Bei einigen Hauseingängen im Sonnwendviertel finden sich Hinweisschilder, dass es sich hier um ein Wohngebäude handelt.

Foto: Der Standard / Martin Putschögl

Viele der neuen Eigentumswohnungen im Sonnwendviertel werden an Touristen vermietet.

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"Die Lage ist perfekt. Großer Park in der Nähe, U-Bahn 10 min zu Fuß. Absolut empfehlenswert!", urteilt eine gewisse "Marija" über die Ferienwohnung in der Nähe des Wiener Hauptbahnhofs, in der sie im März 2018 ein paar Tage residierte. "Die Wohnung ist ganz neu und sauber", schreibt eine "Anna" in den Bewertungen auf booking.com. 63 Euro kostet das Apartment im Sonnwendviertel für eine Nacht im kommenden Februar, 93 Euro sind es im Juli. Vier Urlauber haben in der mit "1 extragroßem Doppelbett und 1 Schlafsofa" ausgestatteten Wohnung bequem Platz. Check-in ist zwischen 15 und 22 Uhr, Check-out bitte bis 11 Uhr. Buchen kann man diese "stylishe" Ferienwohnung in der Hlawkagasse seit 25. Jänner 2018 auf booking.com.

Ein wenig länger schon wohnt Susanne Berger (Name von der Redaktion geändert) aus Wien-Favoriten in dem Haus. Ihre Wohneinheit hat sie aber nicht gebucht, sondern 2016 käuflich erworben, direkt vom Bauträger. Von diesem ließ sie sich ihren Angaben zufolge kurz vor der Unterschrift unter dem Kaufvertrag bestätigen, dass sämtliche 92 Wohneinheiten in dem Gebäude nur für "reguläre" Wohnzwecke verwendet werden dürfen; eine kurzfristige Vermietung an Touristen werde nicht vorkommen, sagte man ihr.

Im Dezember 2018 zeigt Berger dem STANDARD Fotos von Touristenbussen, die in zweiter Spur vor ihrem Haus parken, berichtet aufgebracht von fremden Menschen mit Rollkoffern, die alle paar Tage im Haus anzutreffen seien, Müllansammlungen in den Gängen und nasser Wäsche, die in Kellerabteilen zum Trocknen aufgehängt wurde. Und ziemlich regelmäßig komme es auch zu Störungen ihrer Nachtruhe durch feiernde Urlauber auf Balkonen.

Wohnhaus als Hotel

Berger und einige andere genervte Miteigentümer entdeckten später durch eigene Recherchen im Grundbuch und im Internet, dass nicht weniger als zehn Wohnungen in dem neu gebauten Haus im schicken neuen Viertel südlich des Hauptbahnhofs an bulgarische Eigentümer verkauft wurden. Und diese zehn Wohnungen können nun auf der Plattform booking.com tage- oder wochenweise gebucht werden. Auf Google Maps sind sie unter "Exclusive Apartments" oder "Vienna Park Hauptbahnhof Apartments" zu finden.

Die "regulären" Bewohner beobachteten zudem, dass es einen eigenen Putztrupp sowie auch eine eigene kleine Mannschaft für allfällige Reparaturen in diesen Wohnungen gibt. Diese Trupps werden in weißen Lieferwagen mit bulgarischen Kennzeichen vorgefahren und wieder abgeholt. Und in einem Haus in der nahen Gudrunstraße wohne offenbar das Personal, das die Urlauber bei der Ankunft betreut und zu den Wohnungen bringt.

Das Phänomen beschränkt sich bei weitem nicht nur auf die Wohnanlage in der Hlawkagasse, die sich am südlichen Ende des Helmut-Zilk-Parks und damit vergleichsweise weit vom Hauptbahnhof entfernt befindet. Es dürfte auch in den neuen Wohngebäuden in der Karl-Popper-Straße 18 und in der Gerhard-Bronner-Straße 1, fast direkt beim Hauptbahnhof, ein hohes Aufkommen an eher unerwünschten Urlaubern geben – darauf lassen selbstgemachte Hinweisschilder an den Eingängen schließen. "Residential house – no hotel" steht darauf in international verständlicher Weise geschrieben, mit einem Verbotsschild, in dem "Hotel" durchgestrichen ist.

Susanne Berger hat sich beschwert. Zunächst bei der Hausverwaltung. Die ist aber von Gesetz wegen nicht dazu verpflichtet, im Fall der widmungswidrigen Verwendung einer Wohneinheit (Gewerbe statt Wohnen) tätig zu werden – und tut das deshalb auch nicht. Auf inoffiziellem Weg haben Berger und ihre Mitstreiter so immerhin erfahren, dass es für die zehn Touristen-Wohnungen in ihrem Haus nur eine einzige Ansprechperson bei der Hausverwaltung geben soll.

Der Bauträger, die Firma Mischek, hat bei dem Projekt in der Hlawkagasse längst alle Wohnungen verkauft und fühlt sich deshalb ebenfalls nicht mehr zuständig, sagen jedenfalls Berger und andere Miteigentümer. Auf eine Anfrage des STANDARD, wie es dazu kommen konnte, dass in dem Haus fast ein Dutzend Wohnungen auf booking.com landeten, obwohl dies zuvor Käufern gegenüber ausgeschlossen worden war, kam bis dato keine Antwort.

Rechtlich betrachtet ist die Sache klar. Die "touristische Nutzung eines als Wohnung gewidmeten Wohnungseigentumsobjekts für die Dauer von jeweils zwei bis 30 Tagen" sei eine Beeinträchtigung schutzwürdiger Interessen anderer Wohnungseigentümer und damit eine genehmigungspflichtige Widmungsänderung, entschied der Oberste Gerichtshof 2014, Das gelte immer, selbst wenn es sich nur um eine einzige Wohnung in einer großen Anlage handle.

In der Praxis ist die Rechtsdurchsetzung aber überaus schwierig. Diese Erfahrung haben schon zahllose Wohnungseigentümer in Wien machen müssen. Insbesondere die Tatsache, dass man in einem solchen – rechtlich meist völlig klarem – Fall als Nachbar selbst aktiv werden muss, sorgt oft für Unverständnis. "Außerdem scheuen viele Eigentümer schlicht die Konfrontation mit den Nachbarn", weiß Robert Mödlhammer, Jurist in der Wiener Arbeiterkammer. Die Stimmung im Haus wird durch eine Klage nicht gerade verbessert; solange die Beeinträchtigungen zumutbar sind, werden Touristen im Wohnhaus deshalb oft toleriert.

In der Hlawkagasse kommt noch dazu, dass sich einige Bewohner durch das straff organisiert wirkende Auftreten der diversen Trupps regelrecht eingeschüchtert fühlen. "Man weiß ja nicht, mit wem man es zu tun hat", sagt Berger. So wie auch die Hausverwaltung habe man schlicht "keinen Zugriff" auf die bulgarischen Miteigentümer. Und dass immer wieder fremde Menschen im Haus sind, werfe grundsätzlich manche Frage der Sicherheit auf.

Zumindest hier könnte die Hausverwaltung Abhilfe schaffen, sagt AK-Wohnrechtsexperte Walter Rosifka. "Die Hausverwaltung kann eine 24-Stunden-Bewachung des Objekts veranlassen, wenn sie das für nötig hält." Das sei sogar ohne Beschluss, im Rahmen des allgemeinen Betreuungsmandats, möglich. Die Kosten dafür müssten freilich sämtliche Eigentümer über die Betriebskosten berappen – was wohl erst recht für Unmut sorgen würde.

Klagen auf Unterlassung

Der ist in der Hlawkagasse aber ohnehin schon übergroß. Um die illegalen Vermietungen zu stoppen, werden nun mithilfe der Arbeiterkammer Unterlassungsklagen gegen jene Miteigentümer vorbereitet, die an Touristen vermieten. Eine solche Klage sei die einzige Möglichkeit, daran führe kein Weg vorbei, sagen die AK-Experten Rosifka und Mödlhammer.

Auch die kürzlich in Kraft getretene Wiener Bauordnungsnovelle hilft den leidgeprüften Eigentümern nicht. Sie verbietet nun zwar explizit die gewerbliche Vermietung von Wohnungen in Wohnzonen. Im Sonnwendviertel gibt es allerdings überhaupt keine Wohnzonen.

In den Klagen, die ins Bulgarische übersetzt werden müssen, werde sehr wichtig sein genau darzulegen, welches "Beschwer" man hat, also "wie sich die Beeinträchtigungen der Wohnqualität durch die touristische Vermietung gestalten". Berger und ihre Mitstreiter haben den Lärm, den Müll und sonstige Unbilden aber ohnehin bereits gut dokumentiert.

Mödlhammer glaubt, dass die Chancen auf Erfolg deshalb recht hoch sind. Wenn er recht behält, sollten die unerwünschten Ferienwohnungen im Sonnwendviertel bald von den Plattformen verschwinden.

Es könnte aber auch passieren, dass die Klagen nicht zugestellt werden können oder dass sie schlicht ignoriert werden. Dann müssten wohl gegen die Miteigentümer Ausschlussklagen aus der Wohnungseigentümergemeinschaft angestrengt werden. Die betreffenden Wohnungen würden irgendwann andere Eigentümer bekommen. Die wehrhaften Nachbarn werden so oder so noch lange damit leben müssen, in ein Wohnhaus eingezogen und in einem Hotel aufgewacht zu sein. (Martin Putschögl, 6.1.2019)