Gexi Tostmann und Anna Tostmann-Grosser sind Trachtenunternehmerinnen mit Leidenschaft. Reden sie über ihre Arbeit, dann gibt es schöne und weniger schöne Sachen. Zu den schönen gehört für Mutter und Tochter das Handwerkliche und das Ästhetische. Nachhaltig sei man schon gewesen, als das Wort in der Wirtschaft noch keinen Platz gehabt hätte. Durch ihr Engagement für Asylwerber als Lehrlinge haben sie langjährige Kunden verloren, aber auch neue dazugewonnen.

STANDARD: Sie erwähnten, Sie hätten ein Kreuz verloren. Haben Sie es wiedergefunden?

Tostmann: Aah, das Kreuz für das Grab meiner Mutter, ich habe jetzt an den Rücken gedacht. Ich habe es gefunden.

STANDARD: Wie kann man ein Grabkreuz verlieren?

Tostmann-Grosser: Die Mutti kann alles verlieren.

STANDARD: Und trotzdem erfolgreich sein?

Tostmann: Ein Grund meines Erfolges, den ich ja nicht habe, aber den man mir in die Schuhe schiebt, ist, dass ich nichts kann, faul bin und mich in die Firma meiner Eltern hineinsetzte. Und dass die Mitarbeiter denken, die arme Unbegabte, da müssen wir schauen, dass das gut weitergeht.

Gexi (Gesine) Tostmann (76) und Anna Tostmann-Grosser (42) in ihrem Geschäft in Wien. Die eine ist eine Institution in Sachen Tracht, die andere würde gern auf deren Symbolgehalt verzichten.
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STANDARD: Wie ticken Sie?

Tostmann-Grosser: Ich bin ziemlich perfektionistisch, kombiniert mit Chaotentum. Ich kann nur unter Druck gut arbeiten, werde erst gegen Ende kreativ, und dann hätte ich es gerne perfekt.

STANDARD: Es ist nicht lange her, da waren Sie drei Generationen Frauen im Betrieb. Wie geht das bei so unterschiedlichen Charakteren?

Tostmann-Grosser: Das ist sehr lustig. Mein Mann ist ja auch im Unternehmen. Er hält sich aus dem kreativen Bereich zurück. Die Mutti sagt immer, sie hält sich zurück, was aber leere Worte sind. Ich bin für Einkauf und Kollektionen zuständig. Wenn es gut ist, dann passt es, wenn nicht, bekomme ich es auch zu hören (lacht).

Tostmann: Für die Mitarbeiter bist du auch zuständig. Das ist ganz wichtig. Die Mutti war die Seele von allem. Sie war ähnlich wie die Anna. Einerseits Perfektionistin, aber mein Vater hat gesagt, sie sei auch Chaotin. Sie war eine künstlerische Begabung.

STANDARD: Sie haben Volkskunde studiert und dann den Betrieb übernommen. Wie kam es dazu?

Tostmann: Meine Mutter war eine Bewunderin von Franz Lipp, Direktor der Volkskundeabteilung des Landesmuseums in Linz. Er hat gesagt, lassen Sie sie doch Volkskunde studieren. Und ich, folgsam wie ich war, habe das auch sehr gut gefunden. Das war ja in den 1960-Jahren ein sehr verpöntes Studium, weil es noch sehr braun besetzt war. Aber die Mutti hat schon beim Dirndl gesagt, was kann das Dirndl dafür, dass es politisch missbraucht wurde. Und ich habe mir gedacht, was kann die Volkskunde dafür, dass sie so eingesetzt worden ist.

STANDARD: Sie haben Jus studiert. War immer klar, dass Sie die Firma übernehmen?

Tostmann-Grosser: Zu jener Zeit, wo die Entscheidung angestanden ist, wollte meine Mutter verkaufen. Eher wegen der Branche, nicht wegen mir. Wie es dann so weit war, war das vom Tisch. Dann habe ich es mir angeschaut.

STANDARD: Ein Dirndlkleid ist handwerklich aufwendig. Sie nähen in Österreich. Geht sich das betriebswirtschaftlich aus?

Was Mutter und Tochter verbindet, ist die Leidenschaft für das Handwerkliche, Ästhetische, Zeitlose, das sie in ihrem Betrieb verkörpert sehen und die soziale Ader. Sie beschäftigen Asylwerber und hielten ein Grundeinkommen für die Lösung vieler Probleme.
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Tostmann-Grosser: Bei unseren vielen Firmenführungen haben viele Menschen ein Aha-Erlebnis. Sie sagen, jetzt verstehe ich, warum der Preis berechtigt ist. Aber wir sind durch die Produktion in Österreich schon an der Grenze zum Wirtschaftlichen.

STANDARD: Die Lederhose gibt es auch aus China. Bekommen Sie es mit Fälschungen zu tun?

Tostmann-Grosser: Wir kriegen jede Woche Angebote. Der Einkaufspreis liegt bei 9,90 Euro. Das ist wirklich zum Weinen. Gerade bei Leder werden ja Mensch und Natur massiv belastet. Es fasziniert mich immer wieder, wie naiv die Leute sind, wenn sie glauben, nur weil es eine Lederhose ist, ist das irgendetwas Österreichisches.

STANDARD: Andererseits kostet eine Tracht viel Geld. Bis zu 2000 Euro. Ist es nicht gut, dass es auch Billigangebote gibt, damit das nicht zur Oberschichtkleidung wird?

Tostmann-Grosser: Das mit der Oberklasse ist gar nicht so. Wir haben viele Kundinnen, die auf ein Dirndl hinsparen. Zu uns kommen Menschen mit Gutscheinen, die sie über die Jahre zu diversen Anlässen bekommen haben. Man hört auch immer wieder das Wort Investition. Und es gibt einen großen Gebrauchtmarkt. Viele Mädchen kommen mit den Hochzeitskleidern der Großmütter zu uns.

STANDARD: Bei Ihnen kauft auch die Hocharistokratie Europas ...

Tostmann: Ja, ich glaube, nur Norwegen fehlt uns. Die haben festliche Trachten, aber sie sind nicht alltagstauglich. Das ist eine österreichische und bayerische Spezialität.

STANDARD: Apropos. Was fällt Ihnen zu Rot-Schwarz-Blau ein?

Tostmann: Gute Farbkombination bei den Festtrachten.

STANDARD: Darauf wollte ich hinaus. Die altoberösterreichische Tracht trägt diese Farben. Allerdings handelt es sich um keine offizielle Landestracht. Dafür hat Niederösterreich eine, an der Sie beteiligt waren. Erwin Pröll hat sich dahintergeklemmt.

Tostmann: Ja, genau. Das ist nicht so blöd, wie es sich anhört. Gut für das Land, dass da eine niederösterreichische Identifikation kommt. Im Salzkammergut und auch in Oberösterreich gibt es einen anderen Zugang zur Tracht. Die Niederösterreicher waren kaum Großbauern, hatten kaum ein bäuerliches Standesbewusstsein, sondern Kleinbauern, Arbeiter, die die Tracht zum Teil ablehnten. Trachtenpflege und Erneuerung war hier vor allem in der Nazizeit erfolgreich. Die aktuelle niederösterreichische Tracht ist tragbar und wird von einem Großteil der Bevölkerung angenommen.

Beim Interview wird viel gelacht. "Die Mutti sagt immer, sie hält sich zurück, was aber leere Worte sind", sagt die Tochter. Die Mutter begründet ihren Erfolg mit Faulheit und nichts können.
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STANDARD: Den Kärntner Anzug hat Jörg Haider gerne getragen.

Tostmann: Ja, so ist er in ein noch rechteres Eck gekommen.

STANDARD: Auch Wels hat die Idee einer Alltagstracht, damit die Bürger und Bürgerinnen stolzer auf ihre Stadt werden. Braucht es das?

Tostmann: Die Sehnsucht ist da. Nicht von allen, aber von ein paar Leuten.

STANDARD: Was ist der Unterschied zwischen volkstümlich und volkstümelnd?

Tostmann: Da sind sehr starke Überschneidungen. Ich glaube, Qualität ist ganz wichtig bei volkstümlich.

Tostmann-Grosser: Bei der Musik gibt es massive Unterschiede zwischen Volksmusik und volkstümlicher Musik. Zu letzterer muss man einen Hang haben.

STANDARD: Ganz einfach dürfte es aber selbst für Expertinnen wie Sie nicht sein. Sie haben jedenfalls mit symbolträchtiger Kleidung zu tun. Eine Bürde?

Tostmann: Wir hatten vor zehn Jahren eine Kopftuchausstellung, die wildeste Ausstellung und Diskussion, die wir je hatten. Ich wusste nicht, dass das Thema mit so viel Aggression verbunden sein kann. Die grüne Abgeordnete Alev Korun ist im Parlament im Dirndl erschienen und von der Kronen Zeitung zur Sau gemacht worden, dass sie ein österreichisches Kulturgut missbraucht, weil sie das als Türkin anzieht. Jetzt hat es einen riesigen Wirbel gegeben, weil eine Bayerin, die in Österreich lebt, schwarz ist und sehr gerne Dirndl trägt, auf einem Kirtag war. Sie ist derartig angestarrt und ausgelacht worden, sie könne doch als Schwarze kein Dirndl tragen. Die Frage ist also auch heute: Soll man das abgrenzen, oder soll man offen sein? Es hört nicht auf. Ich habe geglaubt, es hört auf.

Tostmann-Grosser: Wir haben immer wieder junge Musliminnen, die Dirndl und Kopftuch kombinieren.

Gexi Tostmann: Ein besseres Symbol für die Komplexität der Welt gibt es nicht. Vor allem sind es meistens die Männer, die so schimpfen. Ähnlich wie bei der Diskussion über die Abtreibung. Ich bin nicht dafür, aber ich bin dafür, dass die Frauen selbst entscheiden können. Aber es sind hauptsächlich die Männer auf die Barrikaden gegangen. So ist das beim Kopftuch auch. Mir war immer das Brückenschlagen wichtig. Zwischen den Kulturen in der Welt, aber auch zwischen den Schichten in unserer Kultur, zwischen den Generationen. Das kann dieser Stil schon, wenn man ihn richtig einsetzt. Aber er kann natürlich auch genau das Gegenteil: abgrenzen.

Alev Korun 2009 im Dirndlkleid. In der Debatte im Parlament ging es damals um das Fremdenrechtsänderungsgesetz.
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STANDARD: Passendes Stichwort. Sie beschäftigen Asylwerber als Lehrlinge. Wie läuft es?

Tostmann-Grosser: Einer hat den Wiener Landeswettbewerb gewonnen und jedes Jahr mit Auszeichnung abgeschlossen. Als sie begonnen hat, kam ein Anruf aus der Berufsschule, man gehe davon aus, dass sie das Lehrjahr nicht positiv abschließen werde. Wir haben darauf aufmerksam gemacht, dass sie ein Hörproblem hat. Ein anderer hat sich jetzt für etwas Technisches entschieden, wo er mehr verdient. Wir haben noch einen Burschen, der in erster Instanz einen negativen Asylbescheid hat und der sehr kämpft mit der Lehre. Wir hatten aber auch österreichische Lehrlinge, die schulische Schwierigkeiten hatten und wo wir geschaut haben, dass es trotzdem geht.

STANDARD: Sie setzen sich offensiv gegen Abschiebung ein. Gab es Reaktionen?

Tostmann-Grosser: Da hat es einen großen Aufschrei gegeben. Es wenden sich Kunden wegen dieser Sache von uns ab. Aber es kommen auch neue zu uns, die wahrscheinlich Tostmann oder Dirndl gemieden haben, eben weil sie dieses Vorurteil haben, dass man dann im rechten Eck ist.

STANDARD: Die Roten erwärmen sich nicht so für die Tracht, eher Schwarze oder Türkise, aber auch der heutige Bundespräsident Van der Bellen. Sie sammelten Spenden für ihn, und Sie kandidieren für die Grünen. Zur Tracht haben Sie sie nicht gebracht?

Tostmann-Grosser: Du hast das bei einem Interview auch bedauert. Da kamen dann schon Bekenntnisse, ich bin auch grün und trage gerne Tracht.

STANDARD: Auf dem Land aber wohl eher als in der Stadt?

Tostmann: Ja, da ist das schon ein bisserl Verkleidung auch. Jetzt stellen wir grad fest, die Hubertusmäntel gehen wieder, und da hat mir die Kollegin gesagt: aber nur bei den Ausländern. (lacht) (2.12.2018)