Die türkis-blaue Regierung will die Anonymität im Netz einschränken.

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Die Bundesregierung will gegen Hass im Netz vorgehen. Dafür soll ein sogenanntes "digitales Vermummungsverbot" eingeführt werden. Wie dieses genau aussehen wird, ist noch unklar. Das Ziel sei nicht, dass Personen nicht mehr anonym posten können, eher gehe es darum, Täter belangbar zu machen. Bei Straftaten sollen aber die Behörden auf die Namen der Verdächtigen zugreifen können.

"Auf der Straße ist auch niemand mit Namensschild unterwegs, aber wenn ein Polizist ermittelt, muss er sich ausweisen können – darum geht es", sagte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) am Dienstag bei einer Pressekonferenz. Wie das konkret umgesetzt werden soll, ist nach aktuellem Stand unklar.

Strache will Möglichkeit, Täter "rasch zur Rechenschaft zu ziehen"

Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) verweist auch auf selbst erlebten Hass im privaten Umfeld. "Es ist ungeheuer, dass meine Ehefrau, die schwanger ist, mit unfassbaren Postings konfrontiert wird", sagt Strache. Gerade Schulkinder und Frauen, die nicht in der Öffentlichkeit stünden, wüssten nicht, wie sie sich zur Wehr setzen könnten. Es brauche auch eine bessere Definition von Hetze und Möglichkeiten, Täter "rasch zur Rechenschaft zu ziehen", so Strache. Konkrete Erklärungen, welche Plattformen betroffen sein sollen, gab es am Dienstag noch nicht. Die Pläne seien noch im Werden, sagte Kurz.

Die meisten Hasspostings sind nicht anonym, weshalb Experten das "digitale Vermummungsverbot" der Regierung kritisieren. Medienminister Gernot Blümel (ÖVP) nimmt dazu Stellung.
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Die Autorin Ingrid Brodnig, die auch zu dem Gipfel als Expertin geladen war, erklärt auf Anfrage, dass wohl eine Auskunftspflicht bevorstehen könnte. Plattformbetreiber müssten demnach Daten an Behörden weitergeben.

Unterschied zu jetziger Rechtslage unklar

Was sich an der jetzigen Rechtslage ändern soll, ist allerdings unklar, sagt die Medienrechtsanwältin Maria Windhager zum STANDARD. "Die Ankündigungen sind vollkommen schwammig." Plattformen sind bereits jetzt bei straffälligen Postings dazu verpflichtet, ihnen bekannte Nutzerdaten herauszugeben – das regelt das E-Commerce-Gesetz. Aktuell nicht verpflichtend ist es allerdings, Daten wie Name, Adresse und E-Mail eines Users zu speichern. "So kann man nur spekulieren, aber keine seriöse Diskussion, die bei so einem Thema wünschenswert wäre, führen", sagt Windhager.

Vorratsdatenspeicherung vom EuGH gekippt

Eine Speicherungspflicht für IP-Adressen mit der Möglichkeit, diese identifizierbar zu machen, sei zwar technisch möglich, wie der Rechtsinformatiker Nikolaus Forgó gegenüber dem STANDARD erklärt, würde jedoch einer Vorratsdatenspeicherung gleichkommen. "Wenn man eine flächendeckende IP-Adressenspeicherungspflicht plant, dann ist das eine Art von Vorratsdatenspeicherung, und die wird sicher nicht gehen, jedenfalls aufgrund europarechtlicher Rahmenbedingungen nicht so einfach", sagt Forgó.

Die Vorratsdatenspeicherung hatte vorgesehen, dass Mobilfunker Netzverkehrsdaten sechs Monate lang speichern und bei richterlicher Anordnung an Behörden vermitteln müssen. Der Verfassungsgerichtshof kippte die Novelle 2012, da er die österreichische Verfassung und die EU-Grundrechte verletzt sah, auch der Europäische Gerichtshof erklärte sie 2014 und 2016 für unzulässig.

Grundrechtseingriff ohne Nutzen

Die Weitergabe von IP-Adressen ist in Österreich aufgrund von unterschiedlicher Rechtsprechungen nicht ohne weiteres möglich. Laut Forgó kann sie jedenfalls nicht erzwungen werden. "Das ist aber eine denkbar schlechte Maßnahme, um das eigentliche Problem in den Griff zu bekommen, denn nach allen Unterlagen ist es so, dass Hass im Netz in ganz vielen Fällen unter Klarnamen stattfindet", sagt Forgó. Dazu käme, dass man, wenn man schon den Aufwand betreibt, um den Namen mit einem Pseudonym zu ersetzen, auch den Aufwand betreiben würde, die IP-Adresse zu verschleiern.

Der Gipfel.
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Dafür gebe es mehrere Möglichkeiten – etwa den Besuch eines öffentlichen Netzwerkes oder über VPN. "Leute, die intelligent genug sind, nicht unter klarem Namen zu posten, sind auch intelligent genug, ihre IP-Adresse nicht zugänglich zu machen", sagt Forgó. Solche Pläne würden also einen großen Grundrechtseingriff erzeugen, jedoch mit hoher Wahrscheinlichkeit "wenig bis gar nichts ändern". "Das zieht eine verfassungsrechtliche Frage nach sich: Ist es verhältnismäßig, was da geplant ist?"

Kritik von Sigrid Maurer

Anlass für die Pläne war die öffentliche Debatte, die in den letzten Monaten über Hasspostings entbrannte. Auslöser war unter anderem der Prozess gegen die ehemalige Grünen-Abgeordnete Sigrid Maurer. Maurer kritisierte das Vorhaben im Gespräch mit dem STANDARD scharf. "Die Regierung missbraucht meinen und andere Fälle für ihre Propaganda um die Freiheit im Netz beschränken", sagt Maurer. "Wie auch in meinem Fall mit dem Craftbeershop kommt der meiste Hass über Klarnamen. Das Problem bei Hass im Netz ist nicht die Anonymität, sondern dass er nicht rechtlich verfolgt wird oder – wie in meinem Fall – nicht rechtlich verfolgt werden kann. Dieser Gipfel hätte Hilfe für Betroffene bringen sollen, stattdessen bringt er einen massive Gefährdung des Datenschutzes."

Im Frühsommer hatte Maurer damit Aufsehen erregt, dass sie sexualisierte Hassnachrichten und den Besitzer des Computers, von dem die Nachrichten geschickt worden waren, öffentlich machte. Dafür wurde sie von dem Lokalbetreiber geklagt und im Oktober nicht rechtskräftig wegen übler Nachrede verurteilt.

Empört zeigt sich Maurer auch darüber, dass die Antirassismusstelle Zara nicht im Vorfeld des Gipfels kontaktiert wurde: "Zara ist nicht dort, aber Strache, der mit seiner Facebook-Seite Hass verbreitet, schon."

Ingrid Brodnig, eine der geladenen Expertinnen, sprach sich kurz vor dem Gipfel auf Twitter noch gegen eine Klarnamenpflicht aus. Anonymität sei nur ein Faktor für Aggression im Netz, aber nicht der einzige. "Halte Klarnamenpflicht nicht für Lösung", schrieb Brodnig.

FPÖ-Video spielt mit rassistischen Stereotypen

Während die Regierung zu dem Gipfel gegen Hass im Netz ins Bundeskanzleramt einlud, lud die FPÖ auf Facebook ein rassistische Klischees bedienendes Video hoch. Darin wird der Missbrauch der E-Card von einem einen Fes tragenden Ali veranschaulicht. Besagter Ali will sich in dem Film mit der E-Card seines Cousins Mustafa "die Zähne auf Vordermann bringen lassen", wie es heißt. Er scheitert aber, weil die E-Card künftig mit Foto ausgestattet ist.

So sieht das FPÖ-Video aus.
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"Pech gehabt Ali. Es heißt nun: Sozialmissbrauch ade", lautet der Kommentar der FPÖ in dem Video, das prompt Kritik von der Konkurrenz im Netz erntete. "Gut, dass die FPÖ und Ministerin Hartinger-Klein aus Anlass zum Gipfel gegen 'Hass im Netz' gleich Anschauungsbeispiele liefern", meinten etwa die NEOS.

Frauen nur untergeordnetes Thema

Bei dem Treffen hätte es vor allem um Frauen gehen sollen. Im Vorfeld des "Gipfels für Verantwortung im Netz" wurden sie als Opfer von Hass im Netz und ihr Schutz besonders hervorgehoben. Tatsächlich fand sich auf der Einladungsliste mit sieben Fachleuten und Betroffenen nur ein Mann, der Medienexperte Christoph Völk. Ansonsten waren neben Ingrid Brodnig und Corinna Milborn, die sowohl Expertinnen wie auch Betroffene in einer Person sind, weitere von Hass im Netz betroffene Frauen zum Austausch eingeladen. Trotzdem waren sexualisierte Hassreden gegen Frauen nur am Rande Thema, zumindest bei den Statements vor Journalistinnen und Journalisten. Dabei trugen die von Sigi Maurer veröffentlichten obszönen Nachrichten an sie wesentlich dazu bei, dass sich Türkis-Blau in der Causa tätig zeigen wollte.

Dennoch war das Fehlen einer rechtlichen Handhabe für Opfer verbaler Gewalt für die Regierungsspitze kein Thema. Im Gegenteil: Vizekanzler Heinz-Christian Strache sprach davon, dass – auf den Fall Maurer angesprochen – der Weg, den Maurer beschritten hat, nicht der richtige war. Zur Erinnerung: Maurer ging mit den Hassbotschaften an die Öffentlichkeit, weil ihr keine rechtliche Handhabe zur Verfügung stand. Ungeachtet dessen betonte Strache, man solle schon in den Schulen unterrichten, was Opfer tun könnten, "etwa den Gerichtsweg gehen".

Auch Frauenministerin Juliane Bogner-Strauß betonte die "Sensibilisierung" und "Prävention". Um besseren Zugang zu Hilfe zu schaffen, sollen auf der Website des Bundeskanzleramtes alle Beratungsangebote für Opfer von Hass im Netz demnächst auf einer eigenen Seite gebündelt werden. (Muzayen Al-Youssef, Beate Hausbichler, Markus Sulzbacher, 13.11.2018)