Seit wenigen Tagen steht in meiner Wohnung ein Weihnachtsbaum mit echten Nadeln und wartet darauf, geschmückt zu werden. Es ist eine Borstenfichte, lateinisch Picea asperata, die in chinesischer Sprache "Yunshan" genannt wird. Der 24-jährige Bauernsohn Wang Xiaozhi wählte den sechs Jahre alten Baum Anfang November eigenhändig in einem Forst 600 Kilometer entfernt in den Bergen von Pekings Nachbarprovinz Hebei aus. Er ließ ihn mit Wurzel ausgraben. Ein angemieteter Lkw brachte die Fichte mit 110 anderen Christbäumen in die Hauptstadt.

"Es ist eine meiner Schönsten", behauptete Wang, als ich ihn aufsuchte. Wir wurden uns über die ein Meter 70 hohe, gerade und bauchig gewachsene Fichte ohne zu feilschen handelseinig. Pro Zentimeter verlangte er 3,5 Yuan, zusammen 595 Yuan (76 Euro). Antransport und Umtopfen inklusive.

So viel Geld habe ich in China noch nie für einen Weihnachtsbaum bezahlt. Doch 2018 wurden die freien Blumenmärkte im Chaoyang-Innenstadt-Bezirk geschlossen, wo einst auch echte Nadelbäume zwischen 25 und 40 Euro kosteten und überwiegend an Ausländer verkauft wurden. Alle Händler wurden vertrieben. Viele verließen Peking.

Wang Xiaozhi und seine Weihnachtsbäume.
Foto: Johnny Erling

Von den übriggebliebenen Blumenverkäufern, die weit abseits Unterkunft in einer dunklen Halle fanden, erfuhr ich, dass sie nur noch Plastikbäume im Angebot haben. Einer aber sagte: Es gebe da den jungen Wang im Vorstadtkreis Shunyi. Er mache online Reklame für sich mit eigenem Werbeschild: "Weihnachtsbaumverkauf. Freie Anlieferung."

Ich fand Wang nach mehr als einstündiger Anfahrt und Suche im 40 Kilometer nördlich der City entfernten Dorf Jishanying. Seine Familie hat dort ein Stück Land gepachtet. Fünf Jahre lang half Wang seinem Vater, der sich auf das florierende Geschäft mit Leihpflanzen für Büros spezialisiert hatte, auf Pekings Blumenmarkt auch echte Fichten zu verkaufen. Andere Händler importierten damals aus den USA sogar tausende Yuan kostende Edeltannen. Ihre Kunden waren neureiche Chinesen.

Das kleine, aber blühende Nischengeschäft mit Christbäumen ist nun vorbei. Nur Wang ist noch dabei geblieben. "Ich bin jetzt der letzte Verkäufer in Peking, der spezialisiert auf echte Weihnachtsbäume ist. Ich habe die schönsten."

Weihnachten hat keine Tradition in China, ist als Glaubenssache nur für Christen lebendig. Vor 15 Jahren entdeckten junge Chinesen Weihnachten als cooles Partyvergnügen und machten Peking damit weltoffener. Heute schiebt in der Hauptstadt die Partei zu viel Rummel um das Weihnachtsfest und selbst glitzerndem Konsumrausch mehr Riegel als früher vor. Anders als das traditionelle Frühlingsfest ist für sie Weihnachten ein ausländisches Fest.

Die Weihnachtsfichte des Korrespondenten – noch ungeschmückt.
Foto: Johnny Erling

Seit es so schwer ist, echte Bäume zu finden und zu bezahlen, fällt die Nachfrage unter Ausländern. Sie fahren Ende Dezember nach Hause oder legen sich Plastikbäume zu, wie auch die meisten christlichen Familien. Wang schätzt den Bedarf an Fichten für Weihnachten 2018 in der Millionenmetropole auf wenige hundert. "Die meisten Käufer sind Ausländer mit Familie und Kindern."

Für sie fuhr er mit seinem Geländewagen eine Tagesreise tief nach Hebei, in die Innere Mongolei und nach Liaoning im Nordosten. Dort wachsen – eigentlich für die Aufforstung des Landes – zehntausende Fichten. "Peking ist zu warm. Hier gibt es nur Kiefern." Die Bäume, die er haben will, "müssen mit gerader Spitze die Form einer Pagode haben". Wang musste einen Lkw anmieten, um die von ihm ausgesuchten Bäume abzuholen. Zwölf bis 14 Stunden sei der Laster unterwegs gewesen. "Er kostete mich mehr als 4.000 Yuan Miete."

Wang fährt mit seinem SUV in die Berge von Hebei, um Fichten auszuwählen.
Foto: Wang Xiaozhi

Vier Tage vor Weihnachten sitzt Wang noch auf dutzenden unverkaufter Bäume. Er wird am Ende wohl nichts verdient haben. Aber es hat ihm großen Spaß gemacht, als selbstständiger Unternehmer überall hinzufahren, die Bäume zu finden und den Kunden Freude mit ihnen bereitet zu haben.

Der 24-Jährige lacht unbeschwert, als er zugibt, ein schlechter Geschäftsmann zu sein. Er rechnet weder die Zeit, die er braucht, um die Bäume auszuliefern, in seine Kosten ein, noch das Gelände des Hofes, für das er keine Miete bezahlen muss. Wang ist viel zu gut gelaunt, um zu jammern. Außer, als er erzählt, wie er einem Kunden einen hohen Baum mit großem Porzellantopf anlieferte, der im vierten Stock ohne Fahrstuhl wohnte.

Sein Vater hatte ihn von Anfang an gewarnt: "Lass es sein. Das Geschäft mit echten Weihnachtsbäumen lohnt in Peking nicht mehr." Mal sehen, sagt Wang. (Johnny Erling, 21.12.2018)