Die Pfeile im alten Parteiemblem, sie zeigen nach unten. Und schwarz sind sie auch noch.

Grafik: Fatih Aydogdu

Die Lage der SPÖ ist auf den ersten Blick weniger schlimm, als es eine Vielzahl an Unkenrufern erahnen ließe: Sie ist immer noch eine vergleichsweise große, organisatorisch schlagkräftige Partei; ist immer noch Platzhirsch links der Mitte; und es droht keine aggressive Konkurrenz in Form einer "sozialdemokratisierten" ÖVP nach dem Muster der Merkel-CDU.

Eine Stimmung, die schlechter ist, als es Um- und Zustände nahelegen – ein deutlicher Hinweis auf Verbrauchsschrammen, auf das Erbe langjähriger Regierungsverantwortung. Eine klassische Partei zu sein ist auch heutzutage kein Wettbewerbsnachteil; eine Volkspartei zu bleiben eine strategische Herausforderung. Der Status als fleischgewordenes Mainstream-Establishment allerdings gereicht zu einer ordentlichen Hypothek – diesen Mühlstein schleppt die SPÖ mit sich herum. Nachdem zuletzt sogar die ewig tastende Volkspartei einen Befreiungsschlag wagte, haftet der Sozialdemokratie dieses Image nun allein an.

Es betraf beide Parteien gleichermaßen, beide erkannten das Problem und reagierten darauf. Warum aber funktionierte bei Sebastian Kurz, was den Sozialdemokraten nicht gelingen mag? Es ist eine Geschichte fehlender Geschlossenheit und falscher Pferde auf SP-Seite. Während Kurz und den Seinen ein Paukenschlag gelang, der bis zum Wahltag im Oktober nachhallte, betrieb und betreibt die SPÖ Stückwerk.

Vertane Chance

Mit Christian Kern probierte es die SPÖ mit einem zweiten Viktor Klima, während Kurz, obwohl Parteizögling, schon aufgrund seiner Jugend vehement mit alten Mustern brach. Schwerer noch wiegt die vertane Chance bei der Staffelübergabe von Kern an Pamela Rendi-Wagner, die recht authentisch auf fehlende Verankerung im Establishment pochen kann – ein Eindruck, der von den zur Schau gestellten Animositäten parteiinterner Player überlagert wurde. Kurz schließlich fand sein willkommenes Gegenüber beim Migrationsthema – die "Schließung der Balkanroute" sollte sein Meisterstück werden: bilateral, also gegen die supranationale EU gestrickt, in einem Akt vollzogener Leadership. In Kurzfassung fürs zuschauende Volk: Er biegt das Super-Establishment Brüssel, sie arbeitet sich am hauseigenen ab.

Verheddert in Details

Die SPÖ verheddert sich in Details, widmete sich und ringt weiterhin um das Thema innerparteilicher Demokratie, der wenigstens symbolischen Öffnung der Partei als Ganzes. Löblich. Das Verhältnis von Risiko und möglichem Gewinn ist freilich kein günstiges. Es ist eine Methode mit Sprengkraft – die Grünen können ein Liederbuch darüber singen, die SPÖ gleich mal die Internationale anstimmen. Die Erfolgreichen machen es ohnehin anders: Die Strache-FPÖ, die gerne die direkte Demokratie im Munde führt, entsagt sich derlei Experimenten, benimmt sich, ganz schadlos, als Partei so konventionell wie Alt-SPÖ und Alt-ÖVP.

Und die Öffnung der Kurz-ÖVP? Personalisierte Vorwahlen gab es, doch standen diese ganz im Zeichen der Mobilisierungsfähigkeit der alten Bünde; wodurch das Reißverschlussprinzip zwecks Geschlechterparität zumindest teilweise ausgehebelt wurde (zweitniedrigster Wert unter allen Parlamentsklubs). Man setzte geschickt auf Seiteneinsteiger, verzichtete auf den Promifaktor – es reichte. Die SPÖ konterkarier- te das angestrebte neue Image hingegen gleich zweifach: keine breite persönliche Erneuerung, sondern Postenstreit beim Antritt Rendi-Wagners; die "Kaiser für Kaiser"-Episode im Nachgalopp zur Demontage des EU-Kerns. Establishment-Gebaren in Reinkultur.

Der Welser Parteitag soll wesentlich ein Parteiprogrammtag werden. Die Partei bastelt an einer Gewinnformel – hoch liegende Trauben, denn der Blick über die Grenzen verrät, dass sowohl Linksauslegerei als auch "Third Way"-Pragmatismus keine Erfolgsgarantie bereithalten.

Dreibeiniger Kompromiss

So versucht man es, dreibeinig, mit einem breit angelegten Kompromiss:

· Erstens "Weiche" Kernthemen wie Pflege, Wohnen, Gesundheit, Bildung. Jeweils möglichst ohne Ausländerkomponente.

· Zweitens Unterschiede zu Schwarz-Blau, etwa beim Thema Studiengebühren als Teil des übergeordneten Themenkomplexes Chancengleichheit oder Arbeitszeitverkürzung aus der Kategorie "Work-Life-Balance". Das schlägt die Brücke zu anderen Akzentsetzungen: Betonung ökologischer Priorität, Verlangen nach mehr Europa, Gleichberechtigung inklusiver gemeinsamer Ganztagesschule.

· Drittens Ein leiser Rechtsschwenk im Migrationsbereich: die Losungen "Integration vor Neuzuzug" und "Hilfe vor Ort". Der Versuch, ein Thema kleinzuhalten, das selbst die wesentlich kleineren Grünen vor ein Dilemma stellte – in der Opposition weniger aussichtslos als in Regierungsverantwortung.

Keine unrunde Sache. Viele stimmige Dinge stehen im Programm und nicht bloß nebeneinander, doch bleibt es im Sinne des Verkaufsarguments Stückwerk, sollte die Partei sich nicht nachhaltig, geschlossen und auf allen Ebenen verschränkt auf einen Kurs einschwören: programmatisch, stilistisch, personell.

Anton Pelinka, profunder Kenner der heimischen Parteienlandschaft, bezeichnete die SPÖ ob vieler tieffliegender Hackeln jüngst treffend als ÖVP von gestern. Noch ist Zeit, das Bild zu korrigieren. Doch ist gut möglich, dass die Rendi-Wagner-SPÖ das Schicksal dieser "gestrigen" ÖVP teilen wird: bessere (Wahl-)Programme, fehlende Wahlsiege. (David M. Wineroither, 23.11.2018)