Annemarie Moser-Pröll (rechts) reiste umsonst an, ihre Aussage wurde nicht gebraucht – worüber sie lautstark moserte.

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Bludenz/Wien – Nach knapp sechs Stunden der Knalleffekt: Karl Kahrs Anwalt Manfred Ainedter, die Zeugin Nicola Werdenigg und Verteidiger Martin Mennel liefern einander Schreiduelle. Ainedter will eine Messenger-Meldung von Werdenigg an eine Freundin Annemarie Moser-Prölls verlesen, sie verwahrt sich dagegen, es gehe dabei um private Familienangelegenheiten. Richterin Daniela Flatz reißt der sehr elastische Geduldsfaden. Ainedter hatte keinen Beweisantrag gestellt, sogar die Verhandlungsführung an sich gerissen. Die Richterin unterbricht die Verhandlung.

Nach zehnminütiger Abkühlung wird die Öffentlichkeit ausgeschlossen, weil das Privatleben der Zeugin zur Sprache kommen würde. Auf dem Gang warten nun die zahlreichen Journalisten und die Hauptzeugen des Klägers, Annemarie Moser-Pröll und deren Schwester Eva unterhalten sich mit Fans.

Reputation

Worum geht es eigentlich bei dem Prozess? Kahr will seine Reputation wiederherstellen. Das angeklagte Ehepaar – die Frau selbst eine Betroffene sexueller Gewalt – will auf das System aus Gewalt und Missbrauch in den glorreichen Zeiten des ÖSV aufmerksam machen.

Konkret wird wegen Whatsapp-Nachrichten des Paares prozessiert. Sailer und Kahr hätten zusammen viele Mädchen missbraucht und gebrochen, schrieb der Ehemann einer früheren Skirennläuferin an deren ehemalige Teamkollegin Moser-Pröll. Die Angeklagte nannte Kahr "deinen Entjungferer, du warst noch keine 16 Jahre alt". Moser-Pröll schickte die Nachrichten an ihren Freund Kahr weiter, der klagte wegen übler Nachrede und machte damit die private Nachricht öffentlich.

Der zweite Tag

Am zweiten Prozesstag am Bezirksgericht Bludenz – die beiden Angeklagten leben in dem Gerichtsbezirk – sollte geklärt werden, ob der Mann, der mit dem Skizirkus nichts zu tun hat und hatte, den Vorwurf im guten Glauben an Aussagen von Zeitzeugen geschrieben hat. Der 86-jährige Kahr, ehemaliger ÖSV-Trainer, blieb der Verhandlung fern. Sein Anliegen, die Glaubwürdigkeit von Angeklagten und Zeugen der Verteidigung zu schmälern, war bei Anwalt Ainedter in guten Händen. Dessen Strategie war klar: mit allen Mitteln die Glaubwürdigkeit der Zeugen angreifen.

Stundenlang drehte sich die Befragung um ein Treffen zwischen den Angeklagten, Werdenigg, einem ehemaligen "Stern"-Reporter sowie STANDARD-Sportredakteuren vor Weihnachten 2017 in Werdeniggs Wohnung. Dort soll der Erstangeklagte von den Zeitzeugen erstmals mit den Geschehnissen der 1970er-Jahre konfrontiert worden sein.

Gesprochen wurde über sexuelle Gewalt durch Sailer und Kahr nach Alkoholexzessen. Über Bevorzugungen von Annemarie Pröll durch Kahr, über Sperren aufmüpfiger Athletinnen, über sexuell konnotierte Prahlereien von Trainern und Serviceleuten.

Der frühere "Stern"-Reporter sagte, er habe die Missbrauchsvorwürfe recherchiert, ihm hätten aber Beweise gefehlt, die vor Gericht halten würden. Die STANDARD-Redakteure verwiesen auf das Redaktionsgeheimnis und entschlugen sich der Aussage. Ainedter wiederholte Kahrs frühere Aussagen, es habe weder Alkoholexzesse noch Missbrauch gegeben.

Werdenigg bestätigte die Aussagen der Angeklagten, es habe Missbrauch und Ungerechtigkeiten der Trainer gegeben. Trainer wie Sportlerinnen hätten dem Alkohol über Gebühr zugesprochen, auch Pröll. Werdenigg machte weitere Übergriffe von ÖSV-Leuten öffentlich. Diese hätten in Gasthäusern junge Frauen unter dem Vorwand, Models zu suchen, für pornografische Aufnahmen in Hotels und Unterkünfte gelockt. "Es war kein Klima für sensible Menschen, schon gar nicht für junge Frauen."

Wütende Moser-Pröll

Moser-Pröll hatte schon im April ausgesagt. Dass sie nicht mehr angehört wurde, kritisierte sie aus den Zuschauerreihen lautstark. Als Richterin Flatz einen Verweis androhte, verließ sie den Saal wutentbrannt. Der Prozess endete mit einem Freispruch, die Nachrichten waren nicht für die Öffentlichkeit bestimmt, begründete die Richterin. Ainedter kündigte Rechtsmittel an. (Jutta Berger, 10.1.2019)