Keine Frage, Sebastian Kurz ist es gelungen, ein Thema zu setzen, und zwar über den Tag hinaus: Wann stehen die Wiener auf? Und sind die Bezieher der Mindestsicherung tatsächlich faule Sozialschmarotzer? Über die erste Frage kann man mit Humor diskutieren, man kann auch entrüstet sein. Die Vorhaltung, die sich in der zweiten Fragestellung verbirgt, kann man zurückweisen, man kann dem Fakten entgegenhalten, letztlich wird die Antwort darauf je nach Einstellung, Wertekompass und Empathievermögen unterschiedlich ausfallen.

Kurz hat mit diesem Thema nicht nur seine eigene Anhängerschaft mobilisiert, die auf den Leistungsgedanken eingeschworen ist, er hat auch einen Teil der FPÖ-Wähler mobilisiert, die empört sind, dass Flüchtlinge ohne Arbeit zu ausreichend Geld kommen. Das war geschickt.

Kurz hat aber auch die Klientel von SPÖ und Grünen mobilisiert, besser als es diese beide Parteien selbst vermocht hätten. Die sind jetzt rechtschaffen empört über einen kalten Kanzler, der kein soziales Gewissen hat und seinem Zynismus freien Lauf lässt. Das hat Kurz so sicher nicht gewollt, offenbar aber bewusst in Kauf genommen: Die Debatte über lang schlafende Arbeitslose überdeckt den Umstand, dass bei der Regierungsklausur nur heiße Luft herausgekommen ist. Auch der Datenfluss von der ÖVP zum Verfassungsschutz ist aus den Schlagzeilen verdrängt. Diese Übung ist – aus der Sicht von Kurz – vorerst einmal gelungen. (Michael Völker, 14.1.2019)