Eine der langlebigsten österreichischen Traditionen ist der Proporz. Immer noch sind wichtige Positionen im staatsnahen Bereich nach den Kräfteverhältnissen in der jeweiligen Regierung besetzt. Die ÖVP konnte ihren Einfluss als Kanzlerpartei noch verstärken. Die FPÖ hatte einiges aufzuholen. Es wird munter von Rot-Schwarz auf Türkis-Blau umgefärbt

Der Einfluss auf die Medien

Macht und Einfluss im ORF wollten sich Regierungen schon immer sichern. Somit passierte zunächst nichts Ungewöhnliches, als gut fünf Monate nach Dienstantritt von Kurz und Strache der ORF-Aufsichtsrat, vom Gesetz vorgesehen, parteikonforme Farben annahm. Den Vorsitz des Stiftungsrats nutzte der Blaue Norbert Steger gleich zum Rundumschlag gegen kritische Journalisten. Der rote ORF-General Alexander Wrabetz hält sich bis dato, weil er in weiser Voraussicht eine Strukturänderung im Haus erst nach dem Regierungswechsel durchführte und neu geschaffene Stellen wie Channel-Manager und Senderchefredakteure so besetzte, dass die Regierung nichts dagegen hatte – und den unliebsamen TV-Chefredakteur Fritz Dittlbacher abbestellte.

Gut fünf Monate nach Dienstantritt von Kurz und Strache nahm der ORF-Aufsichtsrat parteikonforme Farben an.
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Anderswo ereignen sich Anpassungen unterschwellig: Chefredakteur der Wiener Zeitung ist nach dem Rauswurf Reinhard Göweils Walter Hämmerle mit VP-Vergangenheit in Wien. Der im Raiffeisen-Eigentum stehende Kurier tauschte den als aufmüpfig geltenden (und mit Ex-SPÖ-Chef Christian Kern befreundeten) Chefredakteur Helmut Brandstätter gegen die als bürgerlich-konservativ geltende Martina Salomon. Chefredakteur fürs Digitale ist jetzt Richard Grasl. Er war Wrabetz’ bürgerlicher Gegenkandidat bei der Wahl zum ORF-Generaldirektor.

Breites Betätigungsfeld in der Sozialversicherung

Die Reform der Krankenkassen schafft jedenfalls neue Spitzenjobs. Ein heftig debattierter Plan der Bundesregierung ist die Zusammenlegung der bisher 21 Sozialversicherungsträger auf nur noch fünf. Die neun Gebietskrankenkassen sollen etwa zur Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) fusioniert werden.

Dies wird neue Posten schaffen, nämlich den des Generaldirektors der ÖGK samt drei Stellvertretern. Außerdem wird ein Büroleiter für den neuen Dachverband der Sozialversicherungsträger gesucht.

Diese Posten werden nicht direkt von der Regierung besetzt, doch in der umgebauten Selbstverwaltung ist eine türkis-blaue Mehrheit gegeben. Im Gremium des Dachverbands sind sechs von zehn Mandataren der Arbeitgeberseite zuzuordnen, in der ÖGK gibt es sechs Arbeitgebervertreter und ebenso viele Arbeitnehmervertreter, schwarze und rote. Bei Stimmengleichheit obliegt Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) die Letztentscheidung.

Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) obliegt die Letztentscheidung.
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Es wird weiterhin Landesstellen der ÖGK geben, wo wieder Spitzenjobs zu besetzen sind, jeweils Leiter und Stellvertreter. Selbiges gilt für die neue Selbstständigenkasse. Der neue Versicherungsträger der öffentlich Bediensteten und der Eisenbahner hat lediglich sieben Landesstellen. In der Übergangszeit hat man gute Chancen, weiße Elefanten zu treffen – also hochbezahlte Manager, deren Verträge noch laufen, während neu Eingestellte bereits deren Arbeit machen.

Höchstgericht wieder mit Blauschattierung

Im Verfassungsgerichtshof (VfGH) konnte die Regierung drei neue Verfassungsrichter einsetzen: zum einen den ehemaligen Justizminister der ÖVP, Wolfgang Brandstetter, der quasi direkt nach seiner Ministertätigkeit Verfassungsrichter wurde, was zu Forderungen nach einer "Cooling-off-Phase" führte; zum anderen Andreas Hauer und Michael Rami, beide auf FPÖ-Tickets. Rami war über Jahre hinweg Haus-und-Hof-Anwalt der FPÖ und hat als Experte für Medienrecht gegen etliche Zeitungen prozessiert.

Michael Rami, neuer Verfassungsrichter, war über Jahre hinweg Haus-und-Hof-Anwalt der FPÖ.
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Nach der Pensionierung von Gerhart Holzinger wurde 2018 auch die Spitze des VfGH neu besetzt. Brigitte Bierlein, die während der Regierungszeit von Wolfgang Schüssel Mitglied des Verfassungsgerichtshofes wurde, ist auf Vorschlag der Bundesregierung zu dessen Präsidentin ernannt worden.

Im Bundesverwaltungsgericht sorgte vor allem eine Besetzung für Aufregung, die letztlich nicht umgesetzt wurde. Neben Präsident und Vize gibt es 225 Richter am Bundesverwaltungsgericht, die sich unter anderem um Asylentscheidungen kümmern. Ernannt werden sie vom Bundespräsidenten auf Vorschlag des Justizministers, der Dreiervorschläge des Personalsenats des Gerichts einholt. Auf dieser Liste stand auch der Jurist Hubert Keyl. Der ehemalige Mitarbeiter des FPÖ-Politikers Martin Graf nannte den von den Nationalsozialisten ermordeten Kriegsdienstverweigerer Franz Jägerstätter einen Verräter. Bundespräsident Alexander Van der Bellen drohte, die Ernennung abzulehnen, Keyl zog die Bewerbung schließlich zurück. Er wurde Abteilungsleiter im Verkehrsministerium. Es fand keine Ausschreibung statt, weil es sich um eine interimistische Tätigkeit handle.

Ministerien unter strenger Aufsicht

Eine zentrale Maßnahme, um den politischen Willen der neuen Minister in ihren Ressorts umzusetzen, ohne personell gleich alles auf den Kopf stellen zu müssen, war die Einführung von Generalsekretären: Sie sollten die politisch auch punzierten und bis dahin mächtigen Sektionschefs neutralisieren. Die Generalsekretäre agieren gleich nach dem Minister an der Spitze des Ministeriums und können selbst Weisungen erteilen. Einer davon ist besonders umstritten und steht Gerüchten zufolge vor dem Rücktritt: Peter Goldgruber, Generalsekretär im Innenministerium. Er steht im Verdacht, die Ermittlungen gegen Verfassungsschützer befeuert zu haben, um unliebsame Personen aus dem Amt zu drängen. Dabei ging er allerdings nicht sehr geschickt vor, wie der parlamentarische Untersuchungsausschuss nachweisen konnte. Nun ermittelt auch die Justiz gegen Goldgruber – es gilt die Unschuldsvermutung.

Mit der Ernennung des schlagenden Burschenschafters Andreas Reichardt nutzte Verkehrsminister Norbert Hofer geschickt blaue Seilschaften im eigenen Haus.
Foto: Norbert Hofer

Generalsekretär im Infrastrukturministerium (und einer der ÖBB-Aufsichtsräte) ist Andreas Reichardt. Mit der Ernennung des schlagenden Burschenschafters nutzte Verkehrsminister Norbert Hofer geschickt blaue Seilschaften im eigenen Haus, denn Reichardt war bereits Sektionschef.

Auch andere Minister hievten ihre Vertrauensleute auf den Posten des Generalsekretärs. Jener im Verteidigungsministerium, Wolfgang Baumann, unterstrich seine Bedeutung besonders: Er ließ Bilder von sich in allen Kasernen aufhängen, gleich neben dem Bundespräsidenten und dem Verteidigungsminister.

Generalsekretär im Bundesministerium für öffentlichen Dienst und Sport, das von Vizekanzler H.-C. Strache (FPÖ) geführt wird, ist der Burschenschafter Roland Weinert. Weiters arbeitet im Ministerium Philipp Trattner, der Sohn des neuen ÖBB-Aufsichtsratspräsidenten Gilbert Trattner, als provisorischer Leiter der Sektion Sport.

Notenbank-Karo: Aus Schwarz-Rot wird Türkis-Blau

Das Führungsgremium der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB), das Direktorium, wechselt 2019 seine Farbe. Das Auslaufen der Direktorenverträge ab April kam da gerade recht. Auf Gouverneur Ewald Nowotny (SPÖ) folgt Ex-Weltbanker und Ökonom Robert Holzmann (FPÖ). Das steht fest, denn die neue OeNB-Vizepräsidentin, Barbara Kolm (FPÖ), sprach im Presse-Interview bereits davon, sie hoffe, dass Österreich unter Holzmann anders in der EZB auftreten werde als bisher. Auch die drei weiteren OeNB-Chefposten werden umbesetzt. Die FPÖ will noch Eduard Schock entsenden: Der Jurist und Ökonom ist nicht amtsführender Stadtrat in Wien, war einst unter Staatssekretär Holger Bauer (FPÖ) im Finanzministerium, seine Anstellung in der Bank Austria ruht.

Wie wichtig der FPÖ unter Strache ihre neue Macht in der OeNB ist, wurde spätestens klar, als der Vizekanzler eine SMS an den Falschen gesendet hatte.
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Das Präsidium des Generalrats (Kontrollgremium und u.a. für Direktorenvorauswahl zuständig) ist schon umgefärbt. Wider Erwarten stellte die ÖVP den Präsidenten (Wirtschaftskammerchef Harald Mahrer), die FPÖ "nur" die Vizepräsidentin: Euro-Kritikerin Kolm. Wie wichtig der FPÖ unter Heinz-Christian Strache ihre neue Macht in der OeNB ist, wurde spätestens klar, als der Vizekanzler eine SMS an den Falschen gesendet hatte. Vor dem Abzug der Aufsichtsagenden aus der OeNB warnte er vor einer Machtschwächung der FPÖ in der OeNB.

Neue Farbenlehre an den Universitäten

Ende Februar hat die neue Regierung auch neue Uniräte entsandt. Der bis zuletzt umstrittene Burschenschafter Alois Gruber zog in den Rat der Uni Graz ein. Auch die Burschenschafter Reinhard Kienberger oder Reinald Riedl sind jetzt in Uniräten vertreten.

Die Volkspartei installierte Heute-Herausgeberin Eva Dichand im Unirat der Medizinischen Universität Wien.

Heute-Herausgeberin Eva Dichand wurde im Unirat der Medizinischen Universität Wien installiert.
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Die Vorsitzende der Universitätenkonferenz, Eva Blimlinger, hat die im Ministerrat abgesegnete Bestellung der 59 neuen Uniräte scharf kritisiert. Vor allem der FPÖ sei es "primär um parteipolitische Versorgung gegangen", sagt sie – etwa bei den Ex-FPÖ-Ministern Monika Forstinger und Reinhart Waneck.

Vorrang für Blau in der ÖBB und Asfinag

Beim Autobahnbauer Asfinag hatten die neuen Machthaber leichtes Spiel: Die der roten Reichshälfte zuge ordnete Präsidentin, Verfassungsrichterin Claudia Kahr, legte ihr Mandat einen Monat nach der Angelobung der Regierung zurück. Der Weg für den logischen Nach folger war frei: Peter Franzmayr, Magistratsdirektor in Wels, bekennender Burschenschafter und im Unfrieden aus dem Verkehrsministerium ausgeschiedener Straßensektionschef. Er steht seither dem Aufsichtsrat der Asfinag vor.

Auch die Entsendung von Vertrauensleuten in den Asfinag-Vorstand wird Verkehrsminister Norbert Hofer (FPÖ) leicht gemacht: Die von Verkehrsministerin Doris Bures (SPÖ) unter Bedacht auf die Frauenquote installierte Karin Zipperer legte im November ihr Mandat mit Verweis auf Auffassungsunterschiede mit dem "schwarzen" Finanzchef Klaus Schierhackl zurück.

Bei der Nachbesetzung des für Autobahnbau- und Erhaltung zuständigen Vorstandsmandates kann der im Februar mit den Vertrauensleuten Kornelia Waitz-Ramsauer (Rechtsanwältin), Peter Koren (Industriellenvereinigung), Martha Schultz (Wirtschaftskammer), Siegfried Stieglitz (Immobilienunternehmer) und Norbert Hofers Generalsekretär, Andreas Reichhardt, be setzte Aufsichtsrat im politisch wichtigen Straßenbauressort schalten und walten.

ÖBB-Präsident wird FPÖ-Urgestein Gilbert Trattner.

Forscher gingen die Blauen in der Bundesbahn zur Sache. Aufsichtsratspräsidentin Brigitte Ederer, ehemals Siemens -Österreich-Chefin und Wiener Finanzstadträtin (SPÖ), wurde abmontiert – obwohl man versichert hatte, die Vorlage der Bilanz 2017 abwarten zu wollen. Die Fäden zieht seither Heta-Vorstandsdirektor Arnold Schiefer, Burschenschafter, Straßensektionschef und ÖBB-Vorstandsdirektor (beides unter Schwarz-Blau I). Die ÖVP ist dort, anders als unter Rot-Schwarz, in den Aufsichtsräten wieder präsent mit Kurt Weinberger (Hagelversicherung) und Anwältin Cattina Leitner. Die blaue Schlagseite ist freilich unübersehbar: Generalsekretär Andreas Reichhardt, Ex-Verkehrsministerin Monika Forstinger, Ex-Klubobmann Norbert Gugerbauer, Ökonomin Barbara Kolm und Unternehmer Karl Ochsner, ein Vertrauter von Vizekanzler Strache. Die ÖVP fährt im April vom Vorstandsbahnhof ab: Schiefer wird statt Josef Halbmayr ÖBB-Finanz vorstand. ÖBB-Präsident wird FPÖ-Urgestein Gilbert Trattner, vor Jahren selbst im ÖBB-Vorstand.

Verstaatlichte als türkise Domäne

Die Verstaatlichte, beziehungsweise was nach Schwarz-Blau I von ihr übrigblieb, ist schwärzer geworden. Die ÖVP hat ihren Einfluss ausgebaut, bis sich die Koalitionäre auf die Struktur der in Öbag umbenannten Beteiligungsgesellschaft Öbib (ehemals ÖIAG) mit Anteilen an OMV, Post und Telekom Austria geeinigt hatten. Zum Jahreswechsel wird das Vehikel um Casinos Austria und Bundesimmobiliengesellschaft angereichert, der Verbund wird quasi ein assoziiertes Mitglied.

Generaldirektor der Telekom wurde mit Thomas Arnoldner ein Parteigänger und Vertrauter von Kanzler Sebastian Kurz.
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Nach einem Vorstand für die Öbag kann freilich erst im neuen Jahr gefahndet werden, gemäß Proporz bevorzugt in der schwarzen Reichshälfte. So steht es im Öbag-Gesetz, das im Jänner in Kraft tritt.

Apropos schwarz: In der Telekom schlug sich der neue Kurs schon vor der Öbag -Umgründung nieder: Generaldirektor wurde mit Thomas Arnoldner ein Parteigänger und Vertrauter von Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP), und im Verbund zieht der ober österreichische Landesrat Michael Strugl (ÖVP) in den Vorstand ein. Ausgesperrt werden die Blauen aus der Öbag wohl nicht, im sechsköpfigen Aufsichtsrat sei Platz, heißt es. (Aaron Brüstle, Renate Graber, Doris Priesching, Luise Ungerboeck, Michael Völker, 15.12.2018)