Die Lage in Frankreich hat etwas Absurdes: Die so umstrittene Erhöhung der Benzinsteuer wird durch die aktuelle Baisse der Erdölpreise mehr als neutralisiert; das Autofahren wird also fürs Erste gar nicht teurer. Außerdem hat Premier Édouard Philippe die Taxe nun für ein halbes Jahr "suspendiert" – und aufgrund früherer Erfahrungen in Frankreich ist anzunehmen, dass Emmanuel Macrons Ökosteuer damit wohl ganz gestorben ist.

Und trotzdem mobilisieren die Gelbwesten, die "gilets jaunes", weiter. Unlogisch? Nur auf den ersten Blick. Der Rückzieher der Regierung "kommt zu spät und ist zu wenig", sagte ein Vertreter der Protestbewegung. Ihre Mitglieder wollen nun viel mehr als die bloße Stornierung der Benzinsteuererhöhung. Ihre Forderungen, zum Beispiel nach höheren Mindestlöhnen, fußen auf einem Gefühl zunehmender sozialer Ungerechtigkeit. Die Stimmung hat sich Bahn gebrochen und lässt sich nicht mehr so schnell eindämmen.

Dieses Gefühl reicht weit zurück, es beruht auf der Globalisierung, die auch in Frankreich urbane Gewinner hervorgebracht hat, die ärmeren Provinzbewohner aber übergangen hat. Das Moratorium auf die Benzinsteuererhöhung wird den Volkszorn kaum besänftigen. Für kommenden Samstag werden in Paris neue Gewaltexzesse befürchtet. Die Ankündigung des Premiers war nur die Probe für Macrons eigentlichen Auftritt: Die Franzosen wollen die Steuer definitiv loswerden. Oder ihren Präsidenten. (Stefan Brändle, 4.12.2018)