Susanna Wieseneder begleitet seit 15 Jahren Executives und Leadership-Teams.

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Früher sind Zukunftsutopie und -dystopie, aus zwei entgegengesetzten Richtungen kommend, frontal aufeinandergeprallt. Betrachtet man jetzt die Zukunftsstimmung bei den Leistungsträgern und Führungspersönlichkeiten, existieren sie parallel nebeneinander. Die einen planen und experimentieren für eine Zukunft, die sie positiv interpretieren. Die anderen spüren bereits die Bedrohung durch künstliche Intelligenz und haben das Ende von Geschäftsmodellen und Arbeitsplätzen deutlich vor Augen. Beides geschieht gleichzeitig, auch innerhalb von Unternehmen.

Ist daran die Digitalisierung schuld? Nein, ist sie nicht. Der Imperativ heißt nach wie vor Wachstum als einzige klare Richtung, in die alle gehen müssen. Die digitale Transformation wirkt dabei wie ein Brandbeschleuniger, auch in Bezug auf die gesellschaftlichen Umbrüche. Der Verursacher des Feuers ist sie aber nicht.

Wir stehen mitten in einem großen Umbau im Denken, Handeln und Fühlen. Dass aus der Raupe ein Schmetterling wird, das galt gestern. Heute muss aus der Raupe ein Tiger transformiert werden. Das Mittel zum Zweck heißt "Digitalisierung".

Aus meiner Begleitung von Führungspersönlichkeiten weiß ich, welche unterschiedlichen Phasen Menschen und Unternehmen durchlaufen und welche Dynamiken dabei entstehen – und welche Probleme lauern, wenn dabei Warnsignale übersehen werden. Denn es gibt sie, in jeder Phase: die Crack-Signals, die beachtet werden müssen, wenn man das Ziel erreichen will. Sie sind unterschiedlich, je nachdem, in welcher Phase sich das Unternehmen befindet. Im Wesentlichen lassen sich dabei drei Transitionstypen unterscheiden:

· Typus 1: DER BEGEISTERTE FRONTRUNNER
Das sind Unternehmen, die bereits mit neuen Arbeitsprinzipien wie Agilität und Holokratie erfolgreich arbeiten und Kundenzentriertheit leben. Aber Achtung, auch hier drohen Fallen – und es gibt Signale dafür.

  1. Agilität ist alles – und gleichzeitig nichts Als moderner Mythos wird Agilität oft unscharf verwendet. Geklärt werden muss, ob lediglich agile Methoden wie Scrum und Design-Thinking verwendet werden oder ob die Mitarbeiter über agile Skills oder bereits ein agiles Mindset verfügen, das entsprechendes Denken, Fühlen und Handeln gewährleistet. Denn allein die Nutzung von Methoden macht die Mitarbeiter und die Kultur noch nicht agil.
  2. Arbeit wird zur Selbstverwirklichung verklärt Das machen, was einem Spaß macht. Leidenschaft entfachen und leben. Brennen für die Werte des Unternehmens – und das 24/7. Wer will das nicht? Doch digitale Frontrunner erheben diese Bedürfnisse oft zum Muss und machen "New Work" zum Hafen der neuen Arbeitssehnsucht. Den theoretischen Unterbau dafür liefern Neurobiologie und Psychologie. Sie haben vielfach bewiesen, dass glückliche, sich identifizierende Mitarbeiter einen höheren Output erzielen. Daran ist nichts falsch. Aber es kann gefährlich werden, wenn diese Erwartung zur Norm wird und Menschen, die sich unterschiedlich entwickeln können und wollen, damit überfordert werden.
  3. Glücklich sein ist Vorschrift Work hard, play hard: So lautet das smarte Motto von smarten Unternehmen. Doch oft werden mit aufwendigen Employer-Branding-Maßnahmen falsche Erwartungen geweckt. Doch was geschieht mit dem stets eingekühlten Prosecco, wenn es nicht so läuft wie geplant, sich Misserfolge aneinanderreihen? Das Szenario Misserfolg ist im Unternehmenskonzept nicht vorgesehen, was es besonders schwierig macht, wieder in den Performance-Modus zu kommen.

· Typus 2: SCHWANKENDE TRANSITOREN
Was bisher gültig war, wird hinterfragt; die neuen Ziele sind noch vage. In diesem Stadium befinden sich vielen Unternehmen, die in der Umstellungsphase sind. Eine Spannung zwischen Abstoßen und Behaltenwollen wird bei den Führungskräften spürbar. Zwei Welten, die neue agile und die bisherige, müssen gleichzeitig gemanagt werden. Das erfordert Ambidextrie, Beidhändigkeit in der Führung in zwei Welten. Aber wer hat die schon automatisch? Warnsignale bei dieser Dynamik:

  1. Trennung in Gewinner und Abgehängte Durch die Dynamik des Übergangs teilen sich die Mitarbeiter oft in zwei Gruppen. Aufgepasst: In dieser Phase des Umbruchs brauchen gerade die Zweifler und die, die die neue Welt nicht mehr verstehen wollen und können, viel Aufmerksamkeit und neue Zugänge in der Führung.
  2. Strapazierte Glaubwürdigkeit Gestern noch im Nadelstreif im Büro, heute schon mit Sneakers und Hoodie im Projektleiter-Meeting. So erfreulich der Ausbruch aus der Uniformierung der 90er-Jahre ist, bedeutet er noch lange keinen Sinneswandel. Führungskräften, die in dieser Transitionsperiode agieren, arbeiten in zwei Welten und müssen daher stets ein Auge auf ihre äußere Glaubwürdigkeit haben.
  3. Verschwiegene Probleme Nur wer fit ist, kann auf der Überholspur mithalten. Deshalb machen sich, trotz Achtsamkeitspraktiken, Angstphänomene breit. Um in der Dynamik nicht auf die Verliererseite zu geraten, wird der pflegebedürftige Angehörige oder der arbeitslose Partner verschwiegen. Diese Form der Anpassung ist ein absoluter Indikator dafür, dass man hellhörig werden muss.

· Typus 3: ROBUSTE EINKESSLER
In diesen Unternehmen – oft sind es einzelne Abteilungen oder auch Tochtergesellschaften – wird auf Bewahren gesetzt. Das vertraute Umfeld wird geschützt, die alten Zeiten glorifiziert, eine Retrowirklichkeit geschaffen. Die wichtigsten Warnsignale:

  1. Wir gegen die anderen Verkürzung und Verknappung von Botschaften und Wahrheiten geben scheinbare Eindeutigkeit und damit Sicherheit. Das funktioniert nicht nur in der Politik, sondern auch in Firmen. Angst und Verlust werden bedient.
  2. Beweise, Beweise Das Neue hat es immer schwer, das Negative stets einen Startvorteil. Laut einer wissenschaftlichen Studie der Universität Chicago benötigen Menschen doppelt so viele Beweise, um die positiven Chancen einer Veränderung zu sehen, als für deren Nachteile.
  3. Zurück zur Autorität Manchmal ist es Unvermögen, manchmal schlichtes Desinteresse. In jedem Fall ist es ein Alarmsignal für alle Verantwortlichen, wenn in unsicheren Zeiten des Übergangs anerkannte Führungsstile über Bord geworfen und autoritäre Praktiken mit Abwertungen und Machtspielen zum Einsatz gelangen.

Fazit: Transformationsprozesse durchlaufen unterschiedliche Phasen mit unterschiedlichen Dynamiken. Alle zeichnen sich durch besondere Warnsignale aus, die sich von den herkömmlichen Reaktionen auf strategische und organisatorische Veränderungen deutlich unterscheiden, weil es bei Veränderung heute nicht mehr vorrangig um ein neues Organigramm und neue Zuständigkeiten geht. Die Transition von Unternehmen in schnelle, innovative, kundenzentrierte Organisationen, wie wir sie heute erleben, geht wesentlich tiefer in die persönliche Identität. Führungskräfte auf den verschiedenen Ebenen sind daher gefordert, ihren sechsten Sinn für Warnsignale zu schärfen, um ihre Teams und Unternehmen in eine kraftvolle Zukunft zu führen. (Susanna Wieseneder, 7.1.2019)