Schank, Lamperie, gläserne Raumteiler: Alle klassisch wienerischen Merkmale sind in diesem zeitgemäßen Wirtshaus vereint.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Kalbsbeuschel wird mit Herz und Zunge angereichert, hier passt alles.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Dem ehemaligen Kirchenwirten der ehemals katholischen Kirche Maria vom Siege war nur ein kurzes Dasein als griechisch bekochter Chinese (On Sud) gegönnt. Seit ein paar Wochen ist er wieder ein erzwienerisches Wirtshaus – das Dingelstedt. Dass die noch von Simon Hong Xie und den BWM-Architekten orchestrierte Neugestaltung der Gasträume sich so fugenlos als klassisch wienerisches Wirtshaus bespielen lässt, ist eine schöne Bestätigung für das, was der Vorgänger hier geschaffen hat.

Jakob Jensen als Betreiber und Andreas Döcler als Koch machen es wirklich gut. Dass sie mit Eduard Peregi (Gasthaus Quell, Zum Edi) einen Auskenner als relativ stillen Teilhaber im Hintergrund haben, hilft natürlich. Wiener Küche ohne Gschistigschasti, dafür aber mit Herz, Hirn und ein bisserl einer Seel' gekocht: Es gibt nicht mehr viele, die dafür noch ein Handerl haben. Und mehr werden sie schon gar nicht. Außer Jürgen Wolf, der Herknerin und, natürlich, der unvergleichlichen Berta Meixner (die aber auch schon an die verdiente Pension denkt) fallen einem kaum noch Aktive ein, die wirklich um die Finessen des Wienerischen wissen, zumindest in Wien. Jedes Mal zu Knoll Vater und Sohn in die Wachau rauspilgern ist aber auch keine Lösung.

Bisschen Nachhilfe

Was das Kalbsbutterschnitzel mit Erdäpfelpüree betrifft, wäre dem Küchenteam des Dingelstedt so eine Wallfahrt durchaus anzuraten: Das gar lässig mit Semmelwürfeln versetzte, aber flaumige, aus gutem Fleisch geformte und zart mit Zitronenabrieb gewürzte Laberl schmeckt eh gut. In Sachen Feinschliff, speziell bei der buttersatten Pracht eines wahrhaftigen Natursaftls, könnten sich die Herrschaften aber durchaus an ernsthaften Vorbildern aufrichten.

Keine Nachhilfe braucht es beim saftig gebratenen Kalbsbries mit samtigem Karfiolpüree, knackig sautierten Pilzen und wunderbar altmodischer (diesfalls tadellos gebutterter) Einmachsauce: wienerische Innereienküche vom Feinsten. Grammelomelett klingt nach Bauarbeiterfrühstück, hat aber das Zeug zur abendlichen Vorspeise, wenngleich die Portion um 5,90 Euro auch locker für zwei reicht. Cremiges Omelett, mit Knuspergrammeln versetzt, auf zwei in Butter gebratene, herrlich flaumige Schwarzbrotscheiben gehäuft und mit Paradeisern und Jungzwiebeln garniert: Mit frischem Chili oder, vielleicht, sogar einer Salzsardelle obendrauf wäre das schlicht grandios. Wobei: In dieser Version soll es laut Jensen bald einen Hirn-mit-Ei-Toast geben. Klingt zu gut, als dass man es einfach so glauben sollte.

Zart hinterfotzig

Kalbsbeuschel wird mit Herz und Zunge angereichert, hier passt alles vom feinen Zitronenduft über den entscheidenden Umamikick der Sardelle bis zu zart hinterfotziger Chilipikanz. Einzig die Topfenknödel wirken, na ja, sitzengeblieben.

Bei den Hauptspeisen werden Klassiker wie Wiener Schnitzel aus dem Butterschmalz, Schopfbraten mit Speckkraut oder die – leider vegetarischen, weil nicht abgeschmalzenen – Krautfleckerln durchwegs aufmerksam über die Rampe gebracht.

Gegen den gebackenen Karpfen, ein fleischiges, perfekt ausgewassertes Exemplar von Gut Dornau, haben sie es aber schwer: So ideal knusprig herausgebacken, so animierend mit würzigem, warmem Erdäpfel-Endivien-Salat kombiniert, dürften das selbst ruchlose Fischstäbchenvertilger als höhere Genussform wahrnehmen.

Sieht ganz so aus, als ob da ein wirklich gutes Wirtshaus am Werden ist. Jetzt nur nicht den Mut verlieren und, vielleicht, bei der Weinkarte ein bisserl kantiger werden – dann könnte es schon demnächst schwer werden, ganz spontan auf einen Hirntoast mit Sardelle vorbeizuschauen. (Severin Corti, RONDO, 2.11.2018)

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