Magnus Carlsen dachte nach und nach und nach. Am Ende stand das siebente Remis.

Nach 10. Sd2: Die Abweichung des Weltmeisters im Vergleich zu Partie zwei.

Nach 18…Lc7: Schwarz hat problemlos ausgeglichen.

1/2-1/2 nach 40. Kf2: Das Endspiel ist tot remis.

London – Alles rätselt in London über Magnus Carlsens Eröffnungsvorbereitung. Hat sie überhaupt stattgefunden? Denn wenn dem so ist, wie kann es dann sein, dass der Weltmeister in dieser siebten Partie von Fabiano Caruanas Variantenwahl einmal mehr so überrascht wirkt?

Eine ganze Woche lang hatten Carlsens Sekundanten Zeit, sich etwas gegen das abgelehnte Damengambit des Herausforderers zurechtzulegen. Carlsen hatte seine ersten drei Weißpartien im Match jeweils unterschiedlich eröffnet. Nun, so der Tenor, würden er und sein Team über genug Informationen verfügen, um auf jenem Terrain zuzuschlagen, das Carlsen und den Seinen am aussichtsreichsten erscheint.

Schlecht vorbereitet

Dass der Weltmeister in Partie sieben zum zweiten Mal mit dem Damenbauern eröffnet, legt nahe, dass er im Vergleich zu Partie zwei eine neue Idee in petto hat. Und wirklich: Mit 10. Sd2 verhindert Weiß fürs erste Caruanas 10... Td8, womit der Herausforderer in seiner ersten Schwarzpartie zu einer sehr guten Stellung gekommen war. Denn darauf würde nun 11. Sb3 Dame und Läufer des Schwarzen in große Schwierigkeiten bringen.

Der österreichische Großmeister Markus Ragger analysiert die siebente Partie der Schach-WM 2018.
Österreichischer Schachbund

Aber schon von Fabiano Caruanas nächstem Zug wirkt der Weltmeister merkwürdig überrascht. Dabei ist es ein sehr logischer Zug. Genauer gesagt, eine von nur zwei sinnvollen Möglichkeiten, die Schwarz in dieser Stellung zu Gebote stehen. Mit 10...Dd8 zieht der Herausforderer seine Dame auf die Grundreihe zurück. Beliebter ist der Rückzug 10...Le7, das ja. Aber ist es wirklich denkbar, dass Carlsens Team in der Vorbereitung auf den Retourgang der Dame völlig vergessen hat?

Zumindest hat es den Anschein. Für seine nächsten vier Züge verbraucht der Norweger nämlich eine gute Dreiviertelstunde, obwohl sein Gegner eigentlich einen grundsoliden und vernünftigen Zug nach dem anderen spielt. Als Schwarz um Zug 18 herum seine Entwicklung abschließt und einmal mehr eine völlig symmetrische Bauernstruktur auf dem Brett steht, wäre es in Wahrheit schon an der Zeit, die Friedenspfeife zu rauchen.

Remis ohne Drama

Aber da ist die sogenannte Sofia-Regel dagegen. Sie verbietet es den Spielern, sich vor Zug 30 auf Remis zu verständigen, sofern es keinen zwingenden Grund dafür – wie ewiges Schach oder dreimalige Stellungswiederholung – gibt.

Also geht es mit einem saftigen Generalabtausch weiter. Im 33. Zug ist dann außer Königen und Bauern nur noch je eine Leichtfigur am Brett verblieben. Zwar macht Carlsens Springer auf seinem Vorpostenfeld d6 den etwas glücklicheren Eindruck als Caruanas weißfeldriger Läufer, der von a6 aus ins Leere feuert.

Carlsen aber kann keine Fortschritte erzielen, ohne seinen Bauern g2 der Willkür des schwarzen Läufers auszuliefern. Das logische Ergebnis ist dreimalige Stellungswiederholung, die das ereignisarme Remis in dieser siebten Partie besiegelt.

Carlsens Verfassung

In der anschließenden Pressekonferenz wirkt Weltmeister Carlsen fahrig. Ja, 10...Dd8 habe ihn überrascht. Nein, er sei nicht zufrieden mit seiner Leistung, aber es könnte auch schlimmer sein: Immerhin habe er die gestrige Partie knapp überlebt.

Kollege Stefan Löffler von der FAZ stellt dann die Frage, die vielen auf der Zunge liegt: "Herr Carlsen, sind sie einfach nicht in der Verfassung, um in diesem Wettkampf zuzuschlagen?" Magnus Carlsen antwortet darauf: nichts. Und das sagt einiges.

Das Problem für seinen Herausforderer ist allerdings das folgende: Mit jeder weiteren Remispartie nähert sich das Match dem Schnellschach-Tiebreak, das bei Gleichstand nach zwölf Partien über den Sieger entscheiden soll. In diesem Tiebreak aber wird Fabiano Caruana von sämtlichen Experten zumindest als 80:20-Außenseiter gehandelt, manche bewerten seine Chancen gar noch schlechter.

Caruanas Pflicht

Will Caruana sich nicht darauf einlassen, dann muss er wenigstens eine der fünf verbleibenden Partien für sich entscheiden. Mit einem Carlsen zum Gegner, der bisher selbst mit Weiß kaum Anstalten macht, auf den vollen Punkt loszugehen, eine Aufgabe, um die der US-Amerikaner nicht zu beneiden ist.

Wobei die Sache schon ihre Logik hat: Lange Zeit behielt der Weltmeister bei unentschiedenem Ausgang des Wettkampfs automatisch seinen Titel. So etwa verteidigte der Deutsche Emanuel Lasker die WM-Krone anno 1910 durch ein 5:5 gegen seinen österreichischen Herausforderer Carl Schlechter.

Will Caruana Weltmeister werden, dann sollte er wie jeder Herausforderer der Schachgeschichte zumindest eine klassische Partie gegen den regierenden Weltmeister gewinnen. Dass Magnus Carlsen bisher sichtlich außer Form agiert, muss seinem Gegner Ansporn sein, das Risiko in den verbleibenden Partien Schritt für Schritt zu steigern.

Am Montag, 16 Uhr MEZ führt Caruana zum vierten Mal die weißen Steine. Es steht 3,5:3,5. (Anatol Vitouch aus London, 18.11.2018)

Schach-WM in London, 5. Partie, Sonntag

Magnus Carlsen (NOR/Weiß) – Fabiano Caruana (USA/Schwarz) 0,5:0,5

1.d4 Sf6 2.Sf3 d5 3.c4 e6 4.Sc3 Le7 5.Lf4 0-0 6.e3 c5 7.dxc5 Lxc5 8.Dc2 Sc6 9.a3 Da5 10.Sd2 Dd8 11.Sb3 Lb6 12.Le2 De7 13.Lg5 dxc4 14.Sd2 Se5 15.0-0 Ld7 16.Lf4 Sg6 17.Lg3 Lc6 18.Sxc4 Lc7 19.Tfd1 Tfd8 20.Txd8+ Txd8 21.Td1 Txd1+ 22.Dxd1 Sd5 23.Dd4 Sxc3 24.Dxc3 Lxg3 25.hxg3 Dd7 26.Ld3 b6 27.f3 Lb7 28.Lxg6 hxg6 29.e4 Dc7 30.e5 Dc5+ 31.Kh2 La6 32.Sd6 Dxc3 33.bxc3 f6 34.f4 Kf8 35.Kg1 Ke7 36.Kf2 Kd7 37.Ke3 Lf1 38.Kf2 La6 39.Ke3 Lf1 40.Kf2

Zwischenstand nach sieben Partien: 3,5:3,5