Weißwangen- oder Nonnengänse (Branta leucopsis) leiden bis heute unter den Folgen eines Minenunglücks auf Spitzbergen.

Foto: Andrew Cannizzaro

Wien/Spitzbergen – Welche Folgen Umweltkatastrophen auch noch Jahrzehnte danach auf die Natur haben können, zeigt eine aktuelle Studie mit österreichischer Beteiligung: Vor über 50 Jahren waren bei einem Grubenunglück auf der arktischen Inselgruppe Spitzbergen unter anderem Schwermetalle freigesetzt worden. Spuren davon lassen sich nach wie vor in der Region nachweisen – und sie beeinflussen immer noch das Verhalten junger Gänse.

Das Forschungsteam um Isabella Scheiber vom Department für Verhaltensbiologie der Universität Wien, Brigitte Weiß von der Universität Leipzig und niederländische Kollegen begab sich für seine Untersuchungen jenseits des Polarkreises. Am 5. November 1962 ereignete sich in einer Kohlemine nahe dem kleinen Ort Ny-Ålesund auf dem zu Norwegen gehörenden Archipel ein Grubenunglück. Zwar wurden die Verschmutzungen in dem Ort damals beseitigt, die Umgebung der einstigen Mine wurde jedoch nicht gesäubert.

Ungesundes Brutgebiet

In diesem Gebiet sucht eine seit den 1980er-Jahren erforschte Nonnengans-Population (Branta leucopsis) Nahrung und zieht ihren Nachwuchs auf, wie die Forscher im Fachjournal "Proceedings of the Royal Society B" berichten. Durch eine Begleitstudie ist bekannt, "dass sowohl der Boden als auch die Vegetation in der verlassenen Mine noch immer erhöhte Schwermetallkonzentrationen aufweisen, und diese Schwermetalle von den Vögeln beim Fressen aufgenommen werden", erläuterte Scheiber.

Ob es Unterschiede zwischen Junggänsen (sogenannte Gössel), die in der schadstoffbelasteten Mine fraßen und einer weiteren Gruppe gibt, untersuchten die Forscher, indem sie 16 Eier aus Nestern auf nicht kontaminierten Inseln vor der Ortschaft einsammelten und diese dann von Hand aufzogen. Die eine Hälfte führten sie später für rund drei Wochen zum Fressen in das Minengebiet, der andere Teil der Gruppe durfte in unbelasteten Gebieten grasen, während alle Tiere den Rest des Tages gemeinsam verbrachten.

Stress durch Isolation

Die Wissenschafter unterzogen die Gössel dann einem standardisierten Stresstest. Sie wurden dabei für kurze Zeit von ihren Familienmitgliedern isoliert und konnten sich nicht frei bewegen, was die hochsozialen Tiere stresst. Außerdem wurden die Stresshormonwerte aller Tiere registriert.

Die Schadstoff-exponierten Gössel verhielten sich dabei unruhiger und hatten stark erhöhte Stresshormonwerte. "Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass exponierte Gössel durch die Tests tatsächlich stärker gestresst waren. Insgesamt waren die Reaktionen der exponierten Gössel zudem weniger vorhersagbar", sagte Weiß. Die Studie zeige, "dass die Schadstoffe aus vergangenen Umweltverschmutzungen langfristig auf einem Niveau bleiben, das ausreicht, um die Stressreaktionen der Tiere entscheidend zu verändern", so Scheiber.

Da adäquate Reaktionen auf Stress mitunter für das Überleben der Tiere entscheidend sind, sollte in weiteren Untersuchungen analysiert werden, welche Auswirkungen eine derart frühe Schadstoffaufnahme auf den zukünftigen Fortpflanzungserfolg und die Lebenserwartung der Gänse hat. (APA, red, 15.12.2018)