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Anna und Erika Pluhar und die Trauer, die mitschwingt, dass sie nicht so für ihr Kind da sein konnte ...

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Die Autorin Erika Pluhar.

Christina Häusler

Erika Pluhar, "Anna. Eine Kindheit". € 24,00 / 248 Seiten. Residenz-Verlag, 2018

Residenz-Verlag

Gezeugt wird das Mädchen auf einem Schloss. "Sanftes Licht aus Lampen mit Seidenschirmen, ein riesengroßes, weißes Bett, von gedrechselten Säulchen flankiert." Es beginnt wie im Märchen, weiter geht es aber eher wie in der Gala. Oder der Bunten. Berühmte Schauspieler geben sich die Klinke in die Hand, es wird gesoffen und betrogen, im Porsche durch die Stadt gebraust. Wenn man abends "ganz Wien" einlädt, gleicht die Mutter in ihrem silbernen Kleid "einer Prinzessin", und als sie schließlich einen blutjungen Dichter heiratet, taucht in der Hochzeitsnacht der Ex-Mann, Pelzmütze und Uniform tragend, in einem Militärfahrzeug auf und fuchtelt mit einer Pistole herum.

Das ist kein Märchen und das Mädchen Anna, das dem Roman seinen Titel gibt, keine Prinzessin, sondern die Tochter einer Schauspielerin und eines, wie der Klappentext kundtut, "umtriebigen, machtverliebten und genialischen Designers".

Sollten sie nicht ohnehin die zahlreich erschienenen Interviews mit der Autorin Erika Pluhar gelesen haben, wird den informierten Leserinnen und Lesern im Laufe der Lektüre schnell klar: Bei dem Kind Anna handelt es sich um die 1999 im Alter von 37 Jahren verstorbene Tochter von Pluhar und Udo Proksch. Und neben den Eltern taucht allerlei weitere Theater-, Film- und Fernsehprominenz auf: In der Rolle der Liebhaber treten selbstverständlich André Heller (den das Kind einmal nackt und "irgendwie mit ihr verschlungen" mit einer anderen Frau im Ehebett vorfindet) und Peter Vogel auf. Daneben haben unter anderem die Familie Bennent oder der Regisseur Gernot Friedel ihre Auftritte. Wer sich für Klatschgeschichten interessiert, für Gala und Bunte, der wird seine Freude haben.

Man täte dem Buch und der Autorin aber unrecht, es so zu lesen. Nicht umsonst heißt der Roman im Untertitel Eine Kindheit, denn genau darum geht es Erika Pluhar: die Kindheit ihrer viel zu früh an einem Asthmaanfall verstorbenen Tochter zu erzählen oder vielmehr zu rekonstruieren. Denn vieles, was im Roman vorkommt, etwa die Aufenthalte der Tochter in einem Kinderheim in der Schweiz, wo ihr Asthma kuriert werden soll, hat die Autorin selbst gar nicht miterlebt.

Die Trauer darüber schwingt mit in diesem Buch, sie ist das eigentliche Thema: eine Mutter, die nicht so für ihr Kind da sein konnte, wie dieses es gebraucht hätte. Rabenmutter braucht da aber keiner zu rufen oder auch nur zu denken. Vielmehr zeigt Pluhar, aufrichtig und schonungslos auch mit sich selbst, dass das Leben in so einfachen Begriffen nicht zu fassen ist.

Sie erzählt von der jungen Frau, die sie selbst einmal war. Die ihr Kind innig geliebt hat, aber auch ihren Beruf. Die auch selbst weiter leben, lieben und geliebt werden wollte. Die selbst nur ein Mensch war und als solcher Probleme hatte und Fehler gemacht hat. Sie zeigt dabei eine klare Einsicht in die Mechanik zwischenmenschlicher Beziehungen, etwa wenn es darum geht, dass es "das Knuddeln" in der Familie nicht gab. "Dieses Wort und auch dieser Vorgang schien beiden Eltern fremd, ja sogar ein wenig unheimlich zu sein, und ihre Scheu davor entsprang vielleicht einem Mangel, den sie selbst ehemals erlitten hatten." Ein leiser Hinweis auf eine Tatsache, die man nicht übersehen sollte: Pluhar und Proksch entstammen einer Welt, in der Krieg herrschte.

Man liest diese Geschichte nicht immer ohne Widerwillen, und man leidet oft mit dem Kind, das da zum Spielball und Opfer der Egoismen, Neurosen und Selbstverliebtheit der Großen wird. Pluhar beschreibt das sehr einfühlsam und klar. Freilich kann man Sätze wie "Und ihr Körper sprach das so sehr aus, dass sofort ein Kind empfangen wurde" oder "Im Waldviertler Bauernhaus herrschte meist Frohsinn und friedvolles Beisammensein" als bieder und betulich abtun. Man kann aber auch eine bald 80-jährige Frau bewundern, die unaufgesetzt, authentisch und lebensklug über ihre Erfahrungen schreibt. Die geradezu unfassbar offen und gelassen von den Verirrungen der Menschen erzählt, aber auch davon, dass trotz aller Verletzungen und Fehler etwas bleibt, das stärker ist: die Liebe und die Freude am Zusammensein.

Ein wenig schade ist, dass das Buch Anna nur bis zum zwölften Lebensjahr begleitet, man sie also nur als mehr oder weniger abhängiges, ausgesetztes und leidendes Kind kennenlernt, als "kleiner Soldat", der "schweigsam und aufrecht" neben der Mutter steht, während diese schluchzt und weint. Man hätte Anna gerne dabei begleitet, wie sie zu einem eigenständigen, erwachsenen Menschen wird. Abgesehen davon aber kommt Pluhars Buch gerade recht in einer Zeit, die beherrscht ist von stetiger Vermeidungshaltung, um nur ja keine Fehler und alles richtig zu machen. Denn sie erzählt nicht nur von einer Kindheit, die nicht ganz optimal verlaufen ist – sondern auch von den vielen glücklichen Momenten in Annas Leben, davon, dass sie von Menschen umgeben war, die sie aufrichtig geliebt haben. Anna ist ein Plädoyer dafür, das Leben nicht zu vermeiden, sondern zu leben. (Erika Pluhar, 3.11.2018)