Wer etwas ändern will, sollte auf kleine Schritte setzen. Ein Kind lernt auch nicht von heute auf morgen das Gehen.

Foto: Getty Images/iStockphoto

Zu Jahresbeginn erfragen Meinungsforschungsinstitute, was sich die Österreicher für das neue Jahr wünschen und vorgenommen haben. Auch das Imas-Institut tut das. Grundsätzlich sei die Stimmung so positiv wie noch nie, lautet die zentrale Botschaft für 2019. Über die Hälfte blickt mit Zuversicht in die Zukunft, vor allem diejenigen, die keine finanziellen Sorgen haben. Knapp zwei Fünftel der Österreicher wollen im Jahr 2019 etwas entschieden anders machen. Darunter überdurchschnittlich häufig höher gebildete Personen, Menschen unter 60, Frauen und Städter.

Insgesamt ist die Gruppe derjenigen, die sich etwas für das neue Jahr vorgenommen haben, um vier Prozent gewachsen. Mehr auf sich selber schauen und bewusster leben, sich mehr bewegen, mehr Zeit mit Freunden und Familie verbringen, sich gesünder ernähren, zum Rauchen aufhören und abnehmen gehören zu den häufigsten Antworten. Doch es gibt einen kleinen Haken: So engagiert und zuversichtlich wir uns vornehmen, etwas im Leben zu ändern, so schwer fällt es auch. Woran liegt das?

Eine große Rolle für Erfolg oder Scheitern spielt der Kontext. Nehmen wir das Rauchen. Mit 16 die gemeinsame Zigarette in der Raucherecke. Später die Rauchpause vor der Tür mit der Kollegin. Zigaretten und Alkohol beim Fortgehen. So trinken frischgebackene Nichtraucher am Anfang ihrer Entwöhnung häufig mehr Alkohol, wenn sie sich mit Freunden in einem Lokal treffen. Wer sein Verhalten ändern will, muss also zuerst den Kontext ändern. Die amerikanische Psychologin Wendy Wood hat in vielen Experimenten und Studien herausgefunden, wie oft Handlungen mit konkreten Situationen verknüpft sind. So hat eine ihrer Untersuchungen gezeigt, dass Raucher, die im Urlaub das Rauchen aufgegeben haben, doppelt so häufig erfolgreich waren.

Veränderungen nutzen

Was uns schlichtweg oft daran hindert, ist die Gewohnheit. Der morgendliche Kaffee und eine Zigarette, das gehört häufig automatisch zusammen. Was wir verändern müssen, sind die Gewohnheiten, so das Fazit von Wendy Wood. Und die können ziemlich hartnäckig sein. Kinder müssen alles erst einmal erlernen und unzählige Male wiederholen, bevor etwas zur Gewohnheit werden kann. Das heißt auch: Je älter wir werden, umso mehr Abläufe haben wir verinnerlicht.

Das hat auch sein Gutes: Dadurch können wir so lange wie möglich selbstbestimmt leben. "Gewohnheiten garantieren, dass die Welt um uns gleich bleibt", sagt der Berliner Verhaltenstherapeut Nicolas Hoffmann. Das ist einerseits wichtig, macht aber auch unflexibel und starr.

Große Verhaltensänderungen hängen oft mit Schicksalsschlägen wie Krankheit, Scheidung, Jobverlust oder einem Wohnungswechsel zusammen. "In diesen sogenannten 'teachable moments' werden Gewohnheiten zeitweise gebrochen. Man muss sich neu orientieren, das eigene Verhalten überdenken und sucht nach Informationen", sagt Bas Verplanken, Professor für Sozialpsychologie an der University of Bath in England.

Einen statt 50 Liegestützen

Ausschlaggebend ist: Wer die Chance nutzen möchte, um in solchen Situationen eine neue Gewohnheit zu etablieren, sollte schnell sein. Was es braucht, sind neue "Pfade" im Gehirn. "Trampelpfade", die durch ständige Benutzung entstehen. Bestimmte Verbindungen der Nervenzellen werden durch wiederholte Erfahrungen gestärkt. "Der Wunsch, etwas Neues zu wollen, reicht dabei aber nicht aus. Denn auf die Motivation allein kann man sich nicht verlassen", sagt Bestsellerautor Stephen Guise. Er hat das Konzept der kleinen Schritte, der "mini habits", entwickelt. Denn für die neue Verhaltensweise gibt es noch keine neuronale Bahnung. Die muss erst angelegt werden. Das gelinge Guise zufolge mit der kleinsten Version einer neuen Gewohnheit, die man erwerben möchte.

Wer also zu Silvester beschlossen hat, künftig mit 50 Liegestützen in den Tag zu starten, nimmt sich stattdessen vor: "Ich mache zunächst jeden Tag nur einen Liegestütz." Wer den Vorsatz hat, kein Fleisch mehr zu essen, startet mit einem Gemüsetag. Wer abnehmen möchte, streicht nicht sofort alle geliebten Genüsse vom Speiseplan, sondern verzichtet beim Frühstück erst einmal auf das Nutellabrot.

Diese kleinen Schritte haben viele Vorteile. Einen Liegestütz bewältigt jeder. Wenn man mehr schafft, ist das ein Bonus. Man fühlt sich weder erschöpft noch frustriert, sondern kann stolz auf sich sein. Jeder kann selbst entscheiden, ob und ab wann er mehr tun will. Es handelt sich nicht um Hürden wie zwei Stunden tägliches Workout im Fitnessstudio oder eine Nulldiät. Zu Beginn erscheinen die Gewinne vielleicht nur klein, am Ende ist es aber so: "Ein kleiner Sieg über unser Gehirn ist ein großer Sieg", sagt Stephen Guise.

Vernunft allein reicht nicht

Die Salzburger Allgemeinmedizinerin und Psychotherapeutin Elisabeth Oedl-Kletter steht übermotivierten Neujahrsvorsätzen ebenfalls skeptisch gegenüber. Sie ist der Meinung, dass sie deshalb nicht funktionieren, weil sie rein von der kognitiven Ebene ausgehen. "Das sind meist vernünftige Vorsätze. Aber die Motivation, für die Dinge, die man sich abgewöhnen will, liegt auf einer ganz anderen, einer unbewussten Ebene."

Ein häufiger Neujahrsvorsatz ist etwa: Heuer esse ich keine Schokolade. Ich möchte abnehmen und Gewicht verlieren. "Hinter dem, dass ich dann doch wieder zur Schokolade greife, liegt aber vielleicht das Bedürfnis, mich zu trösten für etwas, das mich belastet. Ich gestehe mir aber bewusst gar nicht ein, dass ich Trost brauche. Ich gestehe mir nicht einmal zu, dass es da eine Sache gibt, die mich belastet. Mein Körper sagt mir aber ganz etwas anderes. Der sagt mir nämlich: Du brauchst sehr wohl Trost. Und wenn du mir das nicht gönnst, dann brauche ich noch viel mehr Schokolade", erzählt Oedl-Kletter.

Das Scheitern ist damit vorprogrammiert, spätestens ab der zweiten Jännerwoche wird wieder zum süßen Dickmacher gegriffen. "Häufig sind Neujahrsvorsätze etwas, mit dem man sich selbst auszutricksen versucht. Aber der eigene Organismus ist schlau genug, sich das nicht gefallen zu lassen. Für mich ist das der Triumph der basalen Lebendigkeit über die aufgeklärte Vernunft", sagt die Psychotherapeutin. (Anja Pia Eichinger, 1.1.2019)