Am 3. Juli, Weißrusslands Unabhängigkeitstag, marschierten in Minsk heuer auch chinesische Soldaten auf.

Foto: APA/AFP / Sergei Gapon

Die chinesische Verheißung beginnt an einem Kreisverkehr im Wald, eine halbe Autostunde von Minsk entfernt. Dort, wo früher die hohen Kiefern dicht an dicht standen, sind heute breite Straßen in das Niemandsland geschlagen. Ein Stein auf der Verkehrsinsel ist mit gelben Lettern beleuchtet: "Great Stone Industrial Park", daneben ist ein rotes Banner gespannt. "Zeit ist Geld, Effektivität ist alles", steht darauf. Auf Chinesisch und auf Russisch.

Ganz aktuell sind die Pläne nicht mehr, erklärt ein Mitarbeiter des Parks, als er den Besuchern ein paar Meter weiter das Modell im Maßstab 1:500 zeigt. Aber seitdem der Präsident Weißrusslands Alexander Lukaschenko die Pläne persönlich abgesegnet hat, wird das Modell hier, im grellen Neonlicht eines Containers, gehortet wie eine Reliquie. Fabriken, Wohnblöcke und Hallen im Miniaturformat, die Wände des Containers sind mit den Fotos vom Handschlag zwischen Lukaschenko und seinem chinesischen Amtskollegen Xi Jinping gesäumt. Bis zu 30 Milliarden US-Dollar sollen auf einer Fläche von 112,5 Quadratkilometern – in etwa die Größe Klagenfurts – investiert werden. Auf einem Flachbildschirm kann man sich durch Animationen klicken. Er zeigt nicht die Zeit von Minsk an, sondern die von Peking.

Lukaschenko will Weißrussland näher an China rücken, und der Industriepark bei Minsk ist das Herzstück dieser Strategie. Schon am Flughafen Minsk wird den Besuchern diese neue Allianz vor Augen geführt, wo es neben Schildern auf Russisch und Englisch neuerdings auch welche auf Chinesisch gibt. In Minsk werden chinesische Hotels und Einkaufszentren in die Höhe gezogen.

Neue Visumfreiheit

Seit diesem Sommer reisen nicht nur EU-Bürger, sondern auch chinesische Bürger für 30 Tage visumfrei nach Weißrussland. Neben den sowjetischen Parolen ("Die Heldentaten unseres Volkes sind unsterblich!") krönen immer öfter auch Huawei-Leuchtreklamen die wuchtigen Stalin-Bauten der Hauptstadt.

Der Weißrusse Anatoli Tosik ist einer der Architekten dieser Allianz. Der 69-Jährige war fünf Jahre lang Botschafter in China und hat als Weißrusslands Vizepremier (2010–2014) viele chinesische Projekte mitangestoßen. Heute leitet er das Sprachinstitut Konfuzius an der Staatlichen Universität in Minsk, die roten Lampions bringen etwas Farbe in die muffigen Gänge des Sowjetbaus.

Warum er an die Achse Minsk–Peking glaubt? Während China helfen könne, die Wirtschaft in der chronisch klammen Ex-Sowjetrepublik anzukurbeln, könne Weißrussland wiederum auf der Neuen Seidenstraße ein Schlüsselland sein, vor den Toren der EU. "Außerdem zwingt China niemandem seine Agenda auf, wenn es etwa um Menschenrechte geht", sagt er. "Anders, als unsere westlichen Partner."

Lukascheno führt das Land seit 1994 mit harter Hand, KGB und Todesstrafe inklusive. Doch dass die Achse Minsk–Peking gerade jetzt ausgebaut wird, kommt für den Minsker Publizisten Alexander Klaskuski nicht von ungefähr: "Im Führungszirkel würde das niemand laut sagen, aber es gibt die Befürchtung, dass Russland auch in Weißrussland einen hybriden Krieg wie in der Ukraine anzetteln könnte", sagt er.

Geopolitische Balance

So haben die Weißrussen mit chinesischer Unterstützung einen Raketenwerfer entwickelt. Zudem sind heuer bei der Militärparade zum Unabhängigkeitstag in Minsk erstmals nicht nur russische, sondern auch Soldaten der chinesischen Volksbefreiungsarmee aufmarschiert. Ein Fingerzeig nach Moskau, sagt Klaskuski: "Seit der Annexion der Krim hofft Weißrussland auf China als geopolitisches Gegengewicht zu Russland."

Doch China hat nichts zu verschenken. Zwar hat Peking mitgeholfen, das Schienennetz in Weißrussland zu modernisieren. Aber was im Staatsfernsehen als "chinesische Investitionen" abgefeiert wird, sind oft nur Kredite, bei denen sich die Weißrussen verpflichten, chinesische Arbeiter, Technik und Equipment einzusetzen, während die Direktinvestitionen zuletzt mit 1,3 Prozent sogar hinter den österreichischen (2,6 Prozent) lagen (2016).

Zudem würden sich aufgrund des schlechten Investitionsklimas und der sowjetisch geprägten Managementkultur chinesische Unternehmen scheuen, in Weißrussland zu investieren, schreibt der Politologe Wadsim Smok. Also alles nur mehr Schein als Sein? Immerhin hat es Lukaschenko in seiner fast 25-jährigen Herrschaft zur Meisterschaft in der Pendelpolitik zwischen Ost und West gebracht. Auch wenn das große chinesische Wirtschaftswunder ausgeblieben ist – um seinen Aktionsradius zu erweitern, ist Lukaschenko jedes Mittel recht. (Simone Brunner aus Minsk, 13.12.2018)