Nachdem die Viennale 2018 in die Zielgerade einbiegt, ich circa dreißig teils sehr unterschiedliche Filme gesehen habe, mein Haltungsapparat erste Ermüdungserscheinungen zeigt und ich mich schon wie ein Möbel des Gartenbaukinos fühle, bietet sich eine persönliche Zwischenbilanz an.

Die Bandbreite meiner Filmauswahl reichte von literarisch und geduldig angelegten Erzählungen wie "Fausto" über collageartige Dokumentationen wie "Black Mother" bis hin zu Hollywood-Produktionen wie "First Man". Besonders begeistert haben mich bisher zwei recht unterschiedliche Filme, deren gemeinsamer Nenner die schwarzhumorige Auseinandersetzung mit sensiblen Themen ist. Beide schaffen dies, ohne den Zeigefinger zu erheben, und ohne Schwarz-Weiß-Malerei.

Klingt nicht unterhaltsam, ist es aber

In "I Do Not Care If We Go Down in History as Barbarians" verhandelt Regisseur Radu Jude die Frage, wie wirkmächtig Kunst und Wissenschaft für die Aufarbeitung von Geschichte sind. Klingt möglicherweise nicht auf Anhieb unterhaltsam, war es aber allemal.

Zur Ausgangslage im Film: Die Regisseurin Mariana Marin wird beauftragt, ein historisches Reenactment zum Zweiten Weltkrieg in Szene zu setzen. Von offizieller Seite wird dabei nicht damit gerechnet, dass die tragende Rolle Rumäniens bei ethnischen Gräueltaten im Osten beleuchtet werden könnte, wie es die Regisseurin plant. Auch Teile der Crew und Marins Liebhaber bringen wenig Enthusiasmus für die Aufarbeitung des Massakers von Odessa auf.

Bald versucht sich dann auch ein zynisch argumentierender Beamter in der Rolle des Zensors: Dieses unerfreuliche Kapitel rumänischer Geschichte solle besser in Vergessenheit bleiben, schließlich gebe es ja abseits der Beteiligung Rumäniens am Holocaust noch genug andere Gräueltaten, die beleuchtet werden könnten.

"Îmi este indiferent dacă în istorie vom intra ca barbari" von Radu Jude.
Foto: Viennale

Die Streitgespräche zwischen dem Zensor und Marin bilden den Höhepunkt des Films und sind gerade in einer Zeit, die als postfaktisch bezeichnet werden kann, überaus relevant. Radu Jude gelingt es, die Relativierung und Trivialisierung von Wahrheit sowie die Ignoranz, die mangelnde Empathie und die Intoleranz in der Gesellschaft mit viel Sarkasmus sichtbar zu machen. Dabei verkommt der Film trotz längerer Dialoge und Buchzitate nicht zum moralinsauren Kammerspiel oder zur intellektuellen Selbstübung, sondern ist ein kurzweiliger und scharfzüngiger politischer Film mit zahlreichen lakonischen Pointen. Dem starken Beifall nach zu urteilen, traf der Film auch den Geschmack des Publikums.

Fußballer mit Herz

Gabriel Abrantes‘ und Daniel Schmidts "Diamantino", der zweite Film, den ich hervorheben möchte, ist ein ungestümes und in seiner Zotigkeit kompromissloses Werk. Dem Film merkt man an, dass die Regisseure bereit waren, Risiken einzugehen, und ihrer Kreativität freien Lauf ließen.

Im Zentrum des Films steht der portugiesische Fußballstar Diamantino, der Herz hat, aber selten den notwendigen Durchblick, und der sich in einer irrwitzigen Farce wiederfindet: psychedelische Fußballsequenzen, sinistre Genexperimente, eine portugiesische Variante des Brexits, eine attraktive Geheimagentin, die sich als Flüchtlingskind von Diamantino adoptieren lässt, und dessen ruchlose Zwillingsschwestern.

All das ergibt in Summe eine absurd lustige und trashige Satire, die keine Berührungsängste in Bezug auf polarisierende Themen wie die Flüchtlingskrise hat und dezidiert nicht harmlos sein will – dazu sind die Realitätsbezüge zu zahlreich und offensichtlich. Der Balanceakt, trotzdem nicht makaber, geschmacklos oder platt zu wirken, ist bestens gelungen.

"Diamantino" von Gabriel Abrantes und Daniel Schmidt.
Foto: Viennale

Auch wenn im Endspurt der V‘18 noch einige potenzielle Hochkaräter auf dem Programm stehen: Mit "Se rokh", "Zimna Wojna", "Manbiki kazoku" und vielen von meinen Jury-KollegInnen schon genannten Filmen war die heurige Filmausbeute schon sehr ergiebig und weckt bereits Vorfreude auf die Viennale 19. (Hans-Peter Tscheru, 5.11.2018)