Bei der Mindestsicherung neu sind sich Wallner (VP) und Wiesflecker (Grüne) uneins

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Bregenz – "Katastrophal und unverantwortlich" wären die Folgen für Familien, sollte der Regierungsentwurf zur Neuordnung der Mindestsicherung tatsächlich Gesetz werden, sagt die Vorarlberger Soziallandesrätin Katharina Wiesflecker (Grüne). Die Begutachtungsfrist für das neue Sozialhilfe-Grundsatzgesetz läuft bis 10. Jänner. "Haltung zeigen", fordert sie von den ÖVP-Abgeordneten.

"Die Abstimmung wird für alle Christlich-Sozialen in der ÖVP zur Gewissensprobe", sagt die Politikerin und empfiehlt Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), sich mit der Alltagsrealität Betroffener auseinanderzusetzen: "Kurz und Konsorten sollten einen Tag in die Sozialhilfeabteilung einer Bezirkshauptmannschaft gehen und betroffenen Menschen erklären, wie sie mit ein paar Euro pro Tag auskommen sollen."

Ressentiments in Gesetzesform

Die Bundesregierung habe in der Gesetzesvorbereitung auf die Mitarbeit der Länder verzichtet und tue es auch in der Umsetzung, kritisiert Wiesflecker. Statt Mindeststandards zu definieren und den Ländern Spielraum zu geben, gebe das Gesetz Höchststandards vor. "Mit dem zynischen Zusatz, dass es auch weniger sein dürfe."

Das Gesetz, das laut Bundesregierung "die Dämpfung der Zuwanderung ins österreichische Sozialsystem" zum Ziel hat, sei getragen von Ressentiments. Bevölkerungsgruppen würden gegeneinander ausgespielt, sagt Wiesflecker – beispielsweise Alleinerziehende, die durch höhere Wohnzuschläge profitieren (vorausgesetzt, sie haben nicht mehr als drei Kinder), gegen Großfamilien.

Österreichische Familien mit zwei Erwachsenen verlieren bei zwei Kindern 30 Euro, bei drei Kindern 192 Euro. Wer vier Kinder hat, bekommt 300 Euro weniger. 2017 zählte die Vorarlberger Sozialabteilung 473 Bedarfsgemeinschaften (Haushalte) mit drei und mehr Kindern.

Große Familien besonders gefährdet

Verschärft wird die Situation für Familien, deren Eltern nicht Deutsch auf B1-Niveau vorweisen können. In Vorarlberg sind das 90 Prozent der Betroffenen. Je nach Familienkonstellation würde um bis zu 600 Euro gekürzt, rechnet Wiesflecker vor. "Diese Familien werden auf der Straße landen", befürchtet die Landesrätin.

Was bringt das neue Sozialhilfegesetz an Einsparungen? Wiesflecker: "Gar keine. Wir haben dank guter Arbeitsmarktsituation rückläufige Zahlen und österreichweit mit 6,4 Monaten die geringste Verweildauer in der Mindestsicherung." 2017 wurden 43 Millionen Euro ausgegeben, 2018 standen 41 Millionen im Budget.

"Auf jeden Fall wird uns das neue Gesetz Mehrarbeit bescheren", befürchtet die Soziallandesrätin. So hätten die Länder zusätzliche Daten zu liefern, auch "vollkommen überflüssige wie jene über die Staatsbürgerschaft der Eltern von erwachsenen Mindestsicherungsbeziehern".

Chancenreiches Land für Kinder?

Knapp 40 Prozent der Mindestsicherungsbezieher sind Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren. Landeshauptmann Markus Wallner (VP), der Vorarlberg zum "chancenreichsten Lebensraum für Kinder" machen will – so sieht es zumindest das Ergebnis eines Markenbildungsprozesses für das Bundesland vor –, sieht dieses Zukunftsziel nicht gefährdet.

Kürzungen bei kinderreichen Familien hätten ihre Richtigkeit, sagte Wallner am Dienstag beim wöchentlichen Pressefoyer. Schließlich könne es nicht angehen, dass eine Familie über Mindestsicherung und Kinderbeihilfe mehr Einkommen habe als eine Familie durch Erwerbsarbeit. Wallner spricht von 3.000 bis 3.500 Euro. Es gelte jetzt aber, noch ausstehende Höchstgerichtsurteile zu Kinderrichtsätzen abzuwarten und den Gesetzesentwurf in den nächsten Wochen "auf Herz und Nieren zu prüfen".

Einmischung aus Wien wird nicht geduldet

Widerstand aus dem Vorarlberger Landhaus, auch von der Volkspartei, ist gegen den Eingriff des Bundes in Sozialleistungen des Landes zu erwarten. So sollen Wohnbeihilfe und Heizkostenzuschüsse gestrichen werden. Wiesflecker sieht darin eine Missachtung des Subsidiaritätsprinzips.

Landeshauptmann Wallner ist gegen einen Eingriff der Bundesregierung in Landesförderungen, die unabhängig von der Mindestsicherung gewährt werden. Wohnbeihilfe und Heizkostenzuschuss seien Landessache "und müssen auch Landessache bleiben". (Jutta Berger, 4.12.2018)