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Im Mittelpunkt der jüngsten Eskalation des Konflikts zwischen Russland und der Ukraine: Die drei von Russland aufgebrachten ukrainischen Marineboote (links im Bild) liegen nun im Hafen von Kertsch.

Foto: REUTERS

Der militärische Angriff des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB, dem auch der Grenzschutz obliegt, vergangenen Samstag auf zwei ukrainische Patrouillenboote und einen Schlepper in der Straße von Kertsch kam eigentlich nicht überraschend. Seit Präsident Wladimir Putin im Mai den Straßenteil der 19 Kilometer langen Brücke über die Straße von Kertsch eröffnet hat, die Russland mit der Halbinsel Krim verbindet, konnte mit einer Zuspitzung der Situation am Zugang zum Asowschen Meer gerechnet werden. Infolge der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch Russland im Mai 2014 ist die vier Kilometer breite Straße von Kertsch aus Moskauer Sicht total russisches Grenzgebiet, wobei nur 185 Meter den Schiffen für ihre Durchfahrt unter der Brücke bleiben.

Seit Mai hält Russland die ukrainischen und ausländischen Handelsschiffe, die über die Straße von Kertsch in das Asowsche Meer einfahren, drei bis fünf Tage auf und kontrolliert sie jeweils bei der Ein- und bei der Ausfahrt. Zudem können wegen der Brückenhöhe von 35 Metern keine sehr großen Schiffe die Straße passieren. Diese Beschränkungen führten zu einem beträchtlichen Rückgang des Handelsverkehrs mit den am Nordwestufer des Asowschen Meeres gelegenen ukrainischen Häfen Mariupol und Berdjansk. Über Mariupol wird die gesamte ukrainische Stahlproduktion exportiert, die nicht vollständig auf die Schiene verlagert werden kann, auch wegen der Schwäche des ukrainischen Eisenbahnwesens.

Nur eine Frage der Zeit

Es war eigentlich nur eine Frage der Zeit, bis die Ukraine versuchen wird, die ungestörte Zufahrt in das Asowsche Meer zu erzwingen. In dem Vertrag von 2003 mit einem Zusatzprotokoll von 2007 hatten Russland und die Ukraine vereinbart, dass das Asowsche Meer kein internationales Gewässer ist und dass sich die Schiffe beider Länder auf diesem sozusagen Binnensee mit der ungefähren Größe der Niederlande frei bewegen und die Häfen gegenseitig anlaufen können. Russlands Ziel ist es, mit seiner Schiffskontrollpolitik der ukrainischen Wirtschaft möglichst viel zu schaden, zumal Mariupol nur etwa 50 Kilometer von der Frontlinie zu den separatistischen Gebieten entfernt liegt und es den von Russland gesteuerten Separatisten im Frühjahr 2014 nicht gelungen war, die von ihnen bereits eroberte Hafenstadt zu halten.

Beschossen und gekapert

Die ukrainischen Marineschiffe hatten über Funk der russischen Seite angekündigt, dass sie die Straße durchfahren wollen. Nachdem sie vier Stunden vergeblich auf eine Antwort gewartet hatten, begannen sie gerade umzukehren und nach ihrem Heimathafen Odessa zurückfahren, als sie beschossen und gekapert wurden. Erst drei Tage später, am 28. 11., äußerte sich Putin zu diesem Zusammenstoß, und das nur am Rande einer Konferenz. Man kann sich fragen, ob das militärische Vorgehen des FSB, bei dem zwei ukrainische Marinesoldaten teilweise schwer verwundet wurden, auf ausdrücklichen Befehl Moskaus erfolgte oder ob nicht untergeordnete Instanzen in ihrem Übereifer meinten, im Sinne des Kreml zu handeln. Oder hat Putin die politischen Kräfte in Moskau nicht mehr unter voller Kontrolle?

Wir wissen nicht, was die deutsche Kanzlerin Angela Merkel in ihrem Telefonat mit Putin am 27. 11. besprochen hat. Bereits am Sonntagmorgen, dem 25. 11., hatte Russland die Durchfahrt durch die Straße von Kertsch, die es vorher gesperrt hatte, um vier Uhr wieder freigegeben.

Das Hauptproblem ist nach wie vor ungelöst: Die Ukraine anerkennt – im Gegensatz zu Russland – die Küstengewässer der Krim nicht als russisch und begeht somit aus ihrer Sicht auch keine Grenzverletzung. Aufgabe der internationalen Diplomatie wäre es – auch wenn der russische Außenminister Sergej Lawrow das Angebot einer deutschen Vermittlung arrogant zurückweist – zu erreichen, dass Russland und die Ukraine einen Modus finden, welcher der Ukraine einen freien Zugang zum Asowschen Meer ermöglicht, bei dem die Frage des Status der Krim nicht thematisiert wird.

Ende Februar 2014 war die sich erst eine Woche im Amt befindliche schwache neue ukrainische Regierung durch die Eroberung der Krim durch russische Soldaten ohne Hoheitszeichen völlig überrascht worden. Seit vier Jahren führt Russland an der Seite der Separatisten in der Ostukraine einen Krieg gegen die Ukraine mit bisher insgesamt 15.000 Toten.

Poroschenkos Position

Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, wenn der ukrainische Präsident Petro Poroschenko durch die Verhängung des Kriegsrechts für 30 Tage in den an Russland angrenzenden Gebieten der Ukraine möchte, dass sein Land auf neue russische Aktionen nicht unvorbereitet ist. Dass die Verhängung des Kriegsrechts vielleicht die Position Poroschenkos bei den Präsidentschaftswahlen Ende März 2019 stärkt, kann, muss aber nicht möglich sein. Nach gegenwärtigen Umfragen zu schließen dürfte Poroschenko die Wahl nicht gewinnen. Es wird ihm die zögerliche Bekämpfung der Korruption angelastet. Aber vielleicht kann er nicht anders handeln, weil mächtige Oligarchen ihm unter Umständen drohen, andernfalls sich in Richtung Russland zu orientieren. (Eberhard Schneider, 30.11.2018)