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Junge Männer mit extensiver Haar- und Barttracht gerieten hingegen ernsthaft in Verdacht, als "Ersatz-Jesus" unerlaubten Praktiken der Nächstenliebe nachzugehen.

Foto: ullstein bild via Getty Images / Calle Hesslefors

Als Bruno Kreisky begonnen hat, die Republik großzügig mit Demokratie zu fluten, da schien es, als ob die Vernunft ausschließlich im Lager von Farbenblinden beheimatet wäre. In den reputierlichen Kaufhäusern der Mariahilfer Straße dominierten unzählige Braun- und Grautöne das textile Angebot.

Ihren eminenten Farbsinn lebten die Wiener – als außer Dienst gestellte Barockmenschen – anderweitig aus. Die Farbnuancen der krummbeinigen Dachshunde ("Waldi", "Hansi") schienen von der Palette eines Lasurpinslers wie Professor Ernst Fuchs zu stammen. Wer noch mehr Erdtöne bewundern wollte, brauchte sich bloß in den Anblick der unzähligen Losungen vertiefen, die Wiens Vierbeiner gemäß eines geheimen Algorithmus großzügig über den Pflasterstrand verteilten.

Indes schienen Versuche, die Gesellschaft durch subkulturelle Farbtupfer heiterer zu stimmen, von vornherein zum Scheitern verurteilt. Ich, ein zufriedener Babyboomer, lauschte und erlernte die Kunst, Menschen aufgrund ihres Äußeren in Schubladen zu stecken. Im Folgenden ein paar vulgär-ethnologische Kostproben:

Bunte Vertreter der Jugendkultur wurden zumeist als "Haschbrüder" bezeichnet. (Interessanterweise sprach man so gut wie nie von "Haschschwestern".) Junge Männer mit extensiver Haar- und Barttracht gerieten hingegen ernsthaft in Verdacht, als "Ersatz-Jesus" unerlaubten Praktiken der Nächstenliebe nachzugehen. Menschen, die man grundsätzlich der Unbotmäßigkeit verdächtigte, wurden immerhin als "Gammler" bezeichnet.

Als nachteilig für die Gesellschaft wurde auch der Einfluss der Beatles erachtet, die man als "Jazz-Beatles" verunglimpfte. Der schmachtende Sänger aus Memphis mit den langen Koteletten hieß "Bröselmeier". Er galt in den hämischen Augen der Wiener als geografisch wirkungslose Gefahr für das monogame Eheglück.

Es sollte noch viele Jahrzehnte dauern, bis der Farbenfrohsinn die Politik ansteckte. Als es so weit war, schaukelten "Geilomobile" durch Wiens Gassen. Ehedem schwarze Parteien liefen – vielleicht aus Sauerstoffmangel – türkis an. Und der amtierende Bundeskanzler sah plötzlich jünger aus als Paul McCartney, ca. 1962. (Ronald Pohl, 14.11.2018)