Eine Stunde gebanntes Lauschen im Wiener Akademietheater zeitigt einen Effekt, den man nicht anders denn als aufklärerisch bezeichnen kann. Der blecherne Sound der Revue Alles kann passieren! Ein Polittheater kitzelt in den Ohren wie ein etwas (zu) grobes Imitat antiker Politikerreden.

Vier Burgschauspielerinnen, nach einer Idee von Falter-Chefredakteur Florian Klenk hinter einen Tisch gesetzt wie zur Verlesung der Abendnachrichten, rezitieren mit neutralen Stimmen besonders markante Passagen aus Verlautbarungen von Matteo Salvini, Herbert Kickl, Viktor Orbán et cetera. Diese politischen Persönlichkeiten sind, traut man ihren eigenen Absichtserklärungen, Großsprecher eines erst noch zu errichtenden "Europas der Nationen".

Doch der Sprache der europäischen Populisten eignet obendrein ein schwer erträglicher Zug ins Pompöse. Anstatt wie erlesener Marmor zu glänzen, starren die Bekenntnisse von Kickl, Jaroslaw Kaczynski, Milos Zeman vor Gips. Wenn es dem Italiener Matteo Salvini partout einfällt, seinen ungarischen Gesinnungsgenossen Viktor Orbán über den grünen Klee zu loben, dann spricht er "im Namen von Millionen Italienern". Sollen hingegen ein paar Flüchtlinge aufgenommen werden, findet in seinen betrübten Augen ein "Austausch der Bevölkerungen" statt. Der natürliche Erfüllungsgehilfe jeder Umstülpung der Verhältnisse ist die haltlose Übertreibung eines Ist-Zustands, den man sicherheitshalber als unmöglich denunziert.

Auf Initiative der Wiener Stadtzeitung Falter hat der Wiener Autor Doron Rabinovici den Wortführern der europäischen Rechten noch genauer zugehört, als es ihre Absichtserklärungen ästhetisch verdienen würden. Das Zitatenschatzkästlein Alles kann passieren!, die Frucht seiner Kompilationsarbeit, wurde als Materialsammlung nunmehr auch bei Zsolnay verlegt.

Im Wiener Akademietheater zur Degustation gebeten, erlahmt man förmlich unter dem Ansturm von Treueschwüren. Man hört allerhand von "Deportations"-Androhungen und lauscht Vernunftappellen, die sich, paradox genug, gegen "Linke" und deren grüne Geistesverwandte richten. "Mieselsüchtige Gestalten" nennt Kickl solche – in seinen Augen – Ausgeburten der Unvernunft.

Die Einführung der Kennzeichnungspflicht eines Ungeists, dessen Grassieren im europäischen Maßstab man sich widerwillig eingestehen muss, stammt bekanntlich von Karl Kraus. Wer die akustischen Vorboten des Terrors im Kleinen vernimmt, malt sie als Menetekel lieber groß an die Wand. Davon zeugt die verblüffende Dritte Walpurgisnacht (1933). Ein solches Verdienst wird man Alles kann passieren! vielleicht nicht zuerkennen wollen. Auch wenn es ein schauerliches Vergnügen ist, an den Lippen Stefanie Dvoraks oder – extra dry – Andrea Clausens zu hängen. Bei aller Kritik an der Selbstbeweihräucherung des Falter: Man wird sich die Sprachfundstücke dieses Abends leider einprägen müssen. (Ronald Pohl, 22.11.2018)