Washington – Für die Russland-Nachforschungen des US-Sonderermittlers Robert Mueller waren Michael Flynns Aussagen offenbar zentral. Für jene, die sich für diese Ermittlungen interessieren, bleiben sie aber rätselhaft. Dutzende Zeilen in der Dienstagabend veröffentlichten Strafempfehlung Muellers gegen den ehemaligen US-Sicherheitsberater Michael Flynn sind geschwärzt – darunter jene, die sich auf den Inhalt der Kooperation des ehemaligen Trump-Vertrauten mit Mueller beziehen.

Und auch solche, die noch größere Überraschungen bieten könnten: "Der Beschuldigte hat substanzielle Hilfe in Ermittlungen zu einem Kriminalfall beigetragen", heißt es in der ersten Zeile von Punkt A, der sich offenbar auf bisher völlig unbekannte Ermittlungen bezieht. Die nächsten 22 Zeilen sind geschwärzt – offenbar, um die noch laufenden Nachforschungen nicht zu gefährden.

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Klar ist allerdings: Flynn dürfte dem Ermittlerteam massiv weitergeholfen haben. Der im Februar 2017 nach knapp drei Wochen im Amt gefeuerte Sicherheitsberater habe 19 Interviews mit den Mitarbeitern Muellers geführt und damit auch dazu beigetragen, mehrere "wichtige Zeugen" zur Kooperation mit Ermittlern zu bewegen. Welche Art der Zusammenarbeit dies genau betrifft, geht aus dem Dokument nur unvollständig hervor – denn auch 24 Zeilen zu den Russland-Nachforschungen, die auf die Einleitung "Der Beschuldigte stellte auch nützliche Informationen bereit, zu…" folgen, sind durchgehend schwarz übermalt.

Keine Haft gefordert

Der Wert der Informationen lässt sich am Strafmaß abschätzen, das Mueller für Flynn fordert. Statt der Maximalstrafe von fünf Jahren Haft, die dem ehemaligen General für das Belügen von FBI-Ermittlern drohen könnte, beantragte Mueller nun "eine Strafe am unteren Ende der Vorgaben". Auf eine Gefängnisverwahrung für Flynn könne aus Sicht der Ermittler vollständig verzichtet werden.

Für US-Präsident Donald Trump sind das allem Anschein nach schlechte Nachrichten. Nicht zuletzt deswegen, weil aus dem neuen Flynn-Dokument mit einiger Deutlichkeit hervorgeht, dass die Nachforschungen Muellers sich noch nicht ihrem Ende zuneigen. Dafür sprechen auch die zahlreichen Schwärzungen, die sich auf laufende Ermittlungen beziehen.

"Lock her up!"

Zudem ist Flynn für viele Ermittlungsthemen von zentraler Bedeutung, er sei "eine der wenigen Personen mit Langzeiteinsichten aus erster Hand in die Geschehnisse und Themen, mit denen sich das Büro des Sonderermittlers befasst", wie Muellers Team es ausdrückt.

Ex-Präsident Barack Obamas einstmaliger Chef des Verteidigungsnachrichtendienstes DIA (2012–2014) war im Wahlkampf ein wichtiger Unterstützer Trumps; mehrfach leitete er bei Wahlveranstaltungen die im Chor vorgetragenen "Lock her up!"-Rufe ein, mit denen Trump-Fans die Inhaftierung seiner Gegnerin Hillary Clinton – vormalige Außenministern unter Obama – forderten.

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"Lock her up!"
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Nach Trumps Wahl – aber vor dessen Angelobung – soll er mehrfach Kontakt zum damaligen russischen Botschafter in Washington, Sergej Kisljak, gesucht haben. Einmal, um Russlands Votum bei einer Abstimmung zu israelischen Siedlungen in der Uno zu beeinflussen, wie Flynn später zugab. Dabei, so gab Flynn an, habe er "auf Anweisung eines Mitglieds des Trump-Übergangsteams" gehandelt – US-Medien vermuten, es habe sich um Trumps Schwiegersohn Jared Kushner gehandelt.

Wenig später folgte der zweite Kontakt mit Kisljak: Diesmal ging es darum, Russland von der Verhängung von Gegensanktionen gegen die USA abzubringen. Beide Kontakte sind für sich genommen nicht illegal. Was Flynn juristisch und politisch zum Verhängnis wurde, war die Tatsache, gegenüber FBI-Agenten und US-Vizepräsident Mike Pence darüber gelogen zu haben. Später soll US-Präsident Donald Trump den damaligen FBI-Chef James Comey aufgefordert haben, bei den Ermittlungen gegen Flynn Milde walten zu lassen – was ihm möglicherweise als Behinderung der Justiz ausgelegt werden kann.

Daten sind nun sicher

Die Veröffentlichung von Muellers Strafempfehlung in Bezug auf Flynn war nicht nur wegen möglicher neuer Details zu den Ermittlungen mit Spannung erwartet worden – sondern auch, weil sie für Mueller die Möglichkeit bietet, Ermittlungsergebnisse an die Öffentlichkeit zu tragen. Er benötigt dafür keine Genehmigung des von Trump eingesetzten und nun zuständigen Interims-Justizministers Matt Whitaker, der sich mehrfach kritisch zu den Ermittlungen geäußert hat und der die Veröffentlichung eines Berichts blockieren könnte. Auch wenn das Dokument in seiner öffentlichen Variante geschwärzt ist: Der zuständige Richter hat Zugriff auf die Daten und kann diese auch publizieren.

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Unschön für Trump, der stets jegliche Zusammenarbeit mit Russland dementiert hatte, ist das Dokument auch wegen des Kontexts, in dem es erscheint: Erst vergangene Woche hatte sein ehemaliger Anwalt Michael Cohen, der ebenfalls mit Mueller kooperiert, gestanden, zugunsten Trumps den Kongress über ein geplantes Bauprojekt für einen Trump-Tower in Moskau belogen zu haben.

Schon vorher hatte Cohen Trump beschuldigt, ihn 2016 angewiesen zu haben, Schweigegeld an Frauen zu zahlen, damit diese Affären mit dem damaligen Präsidentschaftskandidaten nicht an die Öffentlichkeit brächten – eine Form der illegalen Wahlkampffinanzierung, weil die Gelder nicht in den Ausgaben der Trump-Kampagne aufscheinen. Auch eine Strafempfehlung Muellers für Cohen wird Ende der Woche erwartet.

Für Trump kommt es dicke

Zudem will Mueller bald Dokumente vorlegen, mit denen er seine jüngste Meldung an das Gericht begründet, Trumps ehemaliger Wahlkampfmanager Paul Manafort habe seine Ermittler belogen. Auch dabei werden neue Details erwartet.

Ebenfalls am Dienstag hatte Trumps Vertrauter Roger Stone außerdem bei einer Anhörung vor dem Justizausschuss des Senats die Aussage zu Kontakten mit Wikileaks-Gründer Julian Assange verweigert, dessen Plattform im Wahlkampf 2016 mutmaßlich von russischen Hackern erbeutete E-Mails aus der Wahlkampagne Hillary Clintons öffentlich gemacht hatte. Stone berief sich auf den fünften Zusatzartikel zur US-Verfassung. Dieser erlaubt Bürgern zu schweigen, wenn sie sich unter Eid beispielsweise selbst beschuldigen müssten.

Und schließlich gibt es noch eine andere Feinheit aus dem Flynn-Brief Muellers vom Dienstag, der findigen US-Journalisten aufgefallen ist. Muellers Mandat war es gewesen, eine allfällige Zusammenarbeit der Trump-Wahlkampagne mit Russland zu prüfen ("any links and/or coordination"). Im neuen Papier fehlt in einem sonst gleichlautenden Satz die Anfügung "any" – Mueller geht also eindeutig davon aus, dass es eine solche Zusammenarbeit gegeben habe. (Manuel Escher, 5.12.2018)