Das Einzige, das er nicht dem Blues verschreiben konnte, ist seine Hautfarbe. Ansonsten gibt es wenige weiße Männer, die den Blues so spielen wie Al Cook.

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Der Mississippi ist ein großer Strom; das ist relativ bekannt. Weniger bekannt ist, dass ein Seitenarm des Flusses durch den dritten Wiener Gemeindebezirk führt. An diesem Arm sitzt Alois Koch mit seiner Gitarre und spielt, was es sich geziemt, am Mississippi zu spielen: den Blues. Damit es ein bisserl lässiger klingt, nennt er sich Al Cook. Als solcher ist er hierzulande unerreicht, der intensivste Bluesmusiker des Landes, ein Solitär.

Da werden jetzt einige raunen. Was ist, ich weiß nicht, mit der Bluespumpn oder den Wienerliedern als heimischem Pendant zum Blues? Oder der Mojo Blues Band? Oder dem Hansi Orsolics mit Mei potschertes Leb'n – allesamt bis zum Halse im österreichischen Blues watende Deutungen der Bluesstimmung.

Doch der Blues des Al Cook unterliegt keiner transatlantischen Metamorphose. Er hat nichts mit der Wiener Wehleidigkeit zu tun, die aus der Espresso-Jukebox eiert. Al Cook spielt diese prächtige Bastardmusik so authentisch wie kein anderer hierzulande. Lebensbejahend, ein bisserl hintertrieben und nach den Noten, die ihm sein Gefühl diktiert.

Dreckig und rein zugleich

Sein Werk ist das Resultat einer lebenslangen Hingabe an diese Musik gepaart mit einer liebevollen Sturheit, die noch dem dreckigsten Riff ein Reinheitsgebot auferlegt, das sehr oft Country Blues heißt. Neumoderner Scheiß muss draußen bleiben. Cook hat, musikalisch betrachtet, nie ein Kalenderblatt abgerissen, das eine Zeit vermeldete, die viel später als 1959 verkündete.

Clapton? Lieber nicht

Seine Musik stammt aus den 1920er-, 1930er- und 1940er-Jahren. Einmal, heißt es, sei eine Zusammenarbeit mit Eric Clapton angedacht gewesen. Cook entsagte, das sei bestenfalls Popmusik. Thank you, but no thank you. Wie es zu dieser strengen Haltung kam? Schuld war Elvis.

Im Rahmen des Gedenkens anlässlich des hundertjährigen Bestehens der Republik widmet sich die Reihe "Zwickt's mi" das ganze Jahr lang österreichischer Popmusik. Alben, Songs und Künstler, die die heimische Popmusik geprägt haben, werden in Erinnerung gerufen und vorgestellt.

Al Cook wurde als Alois Koch Ende des Zweiten Weltkriegs in Bad Ischl geboren. Aufgewachsen ist er in Wien, die Verhältnisse waren nach der großen Katastrophe bescheiden. Koch interessierte die Wissenschaft, die Astronomie, geworden ist es eine Lehre der Feinmechanik, zum Studieren gab es kein Geld.

Elvis als Erweckungserlebnis

Angeblich ging er mit seinem ersten Lohn ins Kino: Loving You mit Elvis Presley hatte Alois ausgesucht. Es war eine schicksalhafte Wahl. Koch beschloss nach diesem Film, Musiker zu werden. Er besorgte sich alle Elvis-Platten, derer er habhaft werden konnte, und legte los – mit dem Teppichpracker als Gitarrenersatz; es sollte noch dauern, bis er seine erste Gitarre bekam.

Zu der Zeit transformierten Bands wie die Beatles den Rock 'n' Roll in Richtung Popmusik. Cook war sich dessen gar nicht bewusst gewesen, doch er entdeckte den Blues und dass selbst Elvis sich daran orientiert hatte. Er fand in dieser Musik eine Sprache, mit der er sich mitteilen konnte.

Al Cook 1991 live.
hermholz

Sich in Wien Anfang der 1960er für alten Blues zu interessieren muss ein schwieriges Unterfangen gewesen sein. Mit dem Nazi aus dem Haus gegenüber über Leadbelly, Blind Willie McTell oder Big Bill Broonzy reden? Ging eher nicht. Doch Koch blieb dran, Berufung ging vor Beruf. Und: Wer sucht, der findet, und so tauchte er tiefer und tiefer in diese Musik ein und traf verwandte Geister wie Karl Hloch und Harald Hauzenberger. Die nannten sich bald Charlie Lloyd und Harry Hudson, Koch verwandelte sich in Cook.

Al Cook in den 1970ern: eine Art Last Man Standing – auch wenn er sitzt –, zumindest für die Bluesmusik hierzulande.
hamrecords

Er soll Interviewplatten mit Elvis so lange angehört haben, bis sich sein Englisch jenem annäherte, das man in Memphis spricht, und der Wiener Akzent egalisiert war. Auch alles andere erlernte Cook als Autodidakt, während der Zeitgeist ihm immer weiter davonlief.

Kopfschütteln im Saal

1964 trat er erstmals vors Publikum. Das war angesichts seiner Darbietung fassungslos, stand kopfschüttelnd auf und ging. Cook war das wurscht. 1967 gründete er eine Bluesband, die aber seinen Anforderungen nicht entsprach, sich als von Moden verdorben erwies, also machte er allein weiter. Als die Subkulturen hierzulande größer wurden, fiel er dort auf, fiel sein Name immer öfter. Er spielte in diversen Clubs oder bei der Arena-Besetzung.

Sein erster Auftritt vor Publikum 1964.
Foto: AlCook.com

1970 spielte er ein erstes Album ein: Das Ergebnis nannte er Working Man Blues. Es war der Plattenfirma zu unerfolgreich, dem Schöpfer selbst viel zu sauber. Für Slide Guitar Foolin' (1973) übernahm er die Technik aus den 1930ern, um den patinierten Sound alter Schellackplatten zu erzielen, der ihn so faszinierte.

Privat aufgenommen

Cook spielte den Charley Patton Blues, den Lonesome Blues oder den St. Louis Blues. "Diese LP wurde aus privaten Aufnahmen, durchwegs von Amateuren ohne Studioqualität hergestellt und war ursprünglich nicht für den öffentlichen Handel bestimmt", steht am Label des Albums.

Was manchen Konsumenten als Warnung zugedacht war, muss Cook wie ein Gütesiegel empfunden habe. Endlich dreckiger Blues. Abseits von technischem Firlefanz war Cook damals schon ein phänomenaler Musiker – bloß auf Vermarkterseite wurden seine Veröffentlichungen regelmäßig versemmelt.

In dieser kurzen Doku spricht Al Cook über ein paar wesentliche Stationen seines Werdegangs.
Studio West. Independent Film

Auf seiner Homepage erzählt er, dass das Publikum oft wenig Verständnis für seine Musik zeigte, den "Negerscheiß" gar nicht hören wollte. Das Cover seines 1986 erschienen Albums A Legendary White Face In Blues Volume 1 zeigt einen grimmig dreinschauenden Schlurf mit offenem Hemd, die Gitarre im Anschlag. Al Cook allein gegen den Rest der Welt.

Cook muss man entdecken – wie den Blues

Daran hat sich im Wesentlichen nichts geändert. Zwar wird Cook heute längst als die Ausnahmeerscheinung anerkannt, die er ist, angedient hat er sich dafür aber nicht. Er ist wie die Musik, die er spielt. Die muss man entdecken, die überfällt einen nicht aus dem Radio, die bedudelt einen nicht im Supermarkt, für die muss man sich interessieren, die muss man sich erarbeiten.

Trotz Youtube und allgemeiner Verfügbarkeit allermöglichen Informationen ist der Blues immer noch eine Geheimwissenschaft aus der Twilight Zone. Und das ist gut so, das hält seine Magie am Leben. Und Cook ist einer seiner besten Vertreter. So, wie er in seiner edlen Gala – stilsicher von der Tolle bis zur Sohle – in alte Mikros singt und Gefühl aus seinen Saiten zaubert, das können nicht viele. Weißer König des schwarzen Blues wird er gerufen, das hat was.

Al Cooks Ode an die Big Fat Mama.
FanSeppD

Ein gutes Dutzend Alben hat er aufgenommen, ein paar Kompilationen gibt es. Erleben muss und sollte man ihn aber live. Cook ist immer noch umtriebig, sein jährlicher Birthday-Jamboree findet im März im Wiener "Schutzhaus zur Zukunft" statt. Ein anachronistischer Austragungsort für einen Mann, der sein Leben einer vermeintlich alten Musik verschrieben hat.

Wider den Zeitgeist

Doch das sehen natürlich nur Nichteingeweihte so: Für Cook ist der Blues zeitlos. Für ihn ist er jener Meteor, dessen Einschlag vieles von dem ins Rollen gebracht hat, aus dem später Popmusik wurde. Doch der Weg weg hat ihn nie interessiert, Cook hat sich nie weit vom Urknall entfernt. Seine Autobiografie heißt Al Cook – kein Platz für Johnny B. Goode und legt im Untertitel seine Haltung manifest dar: "Blues als Rebellion gegen den Zeitgeist".

Was anderswo als wichtigtuerische Floskel gelesen werden kann, ist Cook Gebot. Ein Großer. (Karl Fluch, 15.12.2018)