Polizeiaussendungen sind der Rohstoff der Kriminalitätsberichterstattung. Medien nutzen die Aussendungen als Grundlage für ihre eigenen Artikel und übernehmen die Informationen, die sie enthalten. So landet häufig – und künftig wohl noch häufiger – auch die Herkunft der Verdächtigen letztendlich in den Medien.

Auch die Austria Presse Agentur (APA) ist für viele Medien eine wichtige Quelle. Dort nennt man die Herkunft von Tatverdächtigen grundsätzlich immer. "Die Herkunft beziehungsweise Nationalität mutmaßlicher Straftäter nennen wir, so wir diese in Erfahrung bringen", sagt APA-Chefredakteur Johannes Bruckenberger zum STANDARD, "egal ob es sich um einen Oberösterreicher, Wiener, Deutschen oder Afghanen handelt." Emotionen oder gar Vorurteile will man damit nicht schüren, es gehöre aber "zum journalistischen Grundhandwerk, relevante Informationen nicht unter den Tisch fallen zu lassen".

Herkunftsnennung für Presserat okay

Für den Österreichischen Presserat ist das grundsätzlich in Ordnung. "Journalisten sollen überlegen, ob ein Migrationshintergrund für das Verständnis der Tat relevant ist", sagt Alexander Warzilek, Geschäftsführer des Presserats, zum STANDARD. Bei einem Terrorangriff werde man es wahrscheinlich schreiben müssen, wenn der Tatverdächtige ursprünglich aus dem Ausland kommt. Bei einem einfachen Taschendiebstahl sei die Nationalität wahrscheinlich nicht relevant – wenn es nicht gerade aus dem Ausland organisierte Massendiebstähle sind.

Wird die Nationalität bei kleineren Delikten trotzdem genannt, wertet das der Presserat aber nicht als Ethikverstoß. "Wir rufen nur dazu auf, sorgfältig zu überlegen", sagt Warzilek. Nur wenn gezielt diskriminiert wird, rügt der Presserat. So geschehen bei einem Artikel, in dem einzelne Nationalitäten bestimmten Deliktgruppen zugeordnet wurden. "Da liegt eine Pauschalverunglimpfung vor", sagt der Geschäftsführer des Presserats.

Deutscher Presserat lockerte Regelung

Der Deutsche Presserat sieht das anders. Bis 2017 sollten Redaktionen bei der Berichterstattung über Straftaten die Herkunft des Verdächtigen nur nennen, wenn für das "Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründeter Sachbezug" besteht. Das galt auch für Religion und Ethnie.

Nach der Kölner Silvesternacht 2015/16 kam die Diskussion über die Sinnhaftigkeit dieses Quasi verbots ins Rollen. 2017 wurde der Absatz schließlich gelockert. Seitdem ist die Nennung in Ordnung, wenn "ein begründetes öffentliches Interesse" besteht. Was öffentliches Interesse bedeutet, regelt der Deutsche Presserat in seinen Leitsätzen ziemlich genau. Reine Neugier ist es jedenfalls nicht. Auch wenn die Quellen – etwa Behörden, Agenturen oder andere Medien – die Gruppenzugehörigkeit nennen, entbindet das Redaktionen nicht von ihrer eigenen presseethischen Verantwortung.

Was als öffentliches Interesse gilt

Öffentliches Interesse bestehe aber, wenn es sich "um eine besonders schwere oder in ihrer Art oder Dimension außergewöhnliche Straftat" handelt – Terrorismus, Folter, Anschlag. Auch wenn eine Straftat durch eine größere Gruppe begangen wird, die durch bestimmte Merkmale verbunden ist – wie bei der Kölner Silvesternacht –, ist die Nennung gerechtfertigt.

Journalisten sollen darauf achten, dass "die Erwähnung der Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu ethischen, religiösen oder anderen Minderheiten nicht zu einer diskriminierenden Verallgemeinerung individuellen Fehlverhaltens" führt. Besonders sei zu beachten, dass "die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte".

Nichtnennung kann Vorurteile bestätigen

Ob Herkunftsnennung allein schon Vorurteile auslösen kann, ist auch eine Streitfrage innerhalb der Medienwirkungsforschung. Jedenfalls könne es bei Menschen mit Vorurteilen zu einer "Aktualisierung" als Bestätigung ebendieser ihrer Haltung kommen.

Eine deutsche Studie aus dem Jahr 2009 kommt zudem zu dem Schluss, dass Leser oft automatisch von einem ausländischen Täter ausgehen, wenn die Herkunft nicht explizit zur Sprache kommt. Oft würden Leser bestimmte Wörter (etwa "Messer stecherei" oder "Bandenkrieg") oder den Tatort mit einer bestimmten Gruppe assoziieren. Diese Assoziationen sind nicht auf Menschen mit bestimmten Nationalitäten beschränkt. Teilnehmer der Studie stellten sich auf Nachfrage die Täter auch als Rocker, Punks oder Neonazis vor. Vorurteile sitzen eben tief. (Philip Pramer, 5.1.2018)