Der Winner-Begriff der türkisen Kurz-Bewegung war und ist "Veränderung". Damit wurde erfolgreich suggeriert, dass ein neuer, junger ÖVP-Chef und Bundeskanzler mit der alten Erstarrung der rot-schwarzen Koalition Schluss machen würde. Tatsächlich sagen Wahlforscher rückblickend, dass in dem Moment, da Kurz seinen Befreiungsschlag setzte und die Koalition aufkündigte, die Wahl praktisch gewonnen hatte (ablesbar an den Umfragen).

Inzwischen plakatiert die türkise Bewegung: "Die Veränderung hat begonnen". Einiges davon sind populistische Scheinreformen wie das Kopftuchverbot. Anderes sind reine Machtverschiebungen wie bei der De-facto-Zerstörung des Verfassungsschutzamtes (BVT) und beim Umbau der Sozialversicherungen. Die Generaldirektorin für Öffentliche Sicherheit bestätigte soeben im BVT-Untersuchungsausschuss, dass die Rechtsextremismusexpertin des BVT auf Wunsch von Kickls Generalsekretär Goldgruber weggemobbt werden sollte.

Beim Umbau der Sozialversicherungen greift die Regierung zu legislativen Tricks, die vermutlich verfassungswidrig sind. Vergangene Woche wurde kurzfristig ein Antrag zur Sozialversicherungsreform beschlossen, wonach das Sozialministerium "Vorbereitungshandlungen" bei den Kassen durchführen darf, obwohl es noch gar keine Gesetze gibt. Der Klubchef der ÖVP, August Wöginger, sagte, dass einzelne Sozialversicherungsträger die Strukturreform andernfalls nicht unterstützen würden.

Schweres Geschütz

Die SPÖ bezeichnet die Bestimmung als "Ermächtigungsgesetz". Mit einem "kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetz" hat die autoritäre Dollfuß-Regierung in den Dreißigerjahren das Parlament ausgehebelt. Mit dem Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933, offiziell das "Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich", übertrug der Deutsche Reichstag die gesetzgebende Gewalt faktisch vollständig an Adolf Hitler. Das ist historisch (zu?) schweres Geschütz.

Eine ganze Reihe von Verfassungsrechtlern hält jedoch das türkis-blaue Gesetz für verfassungswidrig: Das Rechtsstaatsprinzip werde "geradezu in sein Gegenteil verkehrt", sagt der frühere Verfassungsrichter Rudolf Müller. Eine Bestimmung, die zu Handlungen ohne gesetzliche Grundlage ermächtigt, könne "sogar als Genehmigung zum Amtsmissbrauch" verstanden werden. Walter Berka von der Uni Salzburg: Die Verwaltung erhalte eine Blankovollmacht, "die sicherlich also so unbestimmt ist, dass sie gegen das Legalitätsprinzip verstößt". Die vereinte Opposition (SPÖ, Neos, Jetzt) spricht von "vorsätzlichem Verfassungsbruch" und bastelt an Strategien, das Gesetz zu Fall zu bringen.

Man kann diese Trick-Gesetzgebung von Türkis-Blau als bewussten Angriff auf die liberale Demokratie betrachten. Vor dem Hintergrund des rabiaten Vorgehens etwa gegen den Verfassungsschutz kann dieser Verdacht schon entstehen. Man kann aber auch annehmen, dass eine vor Umbau-Eifer vibrierende junge Truppe um Sebastian Kurz da einfach etwas "durchziehen" wollte. Was allerdings nur wenig beunruhigender wäre. (Hans Rauscher, 27.11.2018)