Achtung, Gaumen! Wann immer ein Gericht servierfertig ist, wird im Mr. Wow an der Seilerstätte ein Gong geschlagen.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Dim-Sum gibt es in verschiedenen Varianten, allen gemein ist die labbrige Hülle.

Foto: Gerhard Wasserbauer

An der Seilerstätte 16 ist in Kniehöhe ein chinesischer Lampion mit Kordel angebracht. Was ein wenig wie ein Gassi-Glockerl für hauseigene Schoßhunde anmutet ("Habe fertig!"), ist der Türöffner für das neue Lokal von Sushibar-Betreiber An Thuan "Martin" Ho. Es ist in einem prächtigen Stiegenhaus untergebracht. Okay, ein paar Kammerln für Klo, Garderobe, Küche und die engen Sitzgelegenheiten in den "Restaurant" genannten und kontrapunktisch zur Großzügigkeit des Aufgangs gestalteten Ausspeisungen gibt es auch.

Das Telefon wird den ganzen Nachmittag über nicht abgehoben – wer die Küche von Mr. Wow probieren möchte, muss sein Glück aufs Geratewohl versuchen. Geht problemlos, der freundliche Kellner wirkt ob des Vorhabens jedoch überrascht: "Und Sie wollen hier essen?" Er trägt, wie seine Kollegen, eine Uniform mit neckisch wippendem Schottenröckchen. So sieht wahre Hingabe an den Job aus.

Dabei ist Ho, laut der "Zeit" ein "guter Freund von Sebastian Kurz", erst unlängst sehr pauschal über die Arbeitsmoral der Österreicher hergezogen: "Kaum jemand am Arbeitsmarkt weiß, was es heißt, wirklich arbeiten gehen zu müssen", erklärte der forsche Leistungsimmigrant dem STANDARD.

Wenigstens die eigenen Mitarbeiter machen sich für ihn offensichtlich zum Affen. Die günstigste Weinflasche (Kattus Cuvée No. 1) kostet 35 Euro, dann geht es steil nach oben. Kreative Rechtschreibung gibt's gratis dazu – ob bei Plantea (statt Planeta) aus Sizilien oder Château Margeaux (statt Margaux) aus dem Médoc. Bei 900 Euro pro Flasche sollte man doch eine Ahnung haben, was man da verkauft.

Die Speisekarte ist auf Englisch, vielleicht um den freundlichen, aus der Türkei gebürtigen Chefkoch nicht zu überfordern. Der Mann spricht nur ganz wenig Deutsch, ist aber beständig im Gastraum, um die Gerichte zu präsentieren und nachzufragen, ob eh alles passt: "How do you like it?" In den Regalen der offenen Küche sind jedenfalls zahllose Fertiggläser mit knallroter "Chili-Garlic-Sauce" vorrätig – nicht das beste Zeichen für Fine Dining, wie es hier versprochen wird.

Dim-Sum gibt es in verschiedenen Varianten (siehe Bild), allen gemein ist die labbrige Hülle. Im Inneren warten fein faschierte Fleischklumpen, die trotz fantasievoller Beschreibung allesamt sehr ähnlich schmecken, nach stark bearbeitetem Fleisch nämlich. Mundgeruch ist die erste Assoziation, wie man ihn von alternden Herren kennt, die an Low-Carb-Diäten glauben.

Dafür sind die Dipsaucen, speziell die mit Yuzu aromatisierte, durchaus schmackhaft. Vor Cha Shao Pao, einem mit BBQ-Schwein sehr sparsam gefüllten Germknödel, muss aber gewarnt werden. Der atemberaubend trockene Teig legt sich wie hochfester Beton an den Gaumen, ein Glas Wasser reicht kaum, um ihn wieder aufzuweichen.

Kühlschrank und Karamell

Gebratene Calamari werden mit undefinierbar mehliger, vom Kühlschrank deutlich aromatisierter Paste gefüllt. Will man nicht haben, schon gar nicht mit dem dazu gereichten Salat, einer aggressiven Chili-Säureattacke, die auch durch rundum verteilte Karamellsauce (?) nicht entschärft wird. Die Spareribs stehen als "honey roasted" auf der Karte, tatsächlich werden sie in rotklebriger Chili-Knoblauch-Sauce ertränkt – ein Schelm, wer meint, dass es jene aus den Fertiggläsern sei.

Besonders stolz ist Ho auf die Pekingente. Die Haut ist tadellos knusprig, wenn auch völlig ungewürzt – nicht einmal Salz ist auszumachen. Dazu gibt es chinesische Pfannkuchen, mutmaßlich aus Faltkarton, und vor langer Zeit in Stifte geschnittenen, mit nachhaltiger Oxidationsnote versehenen Lauch, außerdem Essiggurkerln (?), zuckersüß eingelegten Ingwer, den es sonst nur zu Sushi gibt (?), sowie zwei Dipsaucen. Die sind zwar auch von arg klebriger Süße – aber gar nicht schlecht gewürzt. (Severin Corti, RONDO, 30.11.2018)

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