Am 6. beziehungsweise 16. November 1632 fand zwischen Halle/Saale und Leipzig eine der bedeutendsten und blutigsten Schlachten des Dreißigjährigen Krieges statt. Beide Seiten verfügten über etwa 19.000 Soldaten aus verschiedensten europäischen Ländern. Im Verlauf der Schlacht fielen neben 6.500 Soldaten auch der charismatische Schwedenkönig Gustav II. Adolf und der kaiserliche General Pappenheim. Der militärische Ausgang war unentschieden, hatte aber erhebliche Auswirkungen auf den weiteren Verlauf des Krieges.

Jahrelange Untersuchungen

Zwar liegen verschiedene historische Zeugnisse in Form von Berichten, Karten und Gemälden zur Schlacht von Lützen vor, doch sind diese in der Regel stark subjektiv geprägt oder erst Jahre später zu Papier gebracht worden, so es sich überhaupt um authentische Darstellungen von Augenzeugen handelt. Die Archäologie kann hier, da sie sich völlig anderer Quellen bedient, der Überprüfung, Schärfung oder auch Ergänzung der historischen Überlieferung dienen.

Als das in seiner Lage bekannte Schlachtfeld von Lützen vor einem guten Jahrzehnt vom Braunkohletagebau vernichtet zu werden drohte, führte das Landesamt für Archäologie und Denkmalpflege Sachsen-Anhalt zusammen mit Kooperationspartnern aus Schweden, England und Schottland von 2006 bis 2011 archäologische Prospektionen im Zentrum des Kampfplatzes durch. Mit mehr als 111 Hektar prospektierter Fläche handelt es sich um das bisher größte systematisch untersuchte Schlachtfeld weltweit. Insgesamt konnten circa 3.500 Objekte geborgen werden, die in Zusammenhang mit der Schlacht von 1632 stehen. Ausgrabungen und das Verteilungsmuster der punktgenau eingemessenen circa 3.000 (zumeist Blei-)Geschoße unterschiedlichen, charakteristischen Kalibers erlauben es, das historisch überlieferte Schlachtgeschehen neu zu bewerten.

Verschiedene Funde vom Schlachtfeld.
Foto: LDA Sachsen-Anhalt/J. Lipták

47 Soldaten

Aus historischen Überlieferungen war bekannt, dass die zahlreichen Gefallenen der Schlacht an Ort und Stelle in Massengräbern bestattet worden waren. 2011 konnte nach intensiver Suche erstmals eines dieser Gräber lokalisiert werden. Ein vergleichbarer, ungestörter Befund von vergleichbar hohem wissenschaftlichem Potenzial und vorzüglicher Erhaltung ist von keiner anderen Stelle Europas bekannt. Aufgrund der Bedeutung als bildgewaltiges, emotionales Mahnmal wie auch wegen des wissenschaftlichen Potenzials und seiner Einzigartigkeit wurde beschlossen, es unter Laborbedingungen auszugraben und dauerhaft zu erhalten. Hierfür musste ein Block von sechs mal sieben Metern Grundfläche und einem Gewicht von 55 Tonnen geborgen und in die Restaurierungswerkstätten des Landesmuseums für Vorgeschichte Halle/Saale gebracht werden.

Vorbereitung des bereits verschalten Massengrabes für den Abtransport in die Restaurierungswerkstatt.
Foto: LDA Sachsen-Anhalt/K. Bentele
Mögliches Szenario beim Anlegen des Massengrabes mit den 47 Gefallenen durch die Bauern der umliegenden Dörfer.
Foto: LDA Sachsen-Anhalt/K. Schauer

Die dortige Freilegung und Untersuchung ermöglichte einen einzigartigen Zugang zur Realität des Dreißigjährigen Krieges und erbrachte folgende Ergebnisse: Insgesamt 47 Soldaten wurden dicht an dicht und in mehreren Lagen übereinander bestattet, nachdem man sie geplündert und ihrer Kleidung, Waffen und aller persönlichen Gegenstände beraubt hatte. An den Skeletten der jungen Männer konnten vielfältige Hinweise zu den Todesursachen, aber auch zu überlebten Verletzungen aus zurückliegenden Kämpfen beobachtet werden. Zudem verrieten die Knochen auch vieles über die Lebensbedingungen, die Ernährung, die Krankheiten und sogar die Herkunft der Soldaten.

Anthropologische Begutachtung der in der Restaurierungswerkstatt freipräparierten Skelette.
Foto: LDA Sachsen-Anhalt/J. Lipták

Wer waren die Männer?

Die Ausgrabung und Präparierung des Grabes unter Laborbedingungen erlaubte im interdisziplinären Zusammenspiel mit den modernsten Methoden der Bioarchäologie eine detaillierte Beschäftigung mit jedem einzelnen der 47 Soldaten, sodass letztlich eine Rekonstruktion individueller Details und Lebensgeschichten gelang und Einzelschicksale nachvollziehbar wurden. Gesichtsrekonstruktionen konnten die "Wiedererweckung" einzelner Persönlichkeiten vervollständigen.

Präsentation des komplett freigelegten und präparierten Massengrabes im Landesmuseum für Vorgeschichte Halle (2015/16).
Foto: LDA Sachsen-Anhalt/J. Lipták
Die Lage und Belegungsabfolge der Skelette zeigen die wenig sorgfältige Bestattung der Toten.
Foto: LDA Sachsen-Anhalt/J. Lipták

In der Bioarchäologie werden modernste Anwendungen mit bewährten anthropologischen und kriminaltechnischen Verfahren sowie archäologischen Untersuchungen multidisziplinär vereint. So werden Aussagen zu Sterbealter, Geschlecht, Körpergröße, Verletzungsmuster, Mangelerscheinungen, Krankheiten und Todesursachen möglich. Mittels DNA- und Isotopenanalyse konnten Herkunft, Aussehen und Ernährung der Gefallenen rekonstruiert werden. Die geplündert ins Grab gelegten Toten offenbarten, aus welcher Region Europas sie stammten, welche Leiden sie auf ihren Märschen quälten und an welchen Verletzungen sie so jung starben.

Einfache Soldaten

Dabei zeigten die Untersuchungen, dass es sich keineswegs um ein Heer von frischen, ausgeruhten Soldaten handelte, sondern eher um aus ärmlichen Verhältnissen stammende, von Hunger, Krankheiten und überlebten Verletzungen gezeichnete Männer.

Bei den 47 Toten aus dem Massengrab inmitten des Schlachtfelds handelt es sich um ein bewegendes Antikriegsmonument, zeigt es doch die einfachen Soldaten, über die in den Geschichtsbüchern selten etwas zu lesen ist. Die wissenschaftliche Untersuchung und Präsentation dieses einzigartigen Mahnmals besitzt angesichts der am Dreißigjährigen Krieg beteiligten und heute friedlich vereinten Länder auch 400 Jahre nach dem Westfälischen Frieden (1648) eine europäische Dimension. So ist es nur folgerichtig, dass das präparierte Grab als Mahnmal gegen Grauen und Sinnlosigkeit des Krieges das zentrale Objekt der aktuellen Sonderausstellung im Naturhistorischen Museum Wien bildet. In der Schau "Krieg. Auf den Spuren einer Evolution" wird den Ursprüngen des Phänomens "Krieg" und seinen Entwicklungen über die Jahrtausende hinweg auf archäologischem Wege nachgespürt. (Michael Schefzik, 15.11.2018)