Jetzt ist schon wieder was passiert. Die Viennale hat ihre Halbzeit erreicht. Ich habe bis dato dreizehn Filme gesehen. Es hat ein bisschen gedauert, bis die alljährlich erwarteten "Vom-Hocker-reißer-Filme" bei mir dabei waren. Zwischenzeitlich hat mich die Viennale ein bisschen verschluckt. Leider fungieren die schönsten Kinosäle Wiens in ihrer herbstlichen Viennale-Hochzeit wohl leider auch als effiziente Virenschleudern, und mich hat's bissl erwischt.

So hab' ich mich halb krank durch die härtesten Tage mit jeweils drei Filmen geschleppt. Dank des äußerst sonnigen Wetters zu dieser Zeit hab' ich mich zeitweise wie ein Kinovampir gefühlt. Ich bin von Dragee-Keksi auf Halszuckerln umgestiegen, um meinen Hustenreiz während der Filme selbstverständlich auf ein Minimum zu reduzieren. Und genau dann, als es am härtesten für mich war, kamen die bisher schönsten Filmmomente.

Bestens geeignet für den Schulunterricht

Emotional hat mich eindeutig "Entre dos Aquas" am meisten berührt. Das Leben der aus einer Roma-Siedlung stammenden Brüder Isra und Cheíto entfaltet sich vor meinen Augen lebendig und hautnah. Trotz der 135 Minuten zieht mich der Film in jeder Sekunde in seinen Bann, und die Grenzen zwischen Fiktion und Dokumentarischem vermischen sich so sehr, dass ich nach dem Ende unbedingt mehr wissen will über die Entstehung des Films, was ist wahr, was nicht, wie wurde gedreht et cetera. Ich vermisse an dieser Stelle eindeutig das Publikumsgespräch mit dem Regisseur Isaki Lacuesta, der leider nicht da ist.

"Entre dos Aquas" von Isaki Lacuesta.
Foto: Viennale

Ähnlich nah und berührend ist die in Schwarz-Weiß gedrehte Doku "What You Gonna Do When the World's on Fire?" über die neue Black-Panther-Bewegung in New Orleans. Der Film folgt dem Alltag der verschiedenen Hauptfiguren und erzählt von Rassismus, Gewalt und Verbrechen und eignet sich, wie ich finde, bestens für den Schulunterricht. Nur, dann unbedingt mit Untertiteln, die haben mir zeitweise aufgrund des Südstaatenenglisch gefehlt.

Vom Regen in die Traufe

Mit hoher Erwartungshaltung bin ich in den neuen Giorgos-Lanthimos-Film "The Favourite" gegangen und konnte darin um einiges mehr lachen als gedacht. Herausstechend in den sehr kurzweiligen 120 Minuten ist für mich die schauspielerische Leistung von Olivia Colman. Schon lange schätze ich sie aufgrund ihrer Rollen in diversen britischen TV-Produktionen, aber in der Rolle der Queen Anne glänzt sie schauspielerisch in wirklich jeglicher Facette.

"Thunder Road" gehört für mich persönlich zu der Art von Filmen, die ich einfach besonders mag. Tragisch-komisch stolpert der amerikanische Polizist Jimmy Arnaud teilweise selbstverschuldet immer mehr vom Regen in die Traufe und erntet am Ende doch mehr Mitgefühl von uns Zusehern, als wir zu Beginn bereit gewesen wären zu haben. Jim Cummings ist hier unfassbarerweise Regisseur, Drehbuchautor und Hauptdarsteller gleichzeitig. Ein Film, den ich schon jetzt in meinem Bekanntenkreis weiterempfehle. Übrigens, was ich auch gerade im Bekanntenkreis verteile, sind kleine pinke Flamingos: Schon gesehen, es gibt jetzt Viennale-Tattoos zum selbst draufpicken!

Die Viennale hat sich somit für mich persönlich zum genau richtigen Zeitpunkt zu ihrem Höhepunkt verdichtet. Zum Glück bin ich bei der Feier im Lusthaus diesmal nicht ewig versumpert und habe dadurch meinen angeschlagenen Gesundheitszustand in die zweite Festival-Halbzeit gerettet. Jetzt freu' ich mich auf sieben weitere Filme. Sehr gespannt bin ich auf "Alles ist gut" und "Her Smell" und auf die Jurydiskussionen, die wir nächste Woche noch haben werden. Aber ich muss zugeben, Cineastin hin oder her, ich sehne mich jetzt schon langsam nach einem kinofreien Tag und plane ein baldiges Wanderwochenende mit Wald und Berg statt Menschen und Leinwänden.

Ach ja, und eins noch: Viel schlimmer als raschelnde Naschzeugpackungen finde ich Frauen mit überdimensionalen Hochsteckfrisuren. Es ist mir ein Rätsel, was denkt Frau sich dabei nur? (Katharina Ganser, 2.11.2018)