Stechender Blick, beißender Witz. Popikone Henry Rollins gastiert am Samstag als Spoken-Word-Artist im Gartenbaukino.

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Das Leben ist zu kurz, um es mit Unsinn zu vergeuden. Das ist, höflich übersetzt, einer seiner Stehsätze. Anders als die meisten lebt er nach solchen Vorgaben. "Live long and strong", darum bemüht er sich.

Henry Rollins ist ein Arbeitstier. Das bedeutet oft nichts Gutes, im Fall des 57-jährigen US-Amerikaners füllt es den Terminkalender 365 Tage im Jahr. "Part animal, part machine" lautete in den 1980ern eine Selbstbeschreibung des Musikers. Der Slogan illustriert Getriebenheit, dazu die Kraft und die Ausdauer, dieser Behauptung zu entsprechen. Rollins einen Musiker zu nennen ist zwar nicht falsch, aber nur ein Bruchteil der Wahrheit.

Seit Jahren umkreist er die Welt als Spoken-Word-Artist. Als solcher ist er am kommenden Samstag Gast im Wiener Gartenbau kino. Daneben arbeitet er als gefragte Synchronstimme für Filme und Games, veröffentlicht Bücher wie ein Irrer, fotografiert, bereist so gefragte Destinationen wie Irak, Iran, Sudan, Afghanistan, Nordkorea und ähnliche Weltgegenden. Oder steht vor der Kamera.

Der Mann aus Los Angeles hat in den 1990ern in großen Produktionen wie Michael Manns Heat oder David Lynchs Lost Highway mitgespielt, vor ein paar Jahren war er in der Bikerserie Sons of Anarchy zu sehen. Wenn ihm ein Drehbuch taugt, übernimmt er Rollen in No-Budget-Movies genauso. Er schreibt Kolumnen, modelt und moderiert Fernseh- und Radioshows … – es gibt wenig, was er nicht macht. "Part animal, part machine", wir erinnern uns.

Polarisierende Figur

Eine derart omnipräsente Figur polarisiert. Viele wünschten, er möge zu einem Thema einmal nichts sagen, andere hängen süchtig an seinen Lippen. Denn der Comedian Rollins ist mehr als die übliche Anekdotenschleuder. Rollins ist ein Provokateur, ein warmherziger Zyniker und harter Kritiker seiner selbst. Er arbeitet nach einem strengen Ethos. Eingeordnet in Love und Hate erscheint seine Sicht auf die Dinge mitunter undifferenziert, aber sie ist immer argumentiert. Viele seiner Geschichten fußen auf Erlebnissen und Erfahrungen, die wir Warmduscher lieber nicht machen: Besuche in Kriegslazaretten, Reisen in lebensgefährliche Slums, Ausflüge auf die Minenfelder dieser Welt – buchstäblich.

Wenn der engagierte Pazifist, Gay- und Lesbian-Rights-Aktivist, Grammy-Gewinner und William-"Cpt. Kirk"-Shatner-Freund Soldaten in Afghanistan besucht, dann um ihnen als der Typ zu begegnen, der ihnen seine Sicht auf den Krieg mitbringt. Seine Soldatenbetreuung ist kein regimetreues Propagandagelaber, sondern eine Perspektive, die die Armee eher nicht bietet. Und noch mehr: Er will wissen, wie es den Leuten geht, in deren Land sich der Irrsinn des Kriegs ereignet.

In Wien stellt er eine Travel Slideshow vor. Schon lange fotografiert Rollins auf seinen Reisen, eine Sammlung von Bildern bringt er mit, eine Sammlung von Geschichten erzählt er dazu. "I have enough blues to sink your ship", hat er schon vor 30 Jahren gesagt, und ein "but who needs that?" angehängt.

Seine Erzählungen durchziehen Humanismus und bissiger Humor. Diese Mischung hat er sich als Punk angeeignet. Aufgewachsen ist er bei seiner Mutter in Washington, D.C. Die Hyperaktivität des als Henry Lawrence Garfield geborenen Kindes wurde mit Ritalin behandelt, auf der Militärschule erfuhr er Härte und Disziplin. Die Schule hasste er pflichtschuldig, die Disziplin nutzte er – auf seine Art. Rollins kanalisierte seine Energie in Punkrock. Mit zwanzig wurde der Mann mit dem markanten Grübchen am Kinn und dem stechenden Blick Sänger der wegweisenden Hardcore-Formation Black Flag. 1981 war das.

An diese Zeit erinnern zwei Tattoos des Bandlogos, das der Künstler Raymond Pettibon entworfen heute. Die vier schwarzen, leicht verschobenen Balken sind heute eines der berühmtesten Logos der Popkultur. Als Sänger war Rollins ein Vollkontaktmann. Nur mit Radlerhosen bekleidet, verwandelte er die Bühne in einen See aus Schweiß, Tränen und nicht selten Blut. Wenn die Kunst nicht spürbar ist, ist sie nichts wert, wenn sie schmerzt, umso besser. Den Schmerz holte er sich rücksichtslos gegen sich selbst, manch einem Konzertbesucher brachte er ihn auch.

Witziger Moralist

Nach dem Ende von Black Flag machte er solo und mit der Rollins Band weiter und wuchs zu einem Hausheiligen der Gegenkultur. Seine Popularität, sein Status und sein Wohlstand scheinen dem ewigen Junggesellen egal zu sein. Geld ist etwas, das er ins nächste Abenteuer investiert, in seinen Verlag, in Schallplatten. Rollins ist der ewige Fan. Wenn ihn etwas interessiert, will er alles dazu wissen, alles davon haben.

Seine Auftritte sind extrem unterhaltsam. Kein Abend ist je gleich, Rollins informiert sich über seine Gastgeberländer, weiß, was dort läuft, weiß, was dort falsch läuft. Groteskes kreuzt er mit seiner Moral, Witziges mit Aberwitzigem. Dabei missioniert er nicht. Er trägt lediglich seinen Standpunkt vor; ob man ihn teilt oder nicht, nicht sein Problem. Aber er hält mit seiner Meinung nie hinterm Berg, viel mehr outspoken als Rollins kann man kaum sein.

Als Sänger war er ein Naturereignis: wild, muskulös, tätowiert, schweißnass und konfrontativ. Beim Erzählen gibt er sich vergleichsweise gesittet – ohne besonderen Intensitätsverlust. Zwar humpelt er seit einigen Jahren wegen eines Ischiasleidens, doch der Schmerz war ihm schon vorher ein ständiger Begleiter. Mehr noch, er ist ihm Antrieb, erinnert ihn, dass er lebt: "Wenn es mir wehtut, muss ich härter werden."

Was vor zwanzig Jahren gegolten hat, gilt noch immer. Prinzi pien ändern sich nicht – aus Prinzip nicht. (Karl Fluch, 10.12.2018)