Ein Meister seines Fachs – und doch nicht unumstritten: Christian Thielemann.

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Im Vorjahr, als der italienische Dirigent Riccardo Muti über sein bevorstehendes Neujahrskonzert plauderte, schwärmte er gut gelaunt über Details der Stücke. Dabei sang er die eine oder andere Melodie zum Gaudium der Anwesenden. Diesmal sang zwar niemand, dennoch lag Euphorie in der Winterluft. Der Vorstand der Wiener Philharmoniker, Daniel Froschauer, jubelte, er habe "den schönsten Beruf der Welt". Er meinte damit natürlich seine Funktion als philharmonischer Geiger. Auch verwies er damit auf die Zusammenarbeit mit dem diesjährigen Dirigenten, der zum ersten Mal vor allem im Dreivierteltakt das neue Jahr begrüßen wird. Also Christian Thielemann.

Welche "Nuancen im Minimalbereich" sich bei den Proben offenbart hätten, das sei phänomenal, "es wird ein besonderes Konzert, ich spüre es!", schwärmte Froschauer, dessen Befund Thielemann aufgriff: "Nuance findet man natürlich nur, wenn das Orchester etwas anbietet. Erst durch die Wiener Philharmoniker komme ich auf diese Nuancen – ich habe viel gelernt."

Heikle Märsche

Es sei schwere Musik, diese Wienerische. "Man soll nicht zu viel geben, und dann muss man doch viel geben. Märsche etwa sind ja immer so eine Sache. Sie können ausarten – aber nicht bei diesem Orchester", so Thielemann. Es geht eben immer um das labile Gleichgewicht zwischen Kontrolle und Loslassen.

Als junger Kapellmeister habe er übrigens sehr früh etwa Strauß' Zigeunerbaron dirigiert. Es sei an kleinen deutschen Theatern durchaus Usus, Operette zu zelebrieren. In der Regel mache man dies aber ohne Proben. "Nun habe ich die Ouvertüre zum Zigeunerbaron also zum ersten Mal geprobt. Auch daher kommen die Nuancen. Grundsätzlich wichtig ist allerdings auch, eine insgesamt gelöste Stimmung zu haben." Und die herrsche zweifelsohne.

"Express-Polka" zum ersten Mal

Es sei auch gut, dass er das Neujahrskonzert, mit dem Froschauer "die ganze Welt zum Konzertsaal" mit Friedensbotschaft werden lassen will, erst heuer leite: "Gut, dass es so lange gedauert hat. Nun kennen wir einander." Für die Philharmoniker gibt es Abwechslung nicht nur durch den Debütanten, sonders auch durchs Repertoire: Überhaupt zum ersten Mal geben sie etwa Johann Strauß' Express-Polka sowie Josef Strauß' Tänzerin wie auch Josef Hellmesbergers Entr'acte Valse. Die Werke sind Teil einer Konzertdramaturgie, die für Thielemann "wie eine Hügellandschaft" angelegt ist.

Mithilfe der ORF-Übertragung werden an die 40 Millionen Erdenbürger am 1. 1. 2019 herausfinden können, was damit gemeint ist. TV-Zeugen werden womöglich auch jene zwölf Musikerinnen sein, die nach einem Probespiel, Teil der im September 2019 zu gründenden Orchesterakademie sein werden. Die Philharmoniker wollen etwas für ihren Nachwuchs tun, auch Dirigenten sind als Erfahrungsvermittler erwünscht. Franz Welser-Möst hat sich bereiterklärt, mitzuwirken. Philharmoniker-Geschäftsführer Michael Bladerer hofft, dass auch der Dirigent des Neujahrskonzerts bereit ist zu helfen. Thielemann nickte freundlich. (Ljubisa Tosic, 29.12.2018)