bereit ist, ist sehr fraglich. Und wenn, sind diese den May-Kritikern wahrscheinlich zu gering, als dass sie diesem neuen Deal zustimmen würden.

Grundsätzlich könnte jede parlamentarische Mehrheit jederzeit bis zum Austrittsdatum einen neuen Brexit-Text verabschieden.

Ist das Austrittsdatum am 29. März in Stein gemeißelt?

Nein. Wenn alle (zurzeit noch 28) EU-Staaten dafür sind, kann das Datum für den Austritt nach hinten verschoben werden. Bisher haben aber beide Seiten, also die EU und die britische Regierung, betont, am Datum festhalten zu wollen.

Anders sieht das Labour-Chef Jeremy Corbyn. Der Oppositionschef möchte Neuwahlen, diese gewinnen und dann seine eigene Brexit-Version verhandeln (siehe oben). Dazu müsste das Austrittsdatum verschoben werden.

Kryptisch: Ratspräsident Donald Tusk.

Theoretisch könnte der Brexit auch ganz abgeblasen werden, und zwar einseitig von Großbritannien, ohne Zustimmung der anderen EU-Staaten. Das hat der Europäische Gerichtshof Mitte Dezember entschieden. Es genügt dafür ein Brief des amtierenden Regierungschefs.

Ist die EU zu weiteren Kompromissen bereit?

Die EU-Spitzen werden seit Vertragsabschluss Anfang Dezember nicht müde zu betonen, dass es keine Neuverhandlungen mit der EU geben wird. Gespräche könne man immer führen, fügte EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker zum Beispiel vor wenigen Tagen hinzu, aber am Vertragstext werde nichts geändert. Zugeständnisse seitens der EU werden somit lediglich in Form von "Zusatzerklärungen" oder Briefen gemacht.

Am Montag etwa schickten Juncker und EU-Ratspräsident Donald Tusk einen Brief an May, mit dem sie die Bedenken der Londoner Parlamentarier eindämmen wollten. Enthalten sind darin zwei wichtige Punkte: erstens eine Garantie dafür, dass der "Backstop", also die Grenzlösung mit Irland, wenn überhaupt, dann nur temporär zum Zug kommen würde. Und zweitens die Zusicherung, dass diese Garantie "juristischen" Wert habe.

Was passiert, wenn der Misstrauensantrag erfolgreich ist?

Damit der Antrag erfolgreich ist, braucht es lediglich eine einfache Mehrheit. Innerhalb von zwei Wochen müsste dann eine Partei versuchen, eine Regierung aufstellen. Prinzipiell ist aber nicht zu erwarten, dass May das Misstrauensvotum verliert, hat doch die nordirische DUP – die Mays Minderheitsregierung stützt – angekündigt, May zur Seite zu stehen. Wenn die konservativen Tories also geschlossen hinter ihrer Parteichefin stehen, dürfte May wohl auch Donnerstagfrüh noch als Premierministerin des Vereinigten Königreichs aufwachen. (Stefan Binder, Anna Sawerthal, Fabian Sommavilla, 16.1.2019)