König Philipp (Günter Franzmeier) ist mit dem Schicksal absoluter Herrschermacht geschlagen – ein Kreuz für jeden Kreissparkassenleiter.

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Wien – Man muss sich Madrid, diese Brutstätte des unaufgeklärten Absolutismus, als literarisch ungemein ertragreiche Stadt vorstellen. Die Neuinszenierung von Schillers Don Karlos hat noch gar nicht angefangen. Doch vorne, an der Rampe des Wiener Volkstheaters, kniet bereits ein fieberglühender Jüngling und bedeckt unzählige Blätter mit hastigen Proben seiner Bleistiftschrift.

Der Infant von Spanien (Lukas Watzl) krankt offenbar an Zögerlichkeit. Ein Papier nach dem anderen wird von ihm zerknüllt. Tatsächlich handelt Friedrich Schillers vor Handlung platzendes "dramatisches Gedicht" vom Scheitern der Kommunikation auf allen Ebenen.

Karlos dringt mit seinen herrlichen Flausen nicht durch zur vermorschten Gestalt seines Vaters. Der (Günter Franzmeier), ein lauernder Kettenraucher mit Anflügen von sportivem Sadismus, leitet das spanische Weltreich mit der Unnahbarkeit des Potentaten, der in der Kreissparkasse womöglich besser aufgehoben wäre. Vor und hinter diesen beiden kreuzen Briefe die abgestandene Luft in den königlichen Gemächern: lauter Schreiben amourösen und sogar verschwörerischen Inhalts. Der Prinz ist der schönen Stiefmutter (Evi Kehrstephan) durchaus nicht nur in ehrfürchtiger Sohnesliebe zugetan.

Erasmus-Studium der Intriganz

Auf allen Kanälen entfesselt Schiller, der rhetorisch beredteste Schulbuchklassiker, nur weißes Rauschen. Wirft sich eine Figur wie der unglückselige Infant auf die Knie, um aufrichtig zu bekennen, wie ihr zumute ist, antwortet ihr Gegenüber mit Floskeln oder Ausflüchten. Andere wie der Idealist Posa (Sebastian Klein) wirken, als hätten sie gerade ein Erasmus-Studium im Fach Intriganz mit ungenügendem Erfolg abgeschlossen.

Die braven Schauspieler des Volkstheaters spielen in der Karlos-Inszenierung der polnischen Wien-Debütantin Barbara Wysocka auf allen Klavieren gleichzeitig: auf den gestochen scharf klingenden wie auf den verstimmten. Die sentimentale Salonschlange (Isabella Knöll) gibt auch eine famose Ulknudel ab. Der steif am Stock lehnende Höfling Alba (Steffi Krautz) stimmt sein kolossales Hohnlachen über den Prinzen wie eine Siegesfanfare an. Sie alle müssen Täter und dürfen (letztlich unterschiedslos) Opfer sein. Die Ausstattung (Barbara Hanicka) hat ein paar solide Betonbauteile übereinandergestapelt. Über die Rippenstücke zwischen den Fensterlöchern flimmern Bilder anonymer Massen. Schon rütteln die demokratischen Empörer an den Toren des Madrider Escorials. Nur die, die gezwungen sind, im Schloss auszuharren, wissen nicht recht, was sie mit sich anfangen sollen. Sind sie Kaiser? Bürger, Bettler, Edelleute?

Entzündete Puppe

Recht behält in Phasen der Konfusion ohnehin nur das Archiv. An Philipp (Franzmeier) ist ein Papiertiger verlorengegangen. Mit der Telefonschnur kämpft er wie Siegfried mit dem Drachen. Das Unheil der Inquisition wird mit der Entzündung einer Puppe illustriert. Eine Hofschranze wie den loyalen Lerma (Jan Thümer) – er hinterbringt Karl brav die Intrigen der anderen – jagt die Regie in das Laster der Spiegeltrinkerei.

Don Karlos verdiente mehr als den Hinweis, unsere Gesellschaften würden in permanenter Bedrohung leben, oder sie wären der Androhung von Terror ausgesetzt. Es führt ein allzu kurzer Weg von der Liebessehnsucht eines vereinsamten Herrschers hin zur stocksteifen Apologie der katholischen Zwangsmacht. Der blinde Großinquisitor (Florentin Groll) steckt prüfend einen Finger zwischen Hals und Kollar. Es scheint, dass uns Schillers Haupt- und Staatsgewand schon recht locker am republikanischen Leib sitzt. Wie sonst wäre es zu erklären, dass man bürgerliche und monarchische Anschauungsformen derart durcheinanderbringt, ohne etwas Vernünftiges zu erzählen?

Treffliches Ensemble

Posa, der aufgeklärte Idealist als Intrigendilettant, liegt tot am Boden. Ihn (symbolisch) abzuknallen geht so leicht wie das Entenschießen der Hofdamen im ersten Akt. Karlos wird, Papa sei Dank, der Inquisition übergeben werden. Wie schön wäre es, dieses treffliche Ensemble einer Spielleitung anzuvertrauen, die etwas mit ihm anzufangen wüsste. (Ronald Pohl, 19.11.2018)