Im Vergleich zu früheren Jahren liest man heutzutage nur selten Rezensionen abgrundtief schlechter Spiele. Das hat allerdings nicht den Grund, dass weniger Schrott erscheint als früher – im Gegenteil: Weil die Anzahl der Spieleveröffentlichungen in den letzten Jahren in derart schwindelerregende Höhen geschnellt ist, ist auch die Zahl an wirklich üblen Spielen angestiegen.

Weil zum Beispiel auf der größten PC-Spieleplattform Steam pro Woche regelmäßig über 200 neue Titel veröffentlicht werden, engt sich der Blick allerdings auf jene Spiele ein, die zumindest eine gewisse Produktionsqualität von vornherein mitbringen; schließlich ist es sinnvoller und lohnender, die gelungenen Veröffentlichungen positiv hervorzuheben, als Zeit und Platz an die Vielzahl von getrost sofort zu vergessenden Spielen zu verschwenden.

Nur hin und wieder stellt man ein besonders schlechtes Exemplar auf die Bühne. Meistens allerdings dann, wenn die zuvor geschürten Erwartungen um einiges höher waren als beim Rest der missglückten Spiele. Die Fallhöhe ist bei einer mit Millionenaufwand entwickelten Möchtegern-AAA-Gurke eben höher als beim mäßig spielbaren Erstlingswerk eines Einzelentwicklers aus dem ländlichen Russland.

Die folgenden Games-Enttäuschungen blieben uns vom vergangenen Jahr aber besonders in Erinnerung.

"Fallout 76"

Klar, dass Bethesdas Megabauchfleck diese Liste prominent anführen muss: Kaum ein Titel hat dieses Jahr für größeren Spielerunmut gesorgt als die Multiplayer-only-Reinkarnation der kultisch verehrten Fallout-Reihe. Dass statt eines vollwertigen neuen Teils der Rollenspielserie ein quasi aufgebohrtes Multiplayer-Fallout 4 mit aufgepapptem Survival-Sammelwahn die Reihe fortsetzen sollte, war für viele Fans schon Affront genug, doch auch aufgeschlossenere Zeitgenossen konnte Fallout 76 nicht überzeugen. Bethesda blieb diesmal nicht nur – wie sonst auch – mit der technischen Fertigentwicklung, sondern auch mit der als revolutionär angepriesenen spielerischen Neugestaltung irgendwo auf halbem Weg stehen.

Das Ödland als Multiplayer-Spielplatz für die kreative Selbstverwirklichung diesmal wirklich rollenspielender Menschen, die sich gegenseitig NPCs sein sollten – dieses Konzept für ein Fallout als spektakulär radikale leere Leinwand fürs eigene Rollenspiel klingt besser, als es letztlich ist. Übriggeblieben ist – die Leere dieser Leinwand, die traditionellen Bethesda-Launch-Bugs und halbherzig eingesetzte Spielmechaniken, die das angepeilte Spielerlebnis leider nicht wirklich unterstützen. "War never changes", schön wär’s. Dem auch nach dem Release folgenden Reigen an Spielerdemütigungen, von mickrigen Deluxe-Goodies bis zu Datenlecks, wird – wir prophezeien es – die baldige Verramschung als Free-to-Play-Restposten folgen – wetten?

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Bethesda Softworks

"Agony"

Provokation zieht immer, und Agony versprach schon Jahre vor dem Release ultimative Tabubrüche: eine wirklich abartige Höllenvision, ein sexualisiert-groteskes Inferno, das auch die abgebrühtesten erwachsenen Spielerinnen und Spieler an die Grenzen des Erträglichen führen sollte. In gewisser Weise ist das durchaus gelungen, wenn auch ein wenig anders als beabsichtigt. Denn als Wanderer in dieser gestalterisch teils wirklich gelungenen Unterwelt beginnt man angesichts monotonen Gameplays, langweiliger Geduldsproben und vor allem bis zur Albernheit übertriebener Splatter-Ästhetik schon bald, seine Sünden abzubüßen.

Der erste Busendämon mit vage sexualisiertem Venusfliegenfallenkopf beeindruckt mehr als Nummer 75, die Suche nach Schlüsseln in schleimigen Labyrinthen gewinnt durch x-fache Wiederholung nicht an Spannung und der angepappte "Agony-Mode", der prozedural generierte, immer gleiche Endloshöllen bereithält, lässt einen Verdacht aufkommen: Was, wenn uns die polnischen Entwickler durch diese Kunstgriffe so richtig die Höllenqualen stumpfer Monotonie demonstrieren wollten? Als Videospiel ist Agony eine Gurke – als subversives Statement zu Unterhaltung, Erwartung und der Natur von Bestrafung müsste man es fast als Installationskunst würdigen.

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Agony Game

"Underworld: Ascendant"

Dass große Namen kein großes Spiel garantieren, stellte Ende des Jahres das bittere Scheitern eines vielversprechenden Indie-Releases klar: Mit Warren Spector und Paul Neurath standen in Ehren ergraute Games-Pioniere als Garanten für eine würdige Wiedergeburt der klassischen Ultima Underworld-Serie. Auf Kickstarter vorfinanziert, enttäuschte das heiß ersehnte Underworld Ascendant auch nostalgisch verklärte Fans der Looking Glass-Ära durch ein vermeintlich simples Problem: Das, was hier als fertiger Titel final veröffentlicht wurde, ließ es schlicht und einfach an geschätzt einem Jahr zusätzlicher Entwicklungszeit mangeln.

Nun sind Spielerinnen und Spieler in Zeiten von Early Access und/oder Dutzende Gigabytes großer Release-Day-Patches ohnedies schon tolerant in der Beurteilung der Komplettheit neuer Spiele, doch bei kaputten Gameplay-Mechaniken, Platzhaltergrafiken und dem sinnlosesten Speichersystem der jüngeren Spielgeschichte wünscht man sich dieses Spielerlebnis in die Unterwelt zurück. Besonders besorgniserregend: Das für dieses Debakel verantwortliche Studio Otherside Entertainment hat mit System Shock 3 die Wiederkehr eines weiteren Klassikers in Arbeit. Hoffentlich lässt man dort die namhaften Industrielegenden vor Release zumindest einmal Probe spielen.

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505 Games

"The Quiet Man"

Full-Motion-Video, kurz FMV, also die Verbindung von mit Schauspielern gedrehten Filmszenen mit Videospielen, hat ehrlich gesagt schon seit ihren peinlichen Anfangstagen kaum jemals zu mehr als zum Fremdschämen getaugt. Umso mutiger, wenn sich gar nicht so kleine Publisher wie Square Enix trotzdem dazu aufmachen, die Verquickung der verwandten Medien Film und Spiel wieder einmal zu versuchen und sie noch dazu mit experimentellen Designentscheidungen anreichern, wie etwa dieser: Weil der titelgebende "Quiet Man" dieser "immersive story driven cinematic action experience" taubstumm ist, hört auch das Publikum in den zahlreichen Filmclips – gar nix. Wohl dem, der entweder gut im Lippenlesen ist oder sich während dieser Cutscenes anderweitig zu beschäftigen weiß, etwa mit Fingernagelfeilen oder Nasenbohren.

In den Kampfsequenzen, die hampelig-stumpfes Simpelkeilern im bescheidenem Animationsumfang mit konsequentem Glitchen verbinden, wird einem die vergleichsweise solide Qualität der Videosequenzen allerdings eindrucksvoll vor Augen geführt. Die eher simple Rachestory mit Schauspielern knapp unterhalb der Erträglichkeitsgrenze bleibt dennoch der zweitschlimmste Games-Reinfall mit FMV des Jahres. Vor allem wegen des folgenden Eintrags in dieses Worst-of.

MKIceAndFire

"Super Seducer 1 & 2"

Zugegeben, Super Seducer 1 & 2 überhaupt in eine Liste mit Spielen, und seien es die schlechtesten des Jahres, aufzunehmen, bedeutet schon fast zu viel der Ehre für diese räuberische Ausnutzung männlich-juveniler Unsicherheit. Trotzdem: Was "Pickup-Artist" Richard La Ruina, Produzent und Hauptdarsteller, kommerziell erfolgreich und leidlich interaktiv hier zusammengebastelt hat, ist zumindest auf dem Papier so etwas wie ein Videospiel in der Tradition "interaktiver Filme". Das Thema: Richard La Ruina, und seine Unwiderstehlichkeit fürs andere Geschlecht. Jawohl, dem milchbärtigen Grinsekater mit dem Sexappeal eines Epiliergeräts liegt nach Eigenaussage die Frauenwelt zu Füßen – wer auch so Alpha sein will, hat mit Super Seducer dank deppensicherer Psychotricks zur Umwerbung des schönen, aber logo seinen primitiven Brutpflegeinstinkten ausgelieferten Geschlechts schon das halbe Ticket gelöst.

Immerhin herrscht irgendwie sowas wie Gleichberechtigung: Neben dem bekannt misogyn mechanistischen Frauenbild der PUA-Szene hat Super Seducer auch von seinem männlichem Publikum keine hohe Meinung. Wer sich von diesem Spiel ernsthaft "Ergebnisse" in Sachen Paarungsanbahnung erwartet, ist zu bedauern; wer nur Unterhaltung sucht, ist mit dem aktuellen Reboot von Leisure Suit Larry um Meilen besser bedient. Teil zwei von Super Seducer schraubt bei zehnfachem Budget des ersten Teils die Absurdität noch höher, lässt La Ruina im Panzer anfahren und setzt sichtlich auf die "So schlecht, dass es schon wieder gut ist"-Verteidigung; ohne Erfolg. Ein Spiel, dessen mieselsüchtiges Frauenbild nur von seiner Verachtung für sein männliches Zielpublikum übertroffen wird. Sony wollte auf der PS4 nichts damit zu tun haben.

SteamTrailers

Welche Spiele haben Sie 2018 besonders enttäuscht – und welche der genannten Gurken haben Sie im Gegensatz trotzdem für gut befunden? (Rainer Sigl, 28.12.2018)

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Foto: Imago/Traut