Die Tochter Meta blieb also in ihrer behüteten Welt, Lotte Hass reiste in die große, weite. Es gab dann wohl Briefe, die der Tochter vorgelesen wurden ...

Foto: privat
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In deren letzten Stunden begleitete die Tochter ihre Mutter, die große Abenteurerin Lotte Hass, Frau des übergroßen Meeresforschers Hans Hass. Sie war Taucherin gewesen, Postergirl für Bademode, Reisende; sie war in Hollywood gewesen und hatte dort Marillenknödel gekocht für Gregory Peck, denn "sie war auch eine großartige Köchin – ihre Ente Orange, herrlich!". Das Kochen war Ausdruck der Symbiose, die zwischen ihren Eltern herrschte: "Zur Hochzeit hatte die Mami ein Geschenk von meinem Vater bekommen, ein großes Paket, schön verpackt. Sie war gespannt, was drinnen ist, und drinnen waren die handgeschriebenen Kochbücher seiner Mutter ..."

Das hatte ihr "die Mami", wie Meta Rauning-Hass ihre Mutter stets liebevoll nennt, wohl später erzählt, bevor sie dement wurde und das meiste vergaß. Die Kochbücher, auch die Reisen auf der Xarifa, dem Forschungsschiff, die Expeditionen nach Australien, nach Tahiti oder später in die afrikanische Wüste, nachdem ihr Mann plötzlich Verhaltensforscher werden wollte und Jahre lang lieber zu Hause blieb als wegzufahren. "Das war hart für die Mami, ein richtiger Bruch."

Sie, die Tochter, trug ihr zum Ende hin die Balladen vor, die ihr die Mutter früher als Kind vorgetragen hatte, wenn sie denn einmal da war für ein paar Wochen. Meta konnte diese Balladen bald auswendig: "Die Kraniche des Ibykus, Die Bürgschaft, den Zauberlehrling. Das waren die Geschichten, die mich begleitet haben", sagt sie. "Das waren schöne Mutter-Tochter-Momente, ich habe das geliebt." Noch heute hat sie die Stimme der Mutter im Ohr, "die war ja meiner angeblich sehr ähnlich. Wenn ich das Telefon abhob und es waren Freundinnen von ihr dran, dann wollten sie mir gleich die wildesten Geschichten erzählen, weil sie dachten, ich bin die Lotte." Aber auch diese Stimme der Lotte Hass verstummte zum Ende hin. Also sang sie, die Tochter, ihr "mit meinen beschränkten Möglichkeiten" die Zarah-Leander-Lieder vor, die ihr "die Mami mit ihrer wunderschönen Stimme" früher vorgesungen hatte. "So gesehen habe ich das Gefühl, ich konnte sie bis zum Schluss begleiten." So gesehen lebten sie und ihre Mutter in Frieden, als diese starb.

Einfach war es nicht. Ihre Mutter war "in den ersten 13 Jahren meines Lebens einfach nicht da". Mit knapp einem Jahr kam die Tochter, 1957 geboren, zu den Großeltern. Später hat man ihr erzählt, dass sie "als Baby einigermaßen mühsam war", dass sie in der Nacht schrie und am Tag schlief: Vielleicht war auch das ein Grund, überlegt die Tochter, warum die Mutter weggefahren ist? Aber sie wischt solche Gedanken beiseite: "Wurscht!" Und sie versucht es mit dieser Erklärung: "Der Vater war ja umschwärmt, den hat die Mami auch nicht gerne alleingelassen. Es war schon wichtig für sie, ihre Position zu behaupten ..."

Kind oder Beruf? "Die Mami war in einem Dilemma", erzählt die Tochter. "Sie war ja schon eine richtige Galionsfigur, der Schmuck in der Arbeit meines Vaters, wirklich sehr schön, eine prächtige Frau, sportlich, mutig." Sie hatte bereits ihren festen Platz bei diesen Expeditionen, als sie mit Meta schwanger wurde. "Das Drama war, dass sie zuschauen musste, wie mein Vater ausgefahren ist mit der Xarifa, und wusste: Der ist jetzt zwei Jahre fort. Und bei meiner Geburt wird sie ohne ihren Mann sein." Worauf hätte die Mutter also verzichten sollen, wofür sich entscheiden? Oder wogegen? "Brutal gesagt ist sie ihm dann ja eh relativ rasch nachgefahren! Und so wie ich meine Mami später kennengelernt habe, hat sie das auch konsequent durchgezogen." Konsequenz war etwas, das die Mutter bei ihrer Tochter später immer vermisst hat. "Ich war ja ein undiszipliniertes Kind. Ich war so was von ungeeignet für ihre Welt."

Meta blieb also in ihrer behüteten Welt, Lotte Hass reiste in die große, weite. Es gab dann wohl Briefe, die der Tochter vorgelesen wurden, aber sie glaubt, dass man sie möglichst nicht an ihre Eltern erinnern wollte. "Am Mittwoch sind wir halt zur Tante Grete gegangen, die hatte einen Fernseher, dort habe ich zuerst die Kinder aus Bullerbü geschaut und dann die Eltern gesehen." 24 teils mehrteilige Filme liefen dort, am aufregendsten war das für den Hund: "Herrchen war plötzlich da und doch nicht. Der ist wie ein Verrückter um den Fernseher herumgelaufen. Aber ich weiß das nur aus Erzählungen." Die Großmutter hat sie auf Händen getragen, "aber sie war halt meine Großmutter. Und wenn sie die Mami als Kind so behütet hat wie mich, dann war diese sehr behütet!" Ein Grund, warum sie das Abenteuer so suchte? "Sie hat nicht gesagt: Ich will Fische sehen. Sie wollte die ganze Welt sehen!"

"Eine Frau hat das Privileg, ein Kind zur Welt zu bringen", sagt die Tochter. "Das unterscheidet sie vom Mann. Das war das Spektakuläre bei der Mami, dass sie ihrer Zeit voraus war und die Karriere nicht hintanstellen wollte." Die Tochter gibt aber zu, dass sie lange Zeit mit der Abwesenheit der Mutter haderte, speziell als sie dann selbst Kinder bekommen hat. "Es brauchte lange, bis ich mich damit versöhnen konnte."

Kind oder Beruf?

Für sie als Mutter wäre es jedenfalls unvorstellbar gewesen, so lange von ihren Kindern getrennt zu sein, und sie fand es "auch völlig irre", was ihre Eltern da getan haben: "Die sind nach Australien gekommen, dort hat man ihnen gesagt: Da und dort dürfen sie auf keinen Fall ins Wasser, denn da werden sie von den Haien sofort gefressen. Und was haben sie gemacht? Sofort hinein ins Wasser!" Sie erinnert sich, dass die Eltern immer getrennt geflogen sind, damit sie, die Tochter, nicht alleine zurückbleibt, falls ein Elternteil verunglückt. "Den Haien sind sie immer gemeinsam hinterher!" Heute kann sie darüber lachen. Als Kind konnte sie das nicht.

Heute ist die Tochter überzeugt, dass die Mutter trotz langer Abwesenheit eine tiefe Beziehung zu ihr hatte. "Sie hat ja selbst auch wahnsinnig gelitten, wenn sie wegfuhr. Ich bin weinend an ihrem Bein gehangen. Dann saß sie allein im Flugzeug und weinte auch. Das war bestimmt keine angenehme Situation für sie." Ein Gefühl dafür, wo die Mutter immer war, hatte die Tochter in dieser Zeit nicht: "Und als ich begann, darüber nachzudenken, waren sie ja wieder zurück." Da wohnten die Eltern im Opernhof in Wien, und sie mieteten eine kleine Wohnung gleich daneben dazu, wo der Teenager, nun 13, einzog und vier oder fünf Jahre lang wohnte. Bis dahin war sie bei der Großmutter gewesen, die sie als lieb, aber eben nicht cool empfand: "Alle Schulfreundinnen hatte junge Eltern, ich hatte nur die Großmutter, die sich immer nur Sorgen gemacht hat. Toll war das nicht, so prominente Eltern zu haben."

Die Volksschullehrerin war sehr stolz, "dass die Tochter vom Hass und die Tochter vom Schmitz, dem damaligen Finanzminister, bei ihr in der Klasse waren. Für die war das sensationell, mir war das wurscht. Als Teenager habe ich begonnen, das echt unangenehm zu finden." In dieser Zeit war sie ihrer Mutter auch keine einfache Tochter. "Unsere Beziehung war eher so freundschaftlich, und da habe ich mir entsprechende freundschaftliche Rechte herausgenommen, welche die Mami dann auch nicht sehr okay gefunden hat." Wenn sie sich mit Burschen getroffen hat und der eine oder andere dann mehr über Haie wissen wollte als über sie: "Eine Zeitlang habe ich meinen Nachnamen überhaupt nicht mehr genannt."

Natürlich hat sich diese Familie gemeinsam den Weißen Hai angeschaut, im Gartenbaukino auf der großen Leinwand. "Es war urpeinlich, ich habe geschrien, ich bin ja so emotional." Mit Schrecken haben die Eltern feststellen müssen, dass die eigene Tochter seekrank wurde, als sie diese dann doch mitnahmen auf ihre Reisen. "Schon in Sydney, als wir mit dem Auto durch die Stadt fuhren, fing es an. Und als ich dann den ersten Hai sah, habe ich vor Angst praktisch aufgehört zu atmen ..." Eine starke Erinnerung hat sie an das Schiff der Eltern: "Da sehe ich dieses Bullauge in einer Kajüte. Und da gab es ein Stockbett, auf dem ich meine chinesischen Puppen drapiert hatte." Auch als die Tochter mit dabei war, "waren meine Eltern ja nie meins, sie haben mir nie gehört. Ich war in dieser Evolution nicht so bedeutend. Was sie geschaffen haben, war wichtiger als meine Existenz. Das habe ich eine Zeitlang auch nicht so gerne gehört, aber das war so." Sie sagt: "Die Mami war einfach viel strahlender und prächtiger als ich, die war unerreichbar." Und sie wusste: "Wenn ich versuche, ihr nachzueifern, dann werde ich scheitern."

Zunächst probierte sie es "mit Trickskilauf oder anderen Revieren, die ich mir erobern wollte, aber da war ich auch nicht wirklich gut". Die Tochter hatte auch Übergewicht als Teenager, und "die Mami war da schon ein bisserl enttäuscht, dass ich mich nicht entsprechend entwickelt habe". Lag die Enttäuschung nur in ihren Blicken? "Nein, nein, die lag schon in den Worten. Das hat mich auch gestresst. Diese Eltern, die da jeden Morgen ihre Fitnessübungen gemacht haben. Das war eine Vorgabe, die ich nicht erfüllen konnte."

Aber dann, Meta Raunig-Hass war längst erwachsen und erfolgreiche PR-Beraterin, was letztlich auch ihren Eltern Respekt abverlangte, gab es diese Präsentation eines Universum-Filmes über Lotte und Hans Hass. "Da bin ich gesessen und hab mir gedacht: Bist du gelähmt! Das sind deine Eltern! Ich war total beeindruckt, das hat mich auch versöhnt." Das war auch die Zeit, wo "die Mami" in die Rolle der liebevollen Großmutter hineinwuchs und endlich sein konnte, was ihr als Mutter oft nicht gelungen war: anwesend. (Manfred Rebhandl, 18.11.2018)