Wien – Harald Mahrer ist eigentlich der Mann fürs Digitale. Er redet bei jeder Gelegenheit über Start-ups und die Chancen der Digitalisierung. So ganz schwört der Wirtschaftskammerpräsident alten Traditionen aber nicht ab. Am Mittwoch findet auf seine Einladung wieder die sogenannte "Knackwurstjause" statt. Bei diesem Empfang, der seit Kriegsende zu Jahresbeginn über die Bühne geht, tauschen sich die Sozialpartner und der eine oder andere Spitzenpolitiker in lockerer Atmosphäre aus.

Auch wenn das Setting auf einen langjährigen Brauch zurückgeht, haben sich die Rahmenbedingungen im letzten Jahr massiv geändert. Alle vier Sozialpartner bekamen 2018 neue Präsidenten (siehe unten), der Kurs der Bundesregierung hat zu einer Schwächung der Arbeitnehmerseite geführt. In der Wirtschaftskammer (WKO) herrscht dafür weitgehend Begeisterung über die Koalition.

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Unter Benya und Sallinger hatte die Knackwurst noch etwas Verbindendes. Ob ihr das bei Harald Mahrer und Wolfgang Katzian gelingt, muss sich erst weisen.
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Machtverschiebung

Ihr langjähriger Wunsch nach einer Arbeitszeitflexibilisierung wurde erfüllt. Der Zwölfstundentag ist zwar auch jetzt nicht die Norm, kann aber häufiger zur Anwendung kommen. Bei der Sozialversicherungsreform wurden die roten Funktionäre zurückgedrängt, die schwarzen oder türkisen gewannen an Macht. Außerhalb der Sozialpartnerschaft wurde auch die Regionalisierung der Mangelberufsliste entschieden. Die Unternehmen haben es nun leichter, Arbeitskräfte aus Nicht-EU-Ländern zu holen.

Auf die lange Bank

Andere Materien wie der Papamonat oder die bessere Anrechnung von Karenzzeiten, die den Arbeitnehmern ein Anliegen sind, bleiben hingegen Sozialpartnermaterie – und werden daher mangels Konsenses auf die lange Bank geschoben. Eine größere Sozialpartnereinigung gab es zuletzt bei keinem Thema.

All das hat im abgelaufenen Jahr zu einer Klimaverschlechterung geführt. Die vom Gewerkschaftsbund und seinem neuen Präsidenten Wolfgang Katzian organisierte Demo gegen den Zwölfstundentag im Juni war die größte seit den Protesten gegen die Pensionsreform unter Schwarz-Blau I im Jahr 2003. Fortgesetzt hat sich die frostige Stimmung bei den Kollektivvertragsverhandlungen im Herbst.

Im Juni gelang es der Gewerkschaft, breite Massen gegen das Arbeitszeitgesetz zu mobilisieren. Beschlossen wurde es trotzdem.
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Frist verstrichen

In einem Punkt hat Türkis-Blau im Vorjahr aber gekniffen. Eigentlich hätten die Kammern bis Ende Juni 2018 "konkrete Effizienzsteigerungen und finanzielle Entlastungsmaßnahmen für die jeweiligen Mitglieder" vorlegen sollen. So steht es im Regierungsprogramm. Andernfalls will die Koalition mit "gesetzlichen Maßnahmen" für Entlastungen sorgen.

Die Frist ist ohne konkrete Sparmaßnahmen verstrichen. Die Arbeiterkammer (AK) unter deren neuer Präsidentin Renate Anderl gab ein "Zukunftsprogramm" ab, das keine Beitragssenkung vorsah, dafür aber neue Leistungen in den Bereichen Wohn-, Pflegegeld- und Bildungsberatung. Für eine Digitalisierungsoffensive werden 150 Millionen Euro reserviert.

Die Wirtschaftskammer zog sich auf den Standpunkt zurück, dass schon unter Mahrer-Vorgänger Christoph Leitl ein Sparprogramm im Ausmaß von 135 Millionen Euro beschlossen wurde. In Kraft getreten ist es erst heuer.

Konflikt nicht befeuern

Damit gab sich die Regierung vorerst zufrieden. Man wollte den Konflikt rund um das Arbeitszeitgesetz nicht zusätzlich befeuern. ÖVP-Chef und Kanzler Sebastian Kurz habe daher bewusst darauf verzichtet, den Sozialpartnern gesetzliche Vorgaben zu machen, erzählt man in Koalitionskreisen.

Aufgeschoben ist aber nicht aufgehoben. Im Laufe der Legislaturperiode werde man weitere Einsparungen verlangen, heißt es. Kommen solche Vorschläge nicht von den Kammern selbst, wird der Gesetzgeber initiativ werden.

Offen sei nur der Zeitpunkt. Abgewartet werden jedenfalls die Arbeiterkammerwahlen, die Anfang April enden. Redet man im Wahlkampf über Beitragskürzungen, würde das nur den Roten nutzen, argumentieren die koalitionären Strategen. Nicht zuletzt deshalb hat man zuletzt auch rund um die Steuerreform davon Abstand genommen, die AK-Umlage für Geringverdiener zu senken.

Auch Wirtschaft muss sparen

Klar sei aber, dass auch die WKO weiter sparen müsse, wenngleich die jüngste Senkung der Kammerumlage "natürlich berücksichtigt" werde, wie es heißt. Intern haben die Leitl'schen Vorgaben durchaus für Rumoren gesorgt. Umsetzen muss sie nun Mahrer, der von einigen Länderkammern durchaus skeptisch betrachtet wird. Er steht zudem unter Druck, weil die geplante Senkung der Körperschaftsteuer womöglich erst 2022 kommt.

Öffentlich nie Thema war bisher, ob auch die Landwirtschaftskammer unter ihrem neuen Präsidenten Josef Moosbrugger sparen müssen wird. Ihr Einfluss in der Agrarpolitik besteht wie eh und je. Innerhalb der Sozialpartnerschaft hat sie eine Art Sonderrolle: Ihr fehlt das Pendant zum Streiten.

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Die Sozialpartnerorganisationen im Überblick:

Arbeiterkammer:

Renate Anderl ist seit April Präsidentin der Arbeiterkammer
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  • Präsidentin: Nach dem Abgang Rudolf Kaskes steht die Wienerin Renate Anderl an der Spitze der Arbeitnehmer. Die Laufbahn der heute 56-Jährigen ist eng mit den Institutionen der Sozialpartnerschaft verzahnt. Anderl begann als Sekretärin beim ÖGB, stieg später zur Frauenchefin der Gewerkschaft auf und ist nun seit einem halben Jahr Präsidentin der AK.
  • Mitglieder: Von allen Sozialpartnern ist die Arbeiterkammer am mitgliederstärksten. Sie umfasst sämtliche 3,7 Millionen Arbeitnehmer des Landes. Diese sind gesetzlich zur Mitgliedschaft verpflichtet.
  • Finanzierung: Fast das gesamte Budget wird durch die Beiträge der Mitglieder gedeckt. Die Arbeitnehmer müssen 0,5 Prozent ihres Bruttogehalts als Kammerumlage abführen, wobei manche Gruppen (z. B. Lehrlinge und geringfügig Beschäftigte) von der Zahlung ausgenommen sind.
  • Position: Aktuell hat sich die Organisation dem Thema Wohnen verschrieben. In den Städten herrsche mittlerweile ein "Mietwucher", beklagt Anderl. Dagegen wünscht sie sich einen "Wohnbonus", also die steuerliche Absetzbarkeit von Wohnkosten.

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ÖGB:

Wolfgang Katzian ist seit Juni 2018 Präsident des ÖGB.
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  • Präsident: Der neue ÖGB-Chef Wolfgang Katzian (62) ist ein sozialdemokratisches Urgestein. In der Gewerkschaft ist er seit gut 40 Jahren aktiv, mehr als ein Jahrzehnt saß er für die SPÖ im Nationalrat. Markige Sprüche gegen die aktuelle Bundesregierung trägt Katzian zumeist in breitem Wienerisch vor.
  • Mitglieder: Im Unterschied zu den Kammern gibt es beim ÖGB keine Pflichtmitgliedschaft. Die Mitgliederzahl rangiert in den letzten Jahren stabil bei 1,2 Millionen.
  • Finanzierung: Wie die Arbeiterkammer erhält auch der ÖGB den Großteil seiner Einnahmen durch Mitgliedsbeiträge. Gewerkschaftsmitglieder zahlen ein Prozent ihres Bruttogehalts.
  • Position: Seit dem Amtsantritt der arbeitgeberfreundlichen schwarz-blauen Koalition agiert der ÖGB kämpferischer als bisher – zumal die SPÖ in Opposition ist. Gegen das neue Arbeitszeitgesetz und den dadurch ermöglichten Zwölfstundentag organisierte die Gewerkschaft eine Großdemonstration. Die Sozialversicherungsreform bezeichnet Katzian als "Anschlag auf die Versorgung der Versicherten".

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Wirtschaftskammer:

Harald Mahrer ist seit Mai 2018 Nachfolger von Christoph Leitl.
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  • Präsident: Als Chef der Wirtschaftskammer fungiert ein enger Vertrauter des Bundeskanzlers. Harald Mahrer (45), der auch Präsident der Nationalbank und des Wirtschaftsforschungsinstituts ist, gilt als loyaler Weggefährte von Sebastian Kurz. Er folgte 2018 Christoph Leitl nach, der das Amt des WKO-Präsidenten fast zwanzig Jahre lang geprägt hatte.
  • Mitglieder: Alle Unternehmen – mit Ausnahme landwirtschaftlicher Betriebe – sind zur Mitgliedschaft in der WKO verpflichtet. Das sind mehr als eine halbe Million Mitglieder.
  • Finanzierung: Die Unternehmen müssen für ihre Mitgliedschaft bis zu drei Beiträge (Grundumlage, Kammerumlage 1 und 2) entrichten, die an jeweils unterschiedliche Bemessungsgrundlagen anknüpfen.
  • Position: Die Wirtschaftskammer hat als Unternehmerverband einen guten Draht zur wirtschaftsliberalen Koalition. Für die geplante Steuerreform der Regierung meldete Mahrer einige Forderungen an, die die Kosten der Unternehmer verringern sollen. Bei der Körperschaftsteuer stellt er sich eine Senkung von derzeit 25 Prozent auf unter 20 Prozent vor.

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Landwirtschaftskammer:

Josef Moosbrugger hat die Landwirtschaftskammer im Mai 2018 übernommen.
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  • Präsident: Der Vorarlberger Milchbauer Josef Moosbrugger (52) steht seit Mai 2018 an der Spitze der Landwirtschaftskammer in Österreich – als Präsident der Präsidenten der Landeskammern. Der dreifache Vater ist fest in der ÖVP verankert, genauer gesagt im Bauernbund, dessen Landesobmann er in Vorarlberg ist. Seit 1999 ist Moosbrugger Präsident der Vorarlberger Kammer.
  • Mitglieder: Rund 650.000 juristische und natürliche Personen sind bei den Wahlen ihrer Landwirtschaftskammer stimmberechtigt. Sie sind per Gesetz Mitglied in ihrer Landeskammer, weil sie selbst eine Land- oder Forstwirtschaft (mit)betreiben, landwirtschaftliche Flächen besitzen oder eine bäuerliche Genossenschaft vertreten.
  • Finanzierung: Die Mitgliedsbeiträge orientieren sich an der betriebenen Fläche, machen aber nur einen kleinen Teil der Budgets der Kammern aus. Das Gros kommt über Förderverträge mit den Bundesländern herein.
  • Position: Aktuelles Topthema der Vertretung ist der Kampf gegen Kürzungen bei den üppigen EU-Förderungen. (Günther Oswald, Theo Anders, Sebastian Fellner, 16.1.2019)