Sebastian Kurz begrüßte 2017 in einer Rede vor den Vereinten Nationen die Erarbeitung eines Migrations- und Flüchtlingspakts.

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1. Die Ablehnung des UN-Migrationspaktes liegt auf einer Linie mit US-Präsident Donald Trump, der offen die Schwächung von Multilateralismus, Uno sowie der internationalen Rechtsordnung betreibt. Er droht mit Nuklearkrieg, reaktiviert das Wettrüsten, macht die zerstörerische "Mein Land zuerst"-Parole zur globalen Realität. Was treibt Kanzler Sebastian Kurz an, zur Schwächung des nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffenen rechtlich-politischen Netzwerks des globalen Zusammenlebens beizutragen? Und er blendet dabei aus: Großmächte können auf politisch-militärische Machtmittel zur Durchsetzung ihrer Politiken bauen.

Wenn Länder wie Österreich bei der Zerstörung der multilateralen Kooperation mitmachen, beschädigen sie sich selbst: Denn sie sind angewiesen auf eine wirksame multilaterale Friedens- und Rechtsordnung, einer starken UN, WTO, Weltklimaordnung, die Machtansprüche der Großmächte eingrenzen. Den rechtlich unverbindlichen Migrationspakt, die von fast allen UN-Staaten angenommene Empfehlung von heute auf morgen zu torpedieren, zur Abschlusskonferenz nicht einmal mehr hinzufahren, steht diametral zur seit 1956 prononciert Pro-UN-Außenpolitik Österreichs.

2. Bei der Desavouierung des UN-Paktes macht Kurz gemeinsame Sache mit jenen in der EU, denen übernationale Rechtswirksamkeit ein nationales Gräuel ist. Sie wollen statt Bündelung von Souveränität auf EU-Ebene zwecks besserer Problembewältigung zurück zu nationaler "Vollsouveränität". Sie bekämpfen Kontrollen und Sanktionen im Falle der Verletzung von gemeinsam beschlossenem EU-Recht als unzumutbares "Brüssel-Diktat". Wenn aber die Durchsetzbarkeit von EU-Recht nichts mehr gilt, dann werden auch in der EU nur mehr die "Großen" das politische Sagen haben, kleine Mitgliedstaaten nur Anpassung bleiben.

Eine effektive Rechtsordnung ist aber wichtigster "Verbündeter" von machtarmen politischen Entitäten – global und in der EU. Nationalistisches Souveränitätsgehabe nützt im Vergleich dazu wenig. Kurz schadet der EU zusätzlich, wenn sich Österreich als "Vorreiter" jener profiliert, die die EU schwächen, wenn nicht zerstören wollen. Er scheint stolz darauf zu sein, wenn er die Salvinis, Orbáns, Kaczinskys aufstachelt, Österreichs Ablehnung des UN-Vorschlags nachzueifern. Es stört den Kanzler nicht, jene zu mobilisieren, die offen die "illiberale Demokratie" bewerben. Ausgerechnet während Österreichs Ratspräsidentschaft beschädigt er so die im Lissabon-Vertrag beschlossene EU-Wertebasis aus Grundrechten, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, wichtig für jedes internationale Zusammenleben.

3. Kurz fällt der Weiterentwicklung der UN-Migrationspolitik in den Rücken, die eine rationale, humane, globale Herangehensweise an das Problem Migration empfiehlt. Wien verabschiedet sich damit von einer nur international machbaren, sachlichen Migrationspolitik: Was ist seine Motivation, wenn er vorgibt, Österreich vor dem "möglichen Aufzwingen von Einwanderungsrecht" schützen zu müssen, wenn im Text des UN-Dokuments in diesem Punkt exakt das Gegenteil steht? Was hat die Regierung eigentlich dagegen, wenn die UN ausdrücklich für reguläre Migranten Arbeiten, Bildung, Familienzusammenführung erleichtern will – also ihre Integration empfohlen wird? War das nicht einmal Regierungsprogramm? Besonders perfide ist die Kritik an der Aussage im UN-Papier, Migration könne auch "nützlich" sein. Hier offenbart sich das fremdenfeindliche, eigentliche Motiv der Ablehnung: Nützliche Migration ist Realität, besonders in Österreich: Von der Versorgung der Alten über die Krankenhäuser, bis hin zu Tourismus, Industrie, Bauwirtschaft – alles stünde sofort still, hätten wir nicht die "Migranten"!

4. Eine Gemeinsame Außenpolitik – kein Anliegen mehr für Kurz: Mit der Ablehnung des UN-Migrationspaktes hat die Bundesregierung "rote Linien" der traditionellen österreichischen Außenpolitik für die Bereiche UN und EU überschritten. Kurz hat vor der UN-Generalversammlung noch die Arbeit am UN-Migrationspakt gelobt, das Außenministerium hat mitverhandelt, keine Einwände sind bekannt geworden. Eine parlamentarische Diskussion der gravierenden Neupositionierung wurde nicht gesucht, die Öffentlichkeit vor vollendete Tatsachen gestellt. Eine "gemeinsame" Außenpolitik über Parteigrenzen hinweg stellt offensichtlich keinen Wert dar.

Diese Fehlentwicklung der österreichischen Politik liegt nun unübersehbar für jeden vor uns. Kurz und Co berufen sich darauf, nur den Willen der Mehrheit umzusetzen. Ob das stimmt und ausreicht? Nun liegt es an den Parteien, der Zivilgesellschaft, jedem Einzelnen, auf welcher Seite der roten Linien er, sie sich aufstellt. Unaufgeregt, mit sachlicher Überlegung, aber konsequent. (Friedhelm Frischenschlager, 5.11.2018)