Mit dem Zusammenstoß zwischen Einheiten der russischen und der ukrainischen Flotte ist eine ernsthafte Eskalationsstufe in dem seit Monaten wieder verstärkt schwelenden Konflikt erreicht. Beide Länder sprechen nun von Provokation. Das Problem: Beide Seiten haben recht – und sollten sich doch an der eigenen Nase nehmen. Denn eindeutig spielen in dem Fall die Hardliner in Kiew und Moskau auf "Prinzip": Die Russen betrachten die Meerenge von Kertsch nach der Annexion der Krim als territoriales Hoheitsgewässer, während die Ukrainer sie weiterhin als internationale Wasserstraße sehen.

Die ukrainische Führung testet seit Wochen buchstäblich die Grenzen aus. Zunächst haben ukrainische Marineschiffe russische Schiffe aufgebracht, die angeblich ukrainische Hoheitsgewässer verletzt hatten. Dann hat Flottenchef Igor Worontschenko die Einrichtung einer Flottenbasis im Asowschen Meer verkündet, was natürlich die Spannungen in der Region weiter steigern wird. Denn aus dem Asowschen Meer gibt es nur einen Ausweg: die Meerenge von Kertsch – und die wird von Russland kontrolliert.

Vorhersehbarer Knalleffekt

Die Entsendung der Miniarmada aus Odessa in ebenjene Meerenge östlich der Krim hat dann zu dem durchaus vorhersehbaren Knalleffekt geführt. Dass der Knall tatsächlich mit Beschuss, Rammmanöver und Verletzten einherging, zeigt, dass auch die russische Militärführung nur darauf gewartet hatte, dem "frechen" Nachbarn ihre Stärke und Überlegenheit zu demonstrieren.

Die EU hat beide Seiten zur Deeskalation aufgerufen. Leider ist jedoch zu erwarten, dass der Aufruf ungehört verhallen wird. Denn die militärische Konfrontation bringt beiden Seiten politische Dividenden. Der Kreml wird versuchen, das "Krim nasch"-Gefühl, also die patriotische Hurrastimmung nach der Annexion, wiederzubeleben und somit auch das zuletzt gefallene Rating von Präsident Wladimir Putin zu richten. In der Ukraine wiederum droht Präsident Petro Poroschenko Ende März die Abwahl.

Helfen kann ihm nur noch ein Wunder – oder eine massive Eskalation des militärischen Konflikts. Mit der Ausrufung des Kriegsrechts zielt er eben darauf ab. Der Ausnahmezustand bietet dem Amtsinhaber gleich zwei Möglichkeiten: erstens die Mobilisierung der nationalistischen Wählerschaft und zweitens, wenn das nicht ausreicht, einen Vorwand, um die Wahl ganz zu verschieben. Mit Demokratie hat das nichts zu tun. (André Ballin, 26.11.2018)