"Ich bin dort verrückt geworden", sagt Safi über seine Zeit in Drasenhofen.

Foto: Christian Fischer

Nudeln mit Sauce gibt es. Endlich. Vier Tage lang bekam Saif nur Käse oder Putenfleisch zu essen. Vier Tage lang war der 17-Jährige gemeinsam mit 13 anderen unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen in Drasenhofen, im "Gefängnis", wie er es nennt. Jetzt, Samstagabend, sitzen neun von ihnen um einen runden Esstisch im Quartier St. Gabriel in Maria Enzersdorf, ebenfalls in Niederösterreich. Auf dem Tisch: ein Aschenbecher und ein Berg Zwiebeln. Drei kommen am Sonntag nach. Von den restlichen beiden weiß man derzeit nichts. Vielleicht sind sie untergetaucht.

Eine Stunde Autofahrt entfernt, in Drasenhofen an der tschechischen Grenze, musste Saif um 6 Uhr Früh zum Frühstück aufstehen. Und das, obwohl er eigentlich nie frühstückt. Doch wenn er liegen blieb, kamen Wachmänner und zogen ihm die Decke weg oder stießen ihn aus dem Bett, sagt er. Er sagt aber auch: "Sie sind nicht schuld. Sie haben nur gemacht, was der Chef sagt."

Das Haus St. Gabriel liegt inmitten eines Parks in Maria Enzersdorf.
Foto: Christian Fischer

Mikl-Leitner sprach ein Machtwort

Freitagabend, um 21.04 Uhr, kam Saif im Haus St. Gabriel an. In dem kleinen Park, in dem das Backsteingebäude steht, lag Schnee. Die Stunden davor waren turbulent, für die Asylwerber und die österreichische Innenpolitik. Als bekannt wurde, dass die Jugendlichen in Drasenhofen, einem ehemaligen Grenzposten, hinter einem Stacheldraht eingesperrt waren und nur eine Stunde am Tag lediglich in Begleitung einer Sicherheitskraft das Quartier verlassen durften, wurde Kritik laut. Sehr laut.

Das Quartier in Drasenhofen, ein ehemaliger Grenzposten, ist mit Stacheldraht umzäunt.
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Bis die Kinder- und Jugendanwaltschaft entschied, die Jugendlichen müssten raus aus dem Quartier, und die niederösterreichische Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) befahl, diesen Entscheid sofort umzusetzen. Noch am Abend veranlasste man die Umsiedelung der 14 Jugendlichen, weg aus der Grundversorgung und damit weg aus dem Zuständigkeitsbereich Gottfried Waldhäusls, des blauen Asyllandesrats, und hin in die Obsorge der Kinder- und Jugendhilfe im Haus St. Gabriel der Caritas – ausgerechnet jenem Quartier, aus dem Waldhäusl im Juni schwerkranke Bewohner verlegen ließ.

Im Haus St. Gabriel sind neben den neun Asylwerbern aus Drasenhofen auch Familien und Personen mit psychischen oder physischen Erkrankungen untergebracht.
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Rauchen war alles, was blieb

Müde sehen sie aus, die neun, die schon da sind. Sie sprechen nicht viel. Auch Saif hat rote Augen. Er hat in Drasenhofen nur selten geschlafen, Angst vor der Abschiebung habe er gehabt. "Es waren zwar nur vier Tage", sagt er, "aber für mich war es wie vier Jahre." Neun Packungen Zigaretten hat er in der Zeit dort geraucht, erzählt er.

Sonst gab es nichts zu tun, kein Fernsehen, kein Internet, wer mehr als eine Stunde draußen war, bekam kein Taschengeld mehr – zehn Euro sind nicht viel, aber sie fehlen. Rauchen war alles, was Saif blieb. Und Denken. "Ich bin dort verrückt geworden", sagt er. Als sie erfuhren, dass sie wegkönnen, "da hat der da eine Stunde lang getanzt", sagt Saif und zeigt auf einen jungen Mann, der nun Spaghetti auf eine Gabel dreht.

Die "Presse" zitiert in ihrer Sonntagsausgabe aus dem Bericht der Jugendanwaltschaft über das Quartier in Drasenhofen. Ein schlechter Hygienezustand, kaum Einrichtung, notdürftige Betten und "der Anschein von Freiheitsentzug" sollen darin bemängelt werden. Außerdem werde der Kontakt zu Vertrauenspersonen unterbunden, das Kindeswohl sei durch fehlende pädagogische Betreuung gefährdet. Der zuständige Landesrat Waldhäusl betont im Gespräch mit dem STANDARD einmal mehr, keine Gesetze verletzt zu haben.

"Niemand wollte sie haben"

Weil sie angeblich straffällig, "notorische Unruhestifter", wie Waldhäusl sie nannte, seien, wurden spezielle Sicherheitsmaßnahmen getroffen. Zum STANDARD sagt Waldhäusl am Sonntag, es würden zwar nicht gegen alle Strafverfahren laufen, doch alle seien in ihren bisherigen Unterkünften auffällig geworden. "Kein Quartier wollte sie haben, darum haben wir einen Platz für sie gesucht", sagt er. Das es kein Konzept zur Betreuung der Jugendlichen gab, wie die Kinder- und Jugendanwaltschaft kritisierte, weist er zurück. Die Sicherheitsmaßnahmen seien zum Schutz der Asylwerber gewesen.

Laut Klaus Schwertner, Generalsekretär der Caritas Wien, ist Waldhäusls Darstellung in einem ZIB2-Interview, einige der Jugendlichen seien schwer kriminell, eine Übertreibung, er bestätigt aber einzelne Verfahren und Urteile.

Klaus Schwertner im Flur des Hauses St. Gabriel. Rechts und links von ihm sind die Zimmer, in denen die neun Asylwerber nun wohnen.
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Alte und neue Wunden

Und Saif? Der kann nur seine Version einer Geschichte erzählen. Er müsse 2.750 Euro zahlen, sagt er, weil er angeblich am 26. Juni 2018 seine Unterschrift unter die Erklärung gegeben haben soll, dass er freiwillig zurück in den Irak gehe, und sich nun weigere. Er sagt, er habe nie einen Zettel unterschrieben, darum wolle und könne er die Strafe nicht zahlen. Wie er so im Schneidersitz auf einem Polstersessel sitzt, jahrealte Narben von Bomben und einem gewalttätigen Vater an Händen und Füßen und stundenalte Schnitte von sich selbst am Unterarm, sieht er mehr aus wie ein Opfer als ein Täter. Weder die Caritas noch Waldhäusl wollen Einzelfälle kommentieren.

Das Quartier Drasenhofen kannte Saif schon, fast zwei der vier Jahre, die der Iraker nun in Österreich ist, hat er dort verbracht, 2015 und 2016. Später war er in einem privaten Quartier in Korneuburg, erzählt er, in Österreich sein liebstes Quartier. Bis seine Betreuerin ihm sagte, er werde abgeholt, Saif war gerade beim Geschirrspülen, das hat er dort für einen Hunderter im Monat gemacht. 20 Minuten hatte er Zeit, um seine Sachen zu packen: "Ich habe einfach alles in ein Sackerl gesteckt, ohne zu wissen, was mein Zeug ist."

Saif auf dem Weg in sein Zimmer. Nach vier Tagen "Gefängnis", wie er sein letztes Quartier nennt, kommt er nun zur Ruhe.
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Als er in Drasenhofen ankam, dachte Saif, es werde wie vorher sein, so wie damals, als man vor die Tür gehen konnte, wenn man wollte, auch wenn es dort nicht viel mehr gab als ein kleines Beisl. War es nicht.

Hier in St. Gabriel kann er wieder hinaus, wann er will. Wie lang er hierbleiben kann, weiß er nicht. In wenigen Monaten wird er 18, dann ist er kein unbegleiteter minderjähriger Flüchtling mehr. Seine Abschiebung wird damit wahrscheinlicher. Und er fällt mit seinem Geburtstag aus der Obsorge des Kinder- und Jugendschutzes. (Gabriele Scherndl, 2.12.2018)