Durch Dürre geschädigter Mais in Niederösterreich.

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"Das terrestrische Manifest" von Bruno Latour.

cover: suhrkamp

Für den Huaber Sepp sind das tolle Zeiten. Der Huaber Sepp ist im Prinzip ein Liaber. Der Huaber Sepp arbeitet brav, er mag seine Frau, er mag seine Kinder, vor allem aber mag er es, wenn er mit seinem SUV durch die Gegend brettern kann.

Grantig wird der Huaber Sepp nur bei einem: bei der Elite, vor allem den Wissenschaftern. Alles grüne linke Trottel, die zehnmal so viel verdienen wie er und ihm einreden wollen, dass es so etwas wie eine "Erderwärmung" gibt und wir etwas dagegen tun sollten.

Tolle Zeiten sind es für den Huaber Sepp, weil er mit seinem Grant nicht allein ist. Er trifft den Mayer Wastl und den Müller Koarl auf Facebook, und dann versichern sie einander, was für Deppen die Wissenschafter san. Ein Wetter hat's schon immer gegeben, da ist es halt manchmal wärmer. Und wenn's keine Erderwärmung gibt, muss man auch nichts dagegen tun.

Das hören auch andere gern. Die Autolobby, weil man sich die Scherereien mit der gefälschten Schadstoffsoftware sparen könnte, wenn's keine Erderwärmung gibt. Und der Bleifuß-Norbert, weil er die Zornbinkl, die ihn wählen, so gern hat.

Vom Bruno Latour hat der Huaber Sepp noch nie gehört. Latour ist einer der bedeutendsten französischen Gegenwartsphilosophen, kürzlich hat die New York Times ihm und seinem intellektuellen Werdegang einen Riesenartikel gewidmet. Latour wurde als Postmodernist berühmt. Er hat das Objektivitätsgebaren der Wissenschaft "dekonstruiert" und behauptet, diese könne nur dann erfolgreich Wahrheitsansprüche erheben, wenn sie durch Machtnetzwerke abgesichert sind.

Aber auch für einen "Post-Truth Philosopher" (NYT) wie Latour scheint es Wahrheiten jenseits aller Konstruktionen zu geben. Als er 2016 bei einem Flug nach Kanada aus dem Fenster sah, erinnerte ihn der Blick auf die hitzezerschundene Tundra an das Gesicht auf Edvard Munchs Gemälde Der Schrei.

Seither intensiviert Latour seine Bestrebungen, den kritischen Blick auf die Wissenschaft mit der Evidenz herannahender Katastrophen zu verbinden. Sein Buch Das terrestrische Manifest plädiert für ein neues Denken, das die ökologischen Bedingungen unserer Existenz radikal einbezieht. Der Krisenkolumnist würde sich wünschen, dass möglichst viele es lesen, und vielleicht sogar der Huaber Sepp. (Christoph Winder, 3.12.2018)