Rechnungshof-Präsidentin Margit Kraker begrüßt das "Reformprojekt in Richtung Harmonisierung".

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Wien – Im Rechnungshof reagiert man am Mittwoch auf die Reform der Mindestsicherung positiv: "Wenn die Bundesregierung jetzt die Mindestsicherung österreichweit regelt, ist das ein Schritt, den ich begrüße", erklärte Rechnungshof-Präsidentin Margit Kraker. Über die inhaltliche Ausgestaltung werde es sicher noch Diskussionen geben. Aber der Rechnungshof habe schon vor einiger Zeit empfohlen, dass "es gerechter und transparenter ist, wenn es ein österreichweites Gesetz gibt, das die Grundsätze der Mindestsicherung regelt und die Bundesländer die Ausführung festlegen". Daher freue es sie, sagte Kraker, "wenn die Regierung jetzt dieses Reformprojekt in Richtung Harmonisierung auf den Weg bringt".

Eine "Nichtreform"

Ganz anders sieht das Neos-Sozialsprecher Gerald Loacker. Er spricht von einer Nichtreform: "Wir bekommen das erzählt, was bereits im Mai mit viel Getöse präsentiert wurde." Die Regierung schaffe es offensichtlich nicht, faktenbasierte, faire und vor allem chancenorientierte Sozialpolitik zu machen. "Die großen Baustellen werden nicht angegangen. Auch in Zukunft wird die Mindestsicherung von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich ausgestaltet sein. Die Wartefrist für EU-Bürgerinnen und -Bürger ist dazu auch höchst fragwürdig", sagte Loacker.

Kritisch sehen die Neos den mangelnden Fokus auf Erwerbsanreize: "Die Mindestsicherung sollte ein Sprungbrett zurück in die Arbeitswelt und in ein selbstständiges Leben sein." Die Neos vermissen zudem die Zusammenführung von Mindestsicherung und Notstandshilfe, die der Rechnungshof seit Jahren fordert und die die Neos in Form eines "Bürgergeldes" im Programm haben.

"Kein guter Tag"

Die SPÖ ist über die angekündigten Einschnitte bei der bedarfsorientierten Mindestsicherung bestürzt. "Das ist kein guter Tag für Österreich", sagte Sozialsprecher Josef Muchitsch. Die Kürzungen beträfen vor allem Familien mit mehreren Kindern. Hier von Treffsicherheit und "neuer Gerechtigkeit" zu sprechen, sei "mehr als unwürdig". Es gehe um das letzte soziale Netz gegen die Armut, warnte Muchitsch. Man könne Mindestsicherungsbezieher, von denen 75 Prozent als Aufstocker beschäftigt seien beziehungsweise Versicherungsleistungen aus Krankengeld oder Pension beziehen, nicht als Sozialschmarotzer hinstellen.

"Variante von Hartz IV"

Der ÖGB warf der Regierung vor, mit dem Thema Stimmung gegen Geflüchtete machen zu wollen. Zugleich befürchtet man, dass schon bald die Notstandshilfe gestrichen wird und Notstandshilfebezieher – Vermögenszugriff inklusive – in die Mindestsicherung gezwungen werden. "Dann haben wir die österreichische Variante von Hartz IV", sagte der Leitende ÖGB-Sekretär Bernhard Achatz.

Karitative Organisationen kritisierten die Regierungspläne ebenfalls. Die geplanten Änderungen würden vor allem Familien und Kinder treffen, lautet der Vorwurf von Caritas und Volkshilfe. Die neue Mindestsicherung verfehle das Ziel der Armutsvermeidung, monierte auch die Plattform für Alleinerziehende. "Gerade eine Abstufung nach der Kinderanzahl hat für Alleinerziehende mit drei kleineren Kindern massive Auswirkungen. Hier werden die Kürzungen deutlich spürbar", erklärte die stellvertretende Plattformvorsitzende Evelyn Martin.

Angst vorm Abrutschen

Das UN-Flüchtlingshochkommissariat UNHCR zeigte sich anlässlich des präsentierten Entwurfs besorgt über die angedachten Einschnitte für anerkannte Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte. "Durch die geplanten Einschränkungen drohen Geflüchtete weit unter die Armutsgrenze abzurutschen. Das ist eine denkbar schlechte Voraussetzung für ihre Integration", UNHCR Österreich-Leiter Christoph Pinter.

In den Bundesländern wird die Reform unterschiedlich bewertet: Die Kärntner Sozialreferentin Beate Prettner (SPÖ) spricht von einem "Armutsverschärfungsprogramm". Die Ausgaben für die Mindestsicherung würden lediglich 0,9 Prozent der gesamten Sozialausgaben ausmachen – zu glauben, dass man hier noch weiter einsparen könne, sei "verwegen". Sie warnte auch davor, dass die geplanten Einsparungen vor allem Kinder treffen würden, das dritte Kind einer armutsgefährdeten Familie würde "nur noch fünf Prozent von 863 Euro, also 43,15 Euro" bekommen.

Burgenlands Soziallandesrat Norbert Darabos (SPÖ) findet, dass die nun vorgelegte Punktation "sehr spät, aber wenigstens noch heuer" komme. Er wolle zuerst einmal die Auswirkungen des Entwurfs prüfen. Für den Fall, dass es zu einer Abschaffung der Notstandshilfe kommen sollte, kündigte der Landesrat "massiven Widerstand" an.

"Verfassungsrechtlich bedenklich"

In Vorarlberg unterscheidet sich die Sichtweise nach Parteizugehörigkeit. Während Soziallandesrätin Katharina Wiesflecker (Grüne) sehr kritische Worte fand, wurde der Entwurf von ÖVP-Sozialsprecher Matthias Kucera positiv beurteilt. Wiesflecker kritisierte speziell die Staffelung der Kinderrichtsätze scharf. Diese würden die Zielsetzung der Mindestsicherung unterlaufen, nämlich Armut und soziale Ausgrenzung zu verhindern. "Diese Kürzungen bei den Kindern lehne ich ganz entschieden ab", betonte die Landesrätin. Die Stoßrichtung des Gesetzes sei klar: Laut Wiesflecker sollen Mehrkindfamilien, insbesondere migrantische, getroffen werden. Es gehe hauptsächlich um die Diskriminierung bestimmter Gruppen.

Für "verfassungsmäßig bedenklich" hält sie die Verknüpfung der Geldleistung mit dem Sprachniveau. "Wir haben immer betont, dass zwischen Mindestsicherung und Erwerbseinkommen eine Differenz sein muss, denn Leistung muss sich lohnen. Im Sinne dieses Grundsatzes ist für uns auch klar, dass die Mindestsicherung nicht zum Daueraufenthalt für Asylberechtigte werden darf", erklärte hingegen ÖVP-Abgeordneter Kucera. Die Differenzierung bei den Kinderrichtsätzen beurteilte er als richtig.

"Guter Entwurf"

Ähnlich sind die Wortmeldungen aus Oberösterreich. Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP) kommentierte die Punktuation mit: "Guter Entwurf". Soziallandesrätin Birgit Gerstorfer (SPÖ) sah vor allem Verschlechterungen für Kinder.

In Niederösterreich ist der zuständige Landesrat Gottfried Waldhäusl (FPÖ) wenig überraschend zufrieden. Es sei nun langfristig sichergestellt, dass "die finanziellen Mittel dann da sind, wenn unsere Landsleute sie brauchen". Soziallandesrätin Christiane Teschl-Hofmeister (ÖVP) begrüßte ebenfalls die "österreichweite Grundsatzgesetzgebung". Auch die Salzburger ÖVP ist – wenig überraschend – zufrieden.

Mit scharfer Kritik haben die Tiroler Grünen, Regierungspartei im Bundesland, auf den Entwurf zur neuen Mindestsicherung reagiert. Die Sätze für Kinder und Lebenserhaltungskosten seien nach wie vor lebensfremd, meinte Sozialsprecher Michael Mingler. Die Regierung würde mit dem Entwurf Armut ganz bewusst in Kauf nehmen.

Und Wien? Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) zeigte sich vorerst abwartend und drängt auf Gespräche mit den Ländern. "Wir warten jetzt einmal die Vorlage eines Gesetzesentwurfes ab", sagte Ludwig. Angesichts der geplanten Übergangsfrist für die Bundesländer bis Ende 2019, ortete er ohnehin "keinen übermäßigen Zeitdruck". Die neue grüne Nummer eins, Sozialsprecherin Birgit Hebein, reagierte hingegen erbost: "Ich finde es wirklich unsäglich und kann nicht nachvollziehen, welchen Lustgewinn eine schwarz-blaue Regierung daraus zieht, die Ärmsten der Armen noch stärker zu schikanieren." (APA, red, 28.11.2018)