Natürlich könnte Christoph Sander auch einfach eine Ziege kaufen. Oder ein anderes der tausend Anliegen und Projekte unterstützen, die ohne Spenden nicht existieren könnten und die gerade zu und vor Weihnachten in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit rücken: Adventzeit ist Spendenzeit.

Würde Sander also zum Beispiel eine Ziege (die Caritas bewirbt den Ziegenkauf derzeit als Entwicklungshilfe-Charity für Familien in Burundi) kaufen, würde ihn das 40 Euro kosten. Das wäre leistbar und hätte einen konkreten Nutzen. Fein.

Andererseits weiß Christoph Sander aber, dass er nicht ganz unbekannt ist. In seiner (und damit auch meiner) Welt kennt man ihn: Der 30-jährige Wiener ist unter anderem Mehrfachstaatsmeister (zum Beispiel im 3.000-Meter-Hindernislauf und im Zehnkilometerlauf). Er war Teilnehmer an etlichen Europa- und Weltmeisterschaften. Und er ist ein umtriebiger, kommunikativer Mensch. Darum fragte er sich, ob es nicht "gewinnbringender" wäre, wenn er andere dafür Geld ablegen ließe, dass er im Advent jeden Tag läuft: Wenn da für jeden von ihm gelaufenen Kilometer ein Euro gezahlt wird, müsste einiges zusammenkommen. Schließlich läuft einer wie Sander viel: Sogar in wenig intensiven Trainingswochen so um die 100 Kilometer.

Foto: Privat

Die Idee ist nicht neu. Das behauptet auch niemand. Aber sie funktioniert. Das ist bekannt. Im Großen genauso wie im Kleinen: Die Roten Nasen etwa ließen jahrelang bei ihrem traditionellen Charity-Lauf auf der Hauptallee Unternehmen für jede gelaufene Runde jedes Läufers und jeder Läuferin Geld abdrücken. Das motivierte Tausende, (fast) ohne Zeitlimit Runde um Runde zu ziehen. Und im Kleinen? Da kann Sander selbst als Best-Practice-Beispiel gelten: Schon im Vorjahr lud er dazu ein, sich an seinem Läufer-Adventkalender zu beteiligen:

Er würde, kündigte er an, laufen. "Sponsoren" könnten einen Tag im Voraus "buchen", sich also verpflichten, für jeden gelaufenen Kilometer zu bezahlen.

2017 kamen so, obwohl Sander aufgrund gesundheitlicher Probleme weniger lief als geplant, 680 Euro zusammen. Und alle, die eine Spende zugesagt hatten, zahlten auch. (Das ist nicht selbstverständlich. Nur thematisiert das danach niemand.)

Foto: Screenshot

Im Hauptberuf arbeitet Sander bei einem Unternehmen, das Sportstipendien in die USA vermittelt. Parallel dazu absolviert er derzeit an der HTL Mödling ("der größten Schule Österreichs") sein Unterrichtspraktikum in politischer Bildung, Sozialkunde, Geschichte und Sport: In Geld schwimmt er also nicht. Kein Wunder, dass er auch heuer wieder seine Kilometer "verkauft".

Und zwar wieder zugunsten jener Organisation, für die er auch im Vorjahr lief: das mobile Kinderhospiz Momo – eine Betreuungseinrichtung, geleitet von der Ärztin Martina Kronberger-Vollnhofer, die Kinder und Familien "ab der Diagnose der lebensbedrohlichen oder lebensverkürzenden Erkrankung eines Kindes" (Homepagetext) betreut. Und falls "lebensverkürzend" nicht deutlich und brutal genug ist: Die Betreuung der Angehörigen dauert "über den Tod hinaus" an. Momo finanziert sich ausschließlich aus Spenden.

680 Euro, das weiß auch Sander, sind da nur ein paar Tränen im Ozean. Aber doch mehr, als er allein und aus eigener Tasche hinlegen könnte. Und genau das zählt. Darum ging es 2017 – und darum geht es auch heuer wieder.

Foto: Martina Konrad-Murphy

Denn seit diesem Wochenende kann man sich auf Sanders Facebook-Seite zum "Läufer-Adventkalender 2018" anmelden. Modus und begünstigte Organisation sind, wie gesagt, gleich. So wie Sanders Motivation: "Ich habe selbst durch das Laufen so viel Leben erlebt und mitgemacht. Durchs Laufen habe ich auch meine große Liebe Jenni (Jennifer Wenth, Olympiateilnehmerin und -finalistin sowie WM-Finalistin und x-fache Staatsmeisterin, Anm. TR) kennengelernt. Es ist für mich eine echte Herzenssache, durch den mein Leben seit so langer Zeit prägenden Sport etwas für die Allgemeinheit oder auch für Einzelne, denen es nicht so gut geht, zurückzugeben: Die aktuell 16. schnellste 3.000 Meter-Hinderniszeit aller Zeiten in Österreich ist maximal für mich bedeutsam, einen gesellschaftlichen Nutzen hat sie nicht", erklärt er und kommt zum Punkt: "Mit dem Läufer-Adventkalender kann ich mit dem, was ich am liebsten tue, etwas zurückgeben."

Foto: Sander

Warum er sich entschieden hat, für Momo zu laufen? "Ich habe nach einem Unternehmen, das Kinder und Familien unterstützt, gesucht und Momo zufällig entdeckt." Momo, und das war für Sander subjektiv wichtig, kommt aus Wien. Aus der Hood seiner eigenen Kindheit, der Region zwischen Rathaus, Piaristengymnasium, Café Hummel und dem Alsergrund. Das mag, räumt er ein, zwar Zufall sein, war emotional aber eben doch wichtig: "Ich wollte eine Institution unterstützen, die a) aus Wien kommt und b) wo ich mir selbst einen Zusammenhang zu den für mich wichtigen Grundwerten von Weihnachten herleiten kann."

Foto: Neubauer

Weil Weihnachten wichtig ist. "Ich bin kein Materialist, sondern einer, der nostalgisch davon träumt, dass sich zu Weihnachten Familien, Bekannte und Verwandte treffen, um vielleicht nur das eine Mal pro Jahr zusammenzukommen und sich Zeit füreinander nehmen." Und zwar bei aller Kritik daran, dass man da einen Tag auf "heile Welt" macht und Zeit mit Menschen verbringt, die man sonst nie oder kaum sieht: "Sogar wenn es scheinheilig wirkt, ist da doch zumindest die Idee von Weihnachten als Fest der Familie und gleichzeitig der Dankbarkeit präsent. Das ist wichtig. Aber für viele Kinder und Familien, die von Momo unterstützt werden, ist das aufgrund der Lebensentwicklung ganz und gar nicht so."

Foto: Privat

Heuer, hofft der Läufer, möchte er mit seinem Beitrag am 24. Dezember auf eine vierstellige Summe verweisen können.

Nicht weil er in 24 Tagen 1.000 Kilometer laufen wird, sondern weil nichts dagegen spricht, einzelne Tage mehrfach zu "besetzen". Das hat im Vorjahr ja auch funktioniert. "Da hatte ich mehr als 30 Personen, die gespendet haben." Und weil auch nichts dagegen spricht, das vorgegebene Kilometergeld zu erhöhen. Eine Bekannte habe das schon angekündigt. "Sie schrieb: 'Ich hätte gern den 2. Dezember. Und weil ich die Arbeit vom Momo-Team super und unglaublich wichtig finde, spende ich Euro pro Kilometer. Also streng' dich an an dem Tag.'"

Anstrengen, weiß, wer Sander kennt, wird sich der Läufer in jedem Fall. Darum werde auch ich einen Tag bei ihm "buchen". So wie wohl auch seine laufdienstlichen Sponsoren (Steurer CC & Chrissports).

Foto: Privat

Sobald man "Charity" sagt, gibt es aber auch Menschen, die darauf mit "aber" antworten. Geht es um Auslandshilfe (etwa die Caritas-Ziegen), möge man das Geld "im Land" behalten. Geht es um Flüchtlinge, möge man "auf unsere Leute" schauen. Geht es um "unsere Leute", möge man doch bitte nicht der öffentlichen Hand helfen, sich aus ihrer Verantwortung zu stehlen. Geht es um … und so weiter: In der Regel kommt derlei von Menschen, die selbst außer "aber" nirgendwo etwas beitragen.

Irgendwer wird sicher auch sagen, dass 680 Euro (oder vielleicht ja auch 1.000) die Welt nicht retten. Retten nicht, aber sie machen einen Unterschied. Nicht nur für die, die deshalb mit ihrer Angst und Verzweiflung eine Spur weniger allein sind, sondern auch für die, die hier oder sonstwo etwas beisteuern.

Weil helfen keine Einbahnstraße ist. Nie. Aber der Advent ist ein guter Moment, vielleicht einmal auszuprobieren, herauszufinden, was damit gemeint ist. (Thomas Rottenberg, 28.11.2018)


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Foto: Sander